CD: Jonas Kaufmann – Romantic arias
 
Trotz der augenblicklichen Krise auf dem Musik-Markt, besonders im Bereich der Tonträger, erweckt die erste Opernarien CD eines der aufstrebenden Tenöre sicher Interesse: Jonas Kaufmann, Jahrgang 1969, fliegt bereits von einem großen Opernhaus der Welt zum anderen, mit einem sich ständig vergrößernden Repertoire, das sich durch sorgfältig überlegte Auswahl auszeichnet.

"Toute mon âme est là" (Dort ist meine ganze Seele) singt Werther, und dies könnte das Motto des Recitals sein: Selten findet man einen Interpreten, der so eine facettenreiche Persönlichkeit besitzt, so verschiedene Rollen "verinnerlicht" hat - vielleicht aber sind sie nur dem Anschein nach unterschiedlich und ein vielseitiger, intelligenter und sensibler Künstler kann die Gemeinsamkeiten ausarbeiten und seine Stimme dazu benutzen, um dieses so und jenes wieder ganz anders auszudrücken.
Welcher Tenor ist in der Lage im selben Programm Don Carlo, Meistersinger, Manon und Werther auf einmal zu singen?
Kaufmann singt in drei Sprachen: Italienisch, Französisch und Deutsch, und beherrscht alle mit klarer Aussprache und angemessenem Ausdruck, und er trifft immer die innere Musikalität jeder Sprache (es ist schwierig einen Deutschen zu finden, der das Wort "quaggiù" korrekt ausspricht!)

Außerdem, wie die Fotos im Booklet bestätigen – mit moderner Pose (ganz „untenorhaft“) – sind sein gutes Aussehen und das ausdrucksvolle Gesicht perfekt für den romantischen Helden. Welch zartes junges Mädchen würde sich nicht wünschen, dass solch ein Poet am Heiligen Abend ihre Hand wärmt.
Das Timbre ist dunkel, nächtlich, "ma per fortuna è una notte di luna" (glücklicherweise ist es eine Mondnacht), und der stets sanfte Gesang bezaubert und leuchtet bis zum prächtigen "Speranza". Er klingt wie ein Heldentenor, besitzt aber absolutes "Pucciniano" (Gefühl für Puccini).
Genauso wie Sanftmut, Melancholie und Schuldgefühl Don José seinem Schicksal aushändigen: "Carmen je t'aime." "Kaufmann ist stets sehr überzeugt und deshalb auch überzeugend, in all seinen Interpretationen; das führt dazu, dass man nicht nur die Arien anhört, sondern beinahe die Persönlichkeiten zu sehen meint.

Ungewöhnlich, nicht nur für Italiener, die famose Arie aus Martha von Flotow in der Originalsprache zu hören: "Ach so fromm", gesungen im modernen Stil, weit entfernt von dem „Schmachten“, das unpassend für diese Welt ist, die zwar romantisch, aber durchaus auch Komödie ist.

Marco Armiliato mit dem Prager Philharmonie Orchester findet schöne pastöse Klänge, wenn die Partitur es erfordert (nur ein Beispiel: La Damnation), aber in der Gesamtheit beschränkt er sich auf gute Begleitung, und mehr nicht, die einzige Schwäche des Recitals.

Wir wollen nicht alles durch Kommentare zerpflücken, aber unter dem Einfluss der Emotionen, die genau diese CD ausmachen, fühlen wir, wie hell der jugendlich heroische Walther von Stolzing leuchtet, so weit entfernt von der finsteren Depression eines Don Carlo oder der mysteriösen Romantik im Freischütz.
Die Rezitative sind wie gemalt, der Gesang entfaltet sich wie ein Flügel und das Spiel mit den Schattierungen fasziniert. Jede einzelne dieser Arien lohnt bereits die Anschaffung der CD.

Letztlich ist jedes Stück interessant, auch entsteht keine Langeweile durch zu häufiges Anhören. Im Gegenteil, wir haben quasi einige gut bekannte Aspekte in den Rollen neu entdeckt: Die Stimmungswechsel des Alfredo, seine authentische jugendliche Leidenschaft, so unterschiedlich von dem ernsthaften aber immer aristokratischen Tonfall des faszinierenden Duca von Mantua, und schließlich welche Sinnlichkeit und Verzweiflung in dem zu Tode verurteilten Cavaradossi wohnen.

Kaufmann selbst erklärt in dem Interview im Booklet* – das die Decca in englisch, französisch und deutsch, aber nicht in italienisch präsentiert – dass er nicht nach neuen Interpretationen gesucht hat, sondern bestrebt war, spontane Interpretation zu zeigen, die aus dem Innersten kommen.
Dies merkt man nicht nur am originellen Einsatz der mezzavoci und der Farben der Stimme. Die Rollen hat er bereits im Theater gesungen oder wird er demnächst singen, in allen ist eine Tiefgründigkeit, die sich genau aus diesem Zusammenhang ergibt. Es ist nur scheinbar ein Paradox - bestätigt durch viele andere Beispiele - dass das Ergebnis umso natürlicher ist, je ernsthafter das Studium der Rolle war.

Zusammenfassend: Willkommene CD, die uns die beruhigende Gewissheit gibt, dass es noch junge Künstler gibt, die in der Lage sind - angepasst an den Geschmack unserer Zeit - große Emotionen zu vermitteln.

*Jonas sagt: "Was ich auf dieser CD mache, tue ich nicht, weil es unbedingt etwas Neues sein soll, sondern weil es meine besondere Art der Interpretation und des Singens dieser Musik ist."
 
 
Translation from Italian into German, original article
 
(Dieser Artikel hat soviel Anklang gefunden, dass mich gleich 3 Übersetzungen erreichten. Ausser der englischen Übersetzung noch zwei deutsche. Alina aus UK und Heike aus Deutschland haben sich nahezu gleichzeitig an einer Übersetzung ins Deutsche versucht und Heike hat dann die abschließende Formulierung erledigt. Vielen Dank an alle fleißigen Fans.)



 
 
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