Er kann einfach alles: Ob deutsche Romantik, ob Italianità oder
esprit français, ob große Oper oder intimer Liederabend – Jonas
Kaufmann brilliert derzeit auf wirklich jedem Gebiet der
Gesangskunst. Und jetzt singt er auch noch Operette! Mit derselben
hochseriösen künstlerischen Genauigkeit, die er auch im Bereich der
ernsten Musik an den Tag legt.
Genau das aber ist das
Problem. In der restlos ausverkauften Philharmonie startet Kaufmann
am Montag mit „Freunde, das Leben ist lebenswert!“ aus Lehárs
„Giuditta“: Sofort füllt sein prachtvoller, baritonal grundierter
Tenor den Saal, mühelos setzt er die Spitzentöne – als wären es
Siegmunds „Wälse“-Rufe aus der „Walküre“. Dazu trägt er einen
schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte – als wäre er zur eigenen
Beerdigung eingeladen. Es muss ja nicht gleich der Heesters-Look
sein, aber wäre für so eine Leichte-Muse-Gala nicht doch ein Smoking
angemessener? Ein wenig Halbseide gehört schließlich einfach dazu
bei diesem Genre. Klingen die besten Operetten-Verse nicht immer
auch ein wenig nach Heiratsschwindler-Schmeicheleien?
Jonas
Kaufmann kann Pianotöne wunderbar samtweich ansetzen und dann
betörend aufstrahlen lassen. Kitsch dagegen liegt ihm überhaupt
nicht. Er ist vielleicht süß, wenn er beim Singen nicht so genau
weiß, wohin mit den Händen, wenn er plötzlich anfängt, bei einem
orchestralen Zwischenspiel mitzutanzen. Aber eben nicht sexy, kein
Verführer. Vielleicht hätte er zur Vorbereitung ein Wochenendseminar
in Komödien-Gestik bei Barrie Kosky belegen sollen – oder sich
alternativ bei Max Raabe abschauen, wie sich bühnenfüllende Präsenz
mit dem Verzicht auf jegliche Gliedmaßenbewegung verbinden lässt.
Kurz vor der Saalrevolte in der Philharmonie
Die Fans
freilich ficht die Frage nach der performativen
Operetten-Authentizität wenig an – sie sind gekommen, um eine Party
zu feiern. Wenn da nur nicht die Sache mit der Tonanlage wäre. Auf
der Höhe von Block F links schnarrt ein Lautsprecher. „Sind Sie
sicher, dass das nicht meine Stimme ist?“, versucht es der Tenor mit
einem Scherz. Doch die Leute sind stinksauer, schließlich haben sie
viel Geld für die Tickets bezahlt. Kurzzeitig liegt die Gefahr einer
Saalrevolte in der Luft. Denn da wird Grundsätzliches berührt. „In
der Philharmonie braucht man überhaupt keine technische
Verstärkung“, entfährt es einer feinen älteren Dame aus Block A. Man
möchte ihr zustimmen – zumal nicht recht klar wird, warum wann das
Mikrofon wie viel aufgemacht wird. Kaufmanns zu Beginn gemachte
Ansage, das geschehe je nachdem, ob der Titel nun für die Bühne oder
fürs Kino geschrieben worden sei, wird
jedenfalls durch die
nachfolgende Regler-Praxis nicht gedeckt.
Kaufmann mutiert
kurz zum Maestro
Nach der Pause scheinen die
Übertragungsprobleme gelöst, ein kollektiver Heiterkeitsmoment tritt
ein, als der Sänger kurz zum Maestro mutiert und das Münchner
Rundfunkorchester eigenhändig durch den Marsch aus Robert Stolz
„Frühjahrsparade“ dirigiert. Drei Zugaben lässt sich der Star
entlocken – und wenn er zum definitiven Abschied schließlich Stolz’
„Das Lied ist aus“ anstimmt, wird klar: Dieser Tenor hat einen
feinen Humor. „Wir gehen auseinander, morgen singt hier ein
and’rer“, dichtet er die Finalstrophe um, „dann wirst Du nicht mehr
fragen, warum.“