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Wer ist dieser Amerikaner????
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Juli 2007 ... und mein langjähriger Opernfreund und ich
entschieden: „Wir müssen einmal im Leben in die Scala!" Und plötzlich
ergab sich die Gelegenheit; weil er wusste, Traviata war meine
Lieblingsoper und Angela Georghiu sang (wir wollten sie schon immer live
in der Rolle erleben), also ideal. An Karten zu kommen war ein Abenteuer
für sich, aber schließlich saßen wir in der Scala, elegant wie bei einer
Hochzeit. Er hatte sich bei der unerträglichen Hitze nicht nur eine
Krawatte umgebunden, sondern sie sogar am gleichen Tag extra für den
Opernbesuch in der Vittorio Emanuele-Galerie gekauft!
Und ich war fuurchtbar enttäuscht, weil an diesem Abend, an dem wir
Tickets hatten, Ramon Vargas nicht singen würde und ich hätte ihn so gern
live gehört, denn ich wusste, er war bekannt und ich hatte ihn auch schon
öfter auf Aufnahmen und in Videos gesehen.
Wer zum Kuckuck war denn dieser Jonas Kaufmann, der singen würde????? Habe
dem Namen nach echt gedacht, es wäre ein Amerikaner. Und so was muss ich
mir ausgerechnet in der Scala antun! Meine Freundin, die ich kurz vor der
Vorstellung angerufen hatte, um mich zu beklagen, suchte rasch mal im
Internet und sagte dann, er sei gutaussehend, und ich meinte: „Na
uund????? Und wenn er nicht gut singt????"
Also sitzen wir am Abend in der hinteren Reihe im Parkett. Da sieht man
die Bühne gut, aber kann Details eigentlich kaum erkennen, schon gar nicht
die Gesichter der Sänger oder Ähnliches. Und da kommt dieser Jonas (nicht
vergessen, hier amerikanischen Akzent einschalten!), sieht schlank aus,
mehr konnte ich nicht sehen, und er öffnet den Mund ... und hmmmmm – was
ist denn das für eine Stimme? ... so ganz dunkel, ganz anders. Irgendwie
erinnerte sie mich an die Ausdrucksstärke früherer Sänger. Gar nicht
schlecht für einen Unbekannten!
Das Publikum blieb ziemlich kalt – so sind sie nun mal, die Snobs in der
Scala. Ich selbst war immer noch auf Angela fixiert, der Tenor war
irgendwie nur Beigabe ... Aber immerhin war es keine störende Beigabe.
Akt 2, die Regie ist ja soo klassisch, passiert nicht viel ... gut
gesungen, er gefällt mir, ein anständiger Alfredo, ich beginne zu denken
„kein schlechter Tausch für den Vargas“. Der Bariton war ein
durchschnittlicher, keineswegs besonderer Sänger und die klatschen wie
verrückt, bloß weil er der Bariton des Hauses ist und ich sagte zu meinem
Freund: „Na soo was, die sind aber unfreundlich! Dabei ist dieser Tenor
gar nicht schlecht, wieso klatschen die weniger, wenn er singt???“
Und dann kam der 3. Akt und da ist dieser Jonas wie verändert und ist
plötzlich so wütend, als ob er diesem kalten Publikum etwas beweisen wolle
– dachte ich jedenfalls und außerdem ist das mein Lieblingsakt, mit der
Eifersucht und dem Dialog der beiden. Aber hallooo, der schüttelt sie ja
tüchtig, jetzt wird es spannend ( wenigstens meine 40. Traviata oder mehr,
und es wird spannend ;-)))). Da hat er mich überzeugt und endlich reagiert
auch das Publikum und dieser Jonas kriegt begeisterten Applaus!!
Jetzt war ich schon mehr an ihm interessiert als an Violetta ;-)
Dann das Ende ... der 3. Akt ist zwar mein Lieblingsakt, aber meine
musikalische Lieblingsphrase in dieser Oper ist und wird es auch immer
sein “Parigi o cara“. Ich weiß nicht warum, war aber immer so, vielleicht
weil sie wie ein kurzer Lichtschimmer voller Melancholie und Zärtlichkeit
inmitten des Todes und der Krankheit ist.
Der 4. Akt beginnt, sie singt ihr Ding ganz gut, wie erwartet, und ich
beginne zu seufzen wie immer bei der Traviata ... Mein Freund hatte mich
lachend in der Pause gefragt, ob ich Taschentücher dabei habe ;-). Uuuuund
... da kommt der Alfredo, leidenschaftlich und gebrochen uuuuund ... nimmt
sie in den Arm und was höre ich???? ... das leiseste, süßeste,
traumhafteste, perfekteste „Parigi o cara“, das ich je gehört habe!!!! Das
war mein persönlicher „Jonas-Moment“!!!! Unvergesslich, Gänsehaut
inklusive!!
Unnötig zu sagen, dass ich aus der Vorstellung herausgekommen bin und mir
egal war, wer die Violetta gesungen hatte, ich wollte nur über Alfredo
reden!! Und ich wusste noch nicht einmal, dass er ein Deutscher war!!!
Zurück zu Hause bin ich dann auf die Suche gegangen, habe Marions Seite
gefunden und in aller Eile Tickets für die Traviata im Royal Opera House mit Netrebko
gebucht!! Mir war egal, wer die Violetta sang, es hätte auch ein
Countertenor sein können, ich wollte nur noch einmal Jonas hören!! Und
dabei ist Alfredo nicht einmal seine beste Partie!
Aber bis zur Traviata war es lang ... und ich bekam noch ein Geschenk,
jemand schickte mir eine Kopie der Carmen aus dem Royal Opera House ...
und das war Jonas??????? Ich konnte es kaum glauben, ich hatte ihn ja nie
näher gesehen.... dagegen war Alfredo ja nichts!!! Ich staunte und staunte
und staunte und mir lief das Wasser im Mund zusammen, im musikalischen
Sinne natürlich ... diese Blumenarie, diese Piani, was war denn das für
eine Stimme!! Es war irgendwie komisch, denn ich kann nicht sagen, dass
mich das Timbre völlig angesprochen hat; man muss sich erst daran gewöhnen
und vor allem muss man es live hören. Es klingt einfühlsam und warm, ist
so überraschend dunkel und dennoch macht es einem Gänsehaut, ich konnte
mir das Phänomen nicht erklären, ich hatte so eine Tenorstimme noch nie
live gehört. Und dazu noch ein Tenor, der unglaublich zärtliche Piani
singt und nicht mit den Akuti herumwirft, genau nach meinem Geschmack,
denn ich halte nichts von ständigem 12 Sekunden langem Gebrülle.
Und dann kam die CD...und dann endlich wieder live!!! Traviata again ;-)
... uund – ja die Anna ist nicht schlecht, aber sie ist zu lebendig für
Violetta, singt das Haus zusammen und dabei ist sie ja todkrank ... hat
mich im zweiten Teil der Oper nicht so recht berührt. Sie ist gutaussehend
und die Stimme ist schön, aber sie ist eher Manon als Violetta. Aaaaaber
dieser Alfredo ( und ich saß diesmal viel naher dran, absichtlich!) da
sprühen ja Funken!!! Hat echt Spass gemacht! Diese Leidenschaft, heiß,
heiß, heiß ... und dann das Ende ... ich kann ihr nicht richtig glauben,
dass sie stirbt und ich hatte noch nicht geweint!! Herzklopfen hatte ich
wie verrückt und es war, als ob ich die Oper zum ersten Mal sähe, obwohl
ich genau wusste, was passiert. Aber Jonas gab ihr einen neuen Rhythmus,
es war alles spannend, als ob man nicht wüsste, was er im nächsten Moment
anstellen würde. Und dann kam er im letzten Akt auf die Bühne – und die
Verzweiflung, die von ihm ausströmte!! Einfach unglaublich!!! Er fing mit
„Parigi o cara” an und ich wurde augenblicklich zur völligen Heulsuse,
konnte nicht aufhören zu weinen, er brach einem völlig das Herz.
Glücklicherweise ging es allen um mich herum genauso, sonst hätte ich
gedacht, ich ticke nicht mehr richtig ;-)
Der Rest ist Geschichte ...
Ich habe inzwischen aufgehört, mir Gedanken darüber zu machen, wie eine
Vorstellung mit Jonas sein wird. Das Besondere an ihm ist eben, dass er
immer überrascht! Ich weiß, wenn er singt, ist es anders, als ich es
jemals vorher gehört und erlebt habe und ich bin aufgeregt und mein Herz
klopft, aber ich denke, das ist gut. Es führt auch dazu, dass ich eine
neue Art von Freude an Musik empfinde, ein wenig so wie mit 3 Jahren, als
ich zum ersten Mal in die Oper ging, aber aus der Perspektive eines
Erwachsenen.
Alina |
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