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Neue Zürcher Zeitung, 18.11.2014 |
Marco Frei |
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Puccini: Manon Lescaut, Bayerische Staatsoper, München, 15. November 2014 |
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Liebe und Uniformierung
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Puccinis «Manon Lescaut» in der Bayerischen Staatsoper München |
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Im Vorfeld der Premiere von Puccinis «Manon Lescaut» an der Bayerischen
Staatsoper sorgte die Absage von Anna Netrebko für grossen Wirbel. Die neue
Produktion in der Inszenierung von Hans Neuenfels ist aber hörens- wie
sehenswert.
Die Bühne ist karg und leer im finalen Akt. Nur zwei
Menschen, in Schwarz gekleidet, füllen den Raum: Manon Lescaut und Renato
Des Grieux. Sie besitzen nichts weiter mehr als ihre unerschöpfliche Liebe.
Das ist sehr viel in einem sozialen Kontext, in dem die Uniformierung auch
die Gefühlswelt der Menschen normt. Am Ende kommt jedoch ihre Liebe gegen
den Tod nicht an, und wie dieser Kampf nun von Jonas Kaufmann und Kristine
Opolais an der Bayerischen Staatsoper verlebendigt wurde, das berührte und
erschütterte zutiefst.
In der Neuinszenierung von Hans Neuenfels von
«Manon Lescaut», der Oper Giacomo Puccinis, waren zwei Menschen zu erleben,
die mit dem Schicksal rangen – liebestrunken und schmerzerfüllt. Kaufmann
und Opolais gaben alles auf der Bühne, und ähnlich wie ihr darstellerisches
Spiel harmonierten zugleich ihre Stimmen in Dynamik und Timbre ganz
wunderbar. Das Klischee eines Puccini-Gesangs, das Italianità mit
Stimmgewalt verwechselt, wurde von ihnen konzis infrage gestellt. Gemeinsam
kreierten sie einen in sich geschlossenen Stimmenklang, eine Art vokale
Kammermusik. Dies passte nicht nur zu der differenzierten, farbenreichen
Umsetzung der Partitur durch das Bayerische Staatsorchester unter der
Leitung von Alain Altinoglu, der im kommenden Sommer in Bayreuth statt
Andris Nelsons den von Neuenfels inszenierten «Lohengrin» dirigieren wird,
sondern ebenso zur Reduktion der Regie. Es ist der erste Puccini von
Neuenfels, und fast schon war man geneigt, die Absage von Anna Netrebko zwei
Wochen vor der Premiere als Glücksfall zu bezeichnen – weil sich Opolais für
diese Besetzung und Inszenierung sowohl stimmlich als auch darstellerisch
wohl besser eignete.
Aufatmen konnte die Intendanz, denn die
kurzfristige Absage Netrebkos hätte für das Haus ein Fiasko werden können.
Endlich sollte die Star-Sopranistin nun auch in München in einer
Neuproduktion zu erleben sein, dazu an der Seite von Star-Tenor Kaufmann,
was für viele eine Sensation war – obwohl beide bereits 2008 in London
gemeinsam eine «Traviata» gestemmt hatten, wenn auch nicht als Neuproduktion
wie jetzt «Manon Lescaut» in München. Zweifellos wäre es spannend gewesen,
Netrebko als Manon zu erleben, zumal sie sich derzeit immer mehr zu einer
dramatischen Charakterdarstellerin entwickelt.
Auch die Münchner
«Manon»-Besetzung mit Opolais und Kaufmann war keine Novität, bereits im
Sommer waren beide in London mit dieser Oper zu erleben. Warum Netrebko das
Handtuch geworfen hat, darüber schweigt sie sich aus. In einem Interview
verriet nun Kaufmann, dass zwischen Netrebko und Neuenfels «die Chemie nicht
gestimmt» habe. Dies überzeugt mehr als die offizielle Verlautbarung, wonach
Netrebko ein Problem mit der Inszenierung gehabt habe; auch Neuenfels hatte
dies in Interviews verbreitet.
In der Vergangenheit hatte Netrebko
nämlich bereits in weitaus kontroverseren Inszenierungen mitgewirkt als der
jetzigen «Manon» in München. Auch im Vergleich zu seinem Bayreuther
«Lohengrin», der sich zu einem Publikumsliebling gemausert hat, wirkte
Neuenfels' Münchner «Manon» sehr altersmilde und gemässigt. Tatsächlich
erzählte Neuenfels diesen Puccini überaus musikalisch sowie dramaturgisch
und textlich höchst präzise; eine ausgeprägte Werktreue wurde geboten, die
ohne Historismus und Lokalkolorit auskam. Damit vereinte Neuenfels
unterschiedliche Regiehaltungen, was zeitlos und zeitgemäss zugleich wirkte.
Selbst die teilweise ironisch gebrochenen Texteinblendungen liessen sich
grundsätzlich mit Puccinis Intentionen begründen, zumal die «Manon»-Partitur
ihrerseits mit programmatischen Erläuterungen aus der Erzählvorlage von
Antoine-François Prévost angereichert ist. Als Fremdkörper konnte allenfalls
der Chor wirken, der in larvenähnlichen grauen Kostümen mit breiten Hüften
und roten Köpfen über die Bühne wuselte. Damit zitierte Neuenfels freilich
die Laborratten aus seinem Bayreuther «Lohengrin», hier wie dort wird die
uniforme Masse Mensch entlarvt. Aus dieser subjektlosen Menge traten Manon
und Renato als einzig wahrhaftig Fühlende umso deutlicher heraus.
Dabei profitierte Neuenfels von einem Ensemble, das bis in die kleinste
Rolle glänzend besetzt war – allen voran Markus Eiche als Manons Bruder
Lescaut. Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn obwohl diese
Produktion PR-wirksam auf Netrebko und Kaufmann zugeschnitten war, wurden
bereits gekaufte Karten nach der Absage Netrebkos weder umgetauscht noch
erstattet. Immerhin wurde nun verkündet, dass Netrebko bei den Münchner
Opernfestspielen in Tschaikowskys «Eugen Onegin» singen wird – statt
Opolais. Die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski entwirft bekanntlich ein
homoerotisches Szenario.
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