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„La Bohème“ rund ums Zürcher Opernhaus
oder: Wer eigentlich ist Jonas Kaufmann? |
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Prolog |
Wally hatte wieder mal recht:
Puccini hat mir gefallen. Und „La Bohème“ noch viel mehr. Aber das ist nur
die offizielle Version. Die wahre Geschichte lautet ganz anders ... |
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Bild 1 (vom Warenhaus zum
Schuhladen) |
Ich hatte es wunderbarerweise geschafft, meine Faulheit
zu überlisten, indem ich mich - einer spontanen Eingebung im Jelmoli
folgend – mit Operntickets zum Ausklang des Jahres eingedeckt hatte: Lief
doch am 2. Advent „La Bohème“ und am 3. Advent „Turandot“ mit meiner
Lieblings-Pavarotti-Arie „Nessun dorma“.
Für jemanden, der im Schnitt zweimal pro Jahr die Zürcher Oper von innen
sieht, ein kühner Entschluss, für zwei aufeinanderfolgende Wochenenden
Operntickets zu erwerben. Beide für die Sonntagnachmittagsvorstellung.
Nachdem der Rahmen also gesteckt war, kam auch sogleich die bange Frage
auf: Was anziehen? Der schwarze Hosenanzug war ja schön und gut … mit der
edlen Perlenkette … aber dazu die flachen, schwarzen Treter? Das ging ja
so nicht – der Anzug musste aufgemöbelt werden! Wie? Mit High Heels! Wo?
Bei Stuart Weitzman natürlich.
Gesagt, getan. Von Jelmoli zum Schuhladen ist es nicht grad weit. Und dort
blinken sie mich auch schon an: Unter Dutzenden von Modellen erspähe ich
sie, schwarze Lackpumps mit (locker!) 8 cm Absatz! Ob man in den Dingern
wohl ohne Stock gehen kann? Mister Weitzman meint, die Pumps seien sehr
bequem und man (Frau?) könne gut darin gehen. Meine Schuhgrösse ist auch
vorhanden, und so stöckele ich durch den Laden, ohne auch nur ein einziges
Mal umzuknicken! Der Uebermut packt mich, und ich investiere ein kleines
Vermögen in diesen Schuhtraum und ziehe zufrieden von dannen. |
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Bild 2 (in der Oper) |
Es kommt der 2. Advent. Wie immer vertrödle ich den
Sonntagvormittag mit Ausschlafen, Frühstücken, Zeitunglesen. Flugs ist es
ein Uhr, ich hüpfe ins Bad, in den Hosenanzug und in die High Weitzmans.
Und bis ich präpariert und abflugfertig bin, im Auto sitze, vor der Oper
rumdüse, ohne einen Parkplatz zu finden … vergehen endlose Minuten.
Einzige Möglichkeit, das Autochen loszuwerden, ist das Uto-Parkhaus, von
dem es nochmal schmerzende 150 Meter zu Fuss bis zur Oper sind. Fünf
Minuten vor Vorstellungsbeginn komme ich im Musentempel an, stöckele
hastig zur Garderobe. Die freundliche Dame glaubt an mich und feuert mich
an, noch rechtzeitig vor 14 Uhr bei meinem Platz anzukommen – an ein
Programmheft ist nicht zu denken. Ich haste hoch in den ersten Rang. Wo
sitze ich eigentlich? Ach ja: in einer Loge! Reine Neugierde war das: ein
Logenplatz für 42 Franken. Also: Wo sind hier die Logen? Links. Dort, eine
weitere freundliche Dame, die mir den Weg weist bzw. den Schlüssel ins
Schloss von Nr. 4 steckt und die Logentür aufschliesst. Ich stöckele
hinein und wundere mich zunächst nur, dass ich die einzige bin. Niemand
dort. So lasse ich mich häuslich ganz vorne nieder, nach einigen Momenten
beginne ich zu begreifen, dass die Vorstellung gleich beginnen wird und
jetzt sowieso niemand mehr reinkommt:
Die Loge ist mein! Oh, welch ein Gefühl!
Direkt unter mir das Orchester – komplett versammelt,
und da, es wird geklatscht – ah ja, der Herr Dirigent erscheint. Welch
freundliche Begrüssung. Keine Ouvertüre, sondern Vorhang auf für
„La Bohème“ … |
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Bild 3 (auf der Bühne und in der
Luft) |
Liegen zwei Kerle (angezogen,
nicht schwul) in einer Mansarde unter der Bettdecke, weil sie endlos
frieren. Ein dunkelblonder, schlaksiger Maler names Marcello und ein
dunkelbrauner Lockenkopf südländischer Natur. Der Schlaksige steht
sogleich auf und beginnt zu singen. Ich frage mich, welche Rolle der
Südländer spielt, und es dauert nicht wirklich lang, bis ich mir wünsche,
dass es nicht grad eine Nebenrolle sein möge – für eine Vorbereitung,
sprich, Inhaltlesen der Oper, hat es ja bei mir bekanntlich nicht
gereicht. So müssen es also die Uebertitel schaffen, der Handlung zu
folgen. Und sie tun einen guten Job. Wobei … sind es die Uebertitel? Ist
es nicht viel eher die Musik in Verbindung mit den Sängern, die so
zusammenwirken, dass die Handlung leicht zu verstehen ist? Eine muntere
Gesellschaft, das sieht und spürt man sofort. Die Gesellen – schnell
kommen auch noch Colline und Schaunard dazu – gefallen mir. Und dann hauen
alle ab bis auf … ja, bis auf … meinen Favoriten. Den Südländer mit Namen
Rodolfo. Ein Schreiberling, der noch einen Artikel fertigkriegen muss,
während die Kumpanen sich bereits lauthals draussen amüsieren.
Der Arme sitzt also allein in der ärmlichen, kalten Mansarde, als er
plötzlich Besuch kriegt. Ahhhhhhh ja, es kommt eine Dame, schüchtern und
stark erkältet. Ist wohl die Nachbarin, deren Kerze ausgegangen ist.
Komisch, dass sie deshalb zu Rodolfo geht, aber ist ja egal. Jedenfalls
wird sofort klar: Hier passiert was. Hier passiert viel. Zwischen Mann und
Frau und Frau und Mann. Zwischen Musik und Text. Zart. Und stark. Hier
geht es um den Moment, den wunderbaren Augenblick, um das Zarte, Sanfte.
Um das Gute … um die Liebe. Ist es die Musik? Die Stimme von Rodolfo, dem
längst klar ist, was hier geschieht? Oder die Stimme der schüchternen
Mimí? Es ist da. Es ist atmosphärisch.
Und es ist in meinen Augen: feucht und durchsichtig. Es kullert rechts und
links die Backen, pardon, Wangen herunter. Das kann doch nicht wahr sein,
was ist denn hier los? Gut, dass ich allein in der Loge throne und niemand
mitkriegt, dass ich jetzt flugsflugs die Tempos finden muss …
Und dann singt der dunkle Lockenkopf seine Arie. Ich werde erst später
wissen, dass sie „Che gelida manina – Welch eiskaltes Händchen“ heisst.
Ich weiss jetzt hingegen definitiv, dass ich die Arie kenne – von
Pavarotti und Carreras, den wenigen, von denen ich CDs besitze. Ich kannte
diese Arie – akustisch. Aber hier lebt sie. In 3D Dolby Surround. Ich
kann’s nicht beschreiben. Dieser junge, arme, lebensfrohe, starke Rodolfo
singt. Er singt diese weltbekannte Arie. Und er verkörpert sie.
Ich bin verzückt. Ich bin wach. Aufgewacht, wachgeküsst. Was ist bloss
passiert? Die Arie ist zu Ende, das Volk tobt: Das Publikum klatscht
begeistert und schreit Bravo. Das lasse ich mir nicht lange bieten – hier
kann ich mithalten. Und so reihen sich aus Loge Nr. 4, wenn auch keine
melodischen, so doch lauthals-laute „Bravo, Bravoooo“ Rufe ins allgemeine
Getöse ein. Ist das normal für einen Applaus auf offener Bühne? Mimí muss
sich gedulden, bis sie mit Rodolfo das wunderschöne Duett fortsetzen und
beenden darf.
In der nächsten Szene herrscht ein fröhliches, bunten Treiben mit
Konfettiregen am Weihnachtstag im Pariser Quartier Latin. Rodolfo ist mit
Mimí dort bei den Freunden. Marcello regt sich über Musette auf, die zwar
mit einem neuen Verehrer auftaucht, aber schliesslich mit Marcello
abdampft. Eine wunderbare Atmosphäre, so leicht, so fröhlich, so
lebensfroh!
Und in der Pause nach den beiden ersten Bildern, als die Sänger alle vor
den Vorhang treten, geht’s munter weiter mit dem Applaus. Welch eine
Aufführung! Und es ist noch gar nicht fertig …
Im Foyer treffe ich mich mit Patentante Renate, die nun ihren Platz im
Parkett aufgeben wird, um sich mit mir die Loge zu teilen. Sie wird sehr
bewegt sein vom „Mantellied“, das Colline am Ende singt. Ich werde nochmal
weinen müssen, als Mimí stirbt – obwohl das von Anfang an klar war.
Mimí ist also tot. Und alle sind grenzenlos traurig, alle haben sie ihr
noch einen letzten Dienst erwiesen: Musette, Marcello, Colline, Schaunard.
Rodolfo sowieso. Und Mimí stirbt, und das Stück ist zu Ende. Kein Happy
End. Aber was soll’s, wenn die Sänger kurz danach putzmunter über die
Bühne hüpfen? Das Publikum ist verzückt. Es wird geklatscht und gejohlt.
Der Saal tobt. Besonders natürlich tobt es in Nr. 4, aber das sei nur der
Vollständigkeit halber erwähnt. Aus Loge Nr. 2 werden dafür Blumen für
Mimí geworfen, die sich sichtlich darüber freut. Und Rodolfo wird
gefeiert! Wer ist bloss dieser Rodolfo-Sänger? Langsam ist es Zeit, mich
mit der Besetzung vertraut zu machen, Programm hab ich ja nun mal keins,
aber auf der Liste steht es: Jonas Kaufmann. Den Namen hab ich schon
gehört oder gelesen. Mehr aber auch nicht …
Ich ahne nicht einmal, wie unwissend ich bin.
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Bild 4 (im Restaurant) |
Ach, war das schön! Ein Fest! Jetzt noch ein passsender
Abschluss mit Tantchen im Restaurant. Scherzhaft sage ich noch zu ihr:
„Mal sehen, ob nachher auch noch Rodolfo auftaucht.“, bevor wir uns nach
dieser bewegenden Aufführung erst mal stärken. Und wer kommt da zur Tür
reingeschneit? Marcello! Ich erkenne den grossen, schlaksigen Kerl sofort,
er setzt sich in den hinteren Teil zu Leuten, die kurz vorher gekommen
waren. Es herrscht ein eifriges Kommen im Café, und da erscheint
tatsächlich auch mein Favorit: Rodolfo spaziert völlig unbekümmert zur Tür
rein und setzt sich an den Nachbartisch von Marcello. Kurz darauf ist sein
Tisch komplett, und eine ganze Schar junger Leute – inklusive Rodolfo,
Musette und Colline – sitzen dort, lachen, essen und trinken und sind
vergnügt wie am Weihnachtstag bei Konfettiregen im Quartier Latin. Wie mir
das gefällt! Durchs ganze Restaurant höre ich ihre fröhlichen Stimmen in
verschiedenen Dialekten und wundere mich nur, dass ich sie alle eindeutig
identifizieren kann: Gibt’s doch gar nicht, dass das alles Deutsche zu
sein scheinen! Kommen wie ich aus dem grossen Kanton.
Da ich das ja nun weiss, kann ich getrost Marcello, der
gerade aufbricht und an mir vorbei zur Tür geht, anquatschen und sagen,
dass ich in der Oper war, und, ach ja, dass es mir so gefallen hat ...
höflich dankt er und verschwindet. Ich unterhalte mich dann weiter mit der
Kellnerin über diesen Tisch mit den Sängern, und sie sagt, dass die
Opernsänger oft nach den Aufführungen hierherkämen. Und diese dort seien
ganz besonders gesellig, sympathisch und lustig. Ob die Sänger es wohl als
störend empfinden würden, wenn ein Greenhorn wie ich ihnen nochmal danken
würde, will ich von ihr wissen. Aber nein, ganz sicher nicht, die seien
immer putzmunter drauf.
Und so wage ich es! Während sich Tantchen bereits in ihren Mantel zu
hüllen beginnt, schleiche ich nach hinten ins Restaurant und frage, ob ich
kurz stören dürfe … aber sicher doch. Ich oute mich, dass ich selten in
die Oper gehe, aber heute „La Bohème“ gesehen habe … und es sei so schön
gewesen! Und die Sänger freuen sich und lachen mich an: Ach, ich sei das
gewesen, die so laut geklatscht habe, antworten sie. Ja klar, ist meine
Antwort, deshalb sei ich ja jetzt auch heiser, vom ständigen Bravo-Rufen.
Allgemeines Lachen und Kommentare. Und ich kann mir zum Abschied den Satz
nicht verkneifen, dass ich mich freue, dass alles Deutsche (Landsleute)
sind … nochmaliges Grinsen … ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend.
Ach ja …
Beschwingt verlasse ich mit Tantchen dieses bohemische Lokal mitten in
Zürich.
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Epilog |
Erst danach lerne ich aus dem Internet, dass Jonas
Kaufmann ein gefeierter Tenor („deutscher Startenor“) auf dem Sprung zur
ganz, ganz grossen Karriere ist. (Als ob ich mir das nicht längst
gedacht hätte …)
Erst danach lerne ich aus der NZZ am Sonntag, dass der junge, 38jährige
Münchner Tenor Jonas Kaufmann die Entdeckung der Zürcher Oper, genauer
gesagt von Herrn Perreira, ist und dass Zürich seit 2001 sein Stammhaus
ist. (Wie toll, dass ich das Ende 2007 auch bereits merke …)
Erst danach interessiert es mich, wann Jonas Kaufmann wieder in Zürich
singen wird, und ich erstehe umgehend 2 weitere Tickets für „La Bohème“ am
Tag vor Silvester und lade Tantchen zu „La Traviata“ am 25. Mai ein.
(Denn Premierenkarten für „Carmen“ am 28. Juni sind ja leider noch nicht
erhältlich …)
Erst danach lese ich all die Kritiken der letzten Monate über Jonas
Kaufmann, die so astronomisch gut sind, dass ich nur hoffen kann, dass der
Tenor tatsächlich die Bodenhaftung behält. (Ich würde sicher
grössenwahnsinnig werden …)
Erst danach stelle ich anhand all der Opernkritiken sowie auch der
Kommentare über ihn fest, dass ich nicht die einzige bin, die Jonas
Kaufmann 'gutaussehend' findet. (Viele Zürcher Damen gehen nur wegen
ihm in die Oper – würde ich ja nie machen …)
Erst danach lese ich, dass er mit einer Mezzo-Sopranistin verheiratet
ist und drei Kinder hat. (Schluck … bzw: gut so. Gut so!)
Erst danach kaufe ich mir das Poster von „La Bohème“ – auch wenn da
leider nicht der Name von Jonas Kaufmann drauf steht. (Naja, trotzdem
schön das Poster …)
Erst danach wird mir bestätigt, dass die „Romantic Arias“ CD von Jonas
Kaufmann in der ersten Januarwoche erscheinen wird und dass er Konzerte in
München und Hamburg geben wird. (Und warum, bittschön, nicht in Zürich,
wo sein Stammhaus ist und seine grössten Fans leben …?)
Erst danach überlege ich mir, einen Besuch bei meinem Patenkind in
Hamburg so zu legen, dass ich mehr oder weniger zufällig den Liederabend
mit Jonas Kaufmann besuchen kann. (Fällt das unter „erwecktes
Operninteresse“ oder eher unter „Rückfall ins Teenie-Alter“ …?)
Erst danach sehe ich ein zweites Mal „La Bohème“ – es war das
Weihnachtsgeschenk für meine Schwester – und bin enttäuscht, dass Jonas
Kaufmann leider krank ist. Und es ist nur ein schwacher Trost, dass neben
mir noch viele andere Opernbesucher enttäuscht sind (nicht nur weibliche).
Sein Ersatzmann kann ihm das Wasser nicht reichen. Auch wenn Mimí dafür
umso mehr zur Geltung kommt. (Hoffentlich ist er nicht ernsthaft krank,
es heisst, er habe Fieber …)
Erst danach beschliesse ich, das wundersame „Bohème“-Erlebnis
festzuhalten und meinen opern- und geschichteninteressierten Freundinnen
und Kollegen zuzustellen. (Und vielleicht sende ich es auch an die
Dame, die die „Unofficial Website of Jonas Kaufmann“ – eine einfach
geniale Internetseite – pflegt: sie mag entscheiden, ob sie’s an Jonas
Kaufmann weiterleitet, falls er sich darüber amüsieren könnte … und zur
Bestätigung, dass die Leute nicht nur seines Sex-Appeals wegen in die Oper
gehen …)
Ich gelobe, auch in Zukunft nicht nur in Opern zu gehen, in denen
Jonas Kaufmann singt. Meine Lieblingsoper ist sowieso „Tosca“, und die hab
ich bereits dreimal gesehen – nie mit Jonas Kaufmann. (Gemäss
„Unofficial Website“ wird er’s aber nächstes Jahr in Zürich singen … ein
Grund, sich bereits heute auf 2009 zu freuen …)
©
Bettina Wolf, im Januar 2008 |
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