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concerti, 17. März 2017
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Von Roland H. Dippel |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Jonas K. ist wieder da – endlich! |
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Das Traumpaar der Oper, Anja Harteros und Jonas Kaufmann, glänzt im Vollbesitz seines vokalen Reichtum |
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Korrekt verkündet die Bayerische Staatsoper, dass Umberto Giordanos
Revolutionsdrama „Andrea Chénier“ im Jahr 121 nach der Uraufführung
endlich im Münchner Nationaltheater ankommt. Nicht vergessen sei freilich,
dass es bereits 1956 vom gleichen Klangkörper eine auch auf CD nachhörbare
Vorstellungsserie in deutscher Sprache mit Marianne Schech, Josef
Metternich und Hans Hopf gab, damals im Prinzregententheater, und am
Gärtnerplatztheater 1975 eine Produktion mit Anton de Ridder.
Bemerkenswert ist das deshalb, weil diese regionale Aufführungsgeschichte
wie auch die internationalen Meilensteine Bezüge zur bemühten Perioden-
und Stilcharakteristik des Verismo noch einmal ganz anders auffächern als
die Neuproduktion um den aus einer Erholungsphase zurückgekehrten Jonas
Kaufmann.
Kaufmann singt sich die Seele aus dem Leib Bei seinem
Rollendebüt als Chénier an Covent Garden 2015 sagte er, mit diesem Part
könne er „sich die „Seele aus dem Leib singen“. Er hätte wohl kaum
gedacht, dass ausgerechnet sein Stammhaus München eben dies im vollen Sinn
des Wortes einfordern würde. Dort hatte man ihn und Anja Harteros mit
voller künstlerischer Berechtigung zum Traumpaar der Oper verkuppelt:
Mitreißend, im besten Sinne individuell und authentisch sind sie ja beide
schon für sich. Und im Team erst recht unwiderstehlich sogar an riskanten
Abenden wie im neuen „Andrea Chénier“. Der Bariton Luca Salsi ist hier ein
hinreißend Dritter im Bunde.
„Die Revolution frisst ihre Kinder!“
Dass es diesmal nicht ganz zum ungebrochenen, vom Publikum an jeder
passenden Stelle lautstark herbeigejubelten Opernglück reichte, liegt
sicher nicht an dieser Ausnahmebesetzung, sondern an der zielstrebig
grobkörnigen Sicht auf Giordanos Oper. Dabei hat Philipp Stölzl, der alle
Tugenden seiner kino- und actiongeschulten Medienerfahrung auffährt, in
Omer Meir Wellber am Pult einen Partner, der die visuellen Maßlosigkeiten
und schier unüberschaubaren Miniaktionen von Chor und Soli bereitwillig
unterstützt und beflissen eifrig übertrumpft. Das Historiengetümmel auf
der Bühne reicht in der Pause gar bis in die Foyers, wo ein Sansculotte
eine Revolutionspostille verteilt. Da gibt es in den beiden bühnenbreiten
und portalhohen Wänden von Heike Vollmer viele Raumnischen, dazu mit Anke
Wincklers Kostümen eine schauprächtige Materialschlacht. Der in
Pastellfarben aufgedonnerte Adel oben, unten der zunehmend verrohte Dritte
Stand in Erd- und Schmutzfarben. Dabei gibt Stölzl den spielwilligen
Chordamen und -herren durchwegs viel mehr Bewegungsfutter als den
Solisten. Den ganzen Abend tritt immer genau das ein, was das geistige
Auge des TV- und Topseller-erfahrenen Publikums ahnt. Am Ende ist das
garniert mit noch mehr Theaterdonner: Da zeigt man den abgeschlagenen Kopf
des Andrea Chénier der blutgierigen Meute, und seine gleich ebenso
sterbende Geliebte stiert mit hypnotischem Blick Richtung Schafott –
Vorhang. Von der eingangs heiser intonierten Marseillaise bis zum
Schlussakkord tritt die Bayerische Staatsoper erfolgreich in Konkurrenz zu
jenen vierteiligen Historik-Spektakeln, wie man sie im Fernsehen als
Familienspaß liebt. Und es schaut aus, als sei der Ausstattungsetat
genauso groß wie für „Angelique“ oder „Die Miserablen“. Das erinnert an
die Strategien des Münchner Staatstheater-Monarchen August Everding in den
achtziger Jahren, der nach Experimenten immer wieder „Festtagspremieren“
ansetzte, die als Sängerfeste mit werktreuer Opulenz erboste Melomanen
befrieden sollten.
Dirigent und Regie ziehen am selben Strick
Neu ist bei „Andrea Chénier“: Omer Meir Wellber, der gerade ein präzise
verästeltes Mozart-Buch veröffentlicht hat, bewies mit selbstbewussten
Verknappungen im Münchner „Mefistofele“, dass er für die italienische
Wagner-Rezeption vor allem stürmerische Ansätze liebt. Giordanos an Jules
Massenet geschulte Kompositionsfeinheiten, alle Ansätze von Zeitkolorit
und überreifer Salonkultur des Rokoko nutzt Meir Wellber deshalb zur
frontal anspringenden Illustration. Er reißt alle doch genau
auskomponierten Perspektivenwechsel zwischen „ambiente storico“ und den
vokalen Sprachen der Leidenschaft in ein energisches Dauer-Forte. Einfach
war es für ihn sicher nicht, das in letzter Zeit mit „Semiramide“ und „La
favorite“ eher auf intime Resonanzen eingeschworene Bayerische
Staatsorchester in diese forsche Extrovertiertheit zu zwingen.
Kraftgesang der Leidenschaft Auch was von den Sängern kommt, ist
fürwahr veristisch. Jonas Kaufmann muss als Tribut an das
Aufführungskonzept auf einige seiner größten Tugenden verzichten und
stellt sich rückhaltlos wie kollegial den Herausforderungen. Denn an
diesem Abend darf er zwangsläufig nur selten seine stärksten Suchtmittel
gewähren, diese so betörenden Mezzopiano-Phrasierungen und Decrescendi,
wie sie spätestens seit seinen Münchner „Aida“-Vorstellungen
unvergesslich sind. Genauso zeigt Anja Harteros, dass sie selbst noch aus
dem plakativ gehäuften Morast der Terreur wie ein Engel klingen kann. Die
große Liebe des Dichters und der verfolgten Adeligen findet in den beiden
Duettszenen eine selbst für die ganz große Oper leicht übersteuerte
Erfüllung. Das ist angesichts der den beiden abverlangten Anstrengungen
immens viel, künstlerische Ressourcen der beiden setzt man recht
leichtfertig sportiven Bewährungs- und Mutproben aus. Das fällt vor allem
dann auf, wenn Luca Salsi neben seinem durchweg prachtvoll und energisch
platzierten Gérard eine unverstellte Gefühlswelt zeigt, die bei Maddalenas
großem Solo weit mehr bewegt als der blutverschmierte Leichnam der „Mamma
morta“ im zerfetzten Reifrock. Da wird das Melodram zur telegen
aufbereiteten History-Soap mit bemühten Schocksekunden.
Ladylike
Giordanos Nähe zum Konversationsspiel eines Victorien Sardou lassen sich
vor allem zwei Damen nicht nehmen, vor deren Souveränität sogar Philipp
Stölzl und Omer Meir Wellber den Hut ziehen. Selbst wenn die große Doris
Soffel als Gräfin von Coigny nach ihren malträtierten Dienerinnen treten
muss, unterspielt sie das mit den Mitteln einer starken Sängerdarstellerin
als Trauer über das Ende ihrer Zeit. Elena Zilio hat als Madelon, die
ihren letzten Sohn der Revolution opfert, einfach Glück dank Giordanos
Instrumentation. Neben der in München so konditionsstark realisierten
Grobheit muss – so will es der Komponist – bei ihrem Solo der Seidenklang
der Streicher reichen – und ermöglicht Elena Zilio ein an diesem Abend nur
selten realisiertes Deklamations- und Melodieideal mit Seelenton aus der
Körpermitte. Spätestens ab dieser Stelle wünscht man sich, dass das
Traumpaar Harteros und Kaufmann schnellstens an anderem Ort diese Oper mit
wirklich allen Möglichkeiten, die es vokal und künstlerisch tatsächlich zu
bieten hat, verwirklichen und dann wirklich zelebrieren wird. So bald wie
möglich.
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