Der Neue Merker, 5/2015
I.M.S.
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 6. April 2015
 
Thielemann in Salzburg
Eine Oster-Oper zu Ostern — den unvermeidlichen Opernzwilling hat man aufgrund einer attraktiven Doppel-Tenor-Besetzung auch gerne akzeptiert —sollte eigentlich eine einfache, bündig erzählte Sache sein. Doch am Theater heute gibt es keine Einfachheit mehr.

Philipp Stölzl hat vielfache Interessen und viele Sparten künstlerischer Tätigkeit durchgearbeitet: Bühnenbild, Film, Video, Werbung und nicht zuletzt Regie. Daher sind ihm die beiden simpel gestrickten und demzufolge recht geradlinig durchzuführenden Kurzopern des „Verismo" und ihre „Wahrheiten" zu einfach und zu schlicht.

Die Komponisten Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallo haben sich mit ihren Einaktern zwar ohnedies in die Musikgeschichte eingegraben, aber die Verlockungen der Breitwandbühne waren wohl allzu groß, um etwas „noch nicht Dagewesenes" zu produzieren.

Was geschah also? Auf die gesamten 30 m Bühnenbreite baute Stölzl ein Gerüst von 6 Containern in 2 Etagen, in denen er die einzelnen Szenen verteilte. Doch damit nicht genug: Er tauchte die Optik bei „ Cavalleria" in eine Kombination aus Film noir, holzschnittartigen Flächen und die Atmosphäre italienischer Nachkriegsfilme (Kostüme: Ursula Kudrna), was anfangs verblüffte und amüsant anzusehen war, aber bald an Platznot und Bewegungsmangel zu erkranken begann, weil ja überhaupt keine längeren Abläufe möglich waren. (Dass sich das Feuilleton vielleicht diesmal ausnahmsweise nicht fadisiert hat, wie sonst in der Oper, ist nicht das Problem der anwesenden Musikfreunde.)

Auch die brutale Ausdruckskraft des italienischen Verismo litt unter der künstlichen Welt, die sich da in Süditalien breit gemacht hat. Wenn Santuzza und Turiddu ihr Streitduett in einem winzigen Dachkämmerlein austragen müssen, verläuft die Szene keineswegs so brisant, wie wenn sie mitten im Dorf auf den Stufen der Kirche stattgefunden hätte. Der unheimliche Fluch („A te la mala Pasqua") geht somit völlig ins Leere. Der Chor kann sich kaum rühren, obzwar sich die vorzüglichen Dresdner Choristen sehr darum bemüht haben.

Aber auch einige grobe Fehler sind dem Regisseur passiert. So hat Santuzza ihre Schwangerschaft längst hinter sich, sie umsorgt den mittlerweile 12 —14-jährigen „Fehltritt", den sie als Ministrant (!) einkleidet. Das wäre jetzt wahrscheinlich immer noch nicht möglich, dass ein „Kind der Sünde" ministrieren geht, auch wenn das Bauerndorf in Stölzls Sicht zu einem Kaff am Rande einer Industriebrache gelegen, geworden ist und von der Mafia dominiert wird. (Die „Pagliacci" boten etwas mehr Farbe und durch Öffnen der unteren Container wenigstens dem Chor mehr Platz, obzwar er von der oben spielenden „ Commedia" kaum etwas sehen konnte.) Kurz: Dem schwarz-weißen Bildertheater fiel das lebendige Bühnenleben zum Opfer, der Verismo kapitulierte vor einem überzüchteten, fast als überkandidelt zu bezeichnenden Kopftheater, das freilich technisch auf hohem Niveau stattfand. Es war nur „einmal etwas Anderes" — und, was in unseren ohnedies für die 'Theater nicht ungefährlichen Zeiten auch zu bedenken ist — am falschen Objekt ausprobiert.

Christian Thielemann hat heuer sein Repertoire ausgeweitet, nicht nur mit den beiden leidenschaftsbrodelnden Einaktern, sondern auch im Konzert. In beiden Sparten konnte man feststellen, wie die Sächsische Staatskapelle Dresden seit seinem Amtsantritt gewonnen hat, an klanglicher Substanz, an differenziertem Ausdruck und einer mitreißenden Spielfreude. Thielemann macht auch im italienischen Fach großes Musiktheater, arbeitet dabei ungemein genau, ausgefeilt und pointiert und lässt den Klang aufblühen. (Seine vertrauten Generalpausen und Pianophrasen gab es auch hier, und leider traf eine davon den Tenorhelden des Abends, in der Siciliana, an einer besonders heiklen Stelle, mit der er es sich nicht leicht machte.

Die hohen Ansprüche, zwei tenorale Brocken an einem Abend zu stemmen, hat Jonas Kaufmann in großartiger Weise erfüllt und fein differenziert. Der lockere Turiddu und der umdüsterte Canio sind darstellerisch und musikalisch bis in die Fingerspitzen erarbeitet, in der Körpersprache ganz verschieden und im Ausdruck ungemein verfeinert — wobei er sich in „Recitar!" förmlich die Seele aus dem Leib singt. Eine ganz große Leistung. Seine Partnerinnen hatten es dabei natürlich nicht leicht. Liudmyla Monastyrska (Santuzza) verfügt über eine große, höhensichere Spinto-Stimme, in der Mittellage mit einem (durchaus tolerablen) Vibrato, wie es in diesem Fach nicht unüblich ist, aber mit einer klaren und schlanken höheren Lage (was ihr im Verdi-Requiem zugute kam), und spielt eine scheue, demütig duldende Frau. Um ihren Fluch-Knalleffekt hat sie die Regie gebracht, daher kann man ruhig sagen, es fehlte ein wenig an sizilianischem Feuer, aber mit einem so eingeschränkten Bewegungsrepertoire wird es eben nicht mehr. (Kollege Kaufmann ist damit gut fertig geworden, da funktioniert der körperliche Ausdruck auch im ruhigen Stehen.)

Stefania Toczyska war, ständig mit dem Rücken zum Publikum agierend und ihren Abrechnungen hingegeben, eine merkwürdige kalte Mamma Lucia, aber auch das hat die Regie zu verantworten. (So kennt man sie nämlich nicht.) Annalisa Stroppa war die „fesche Lola", als Typ gut, als Memo charakteristischer als die üblichen Soubretterin. In Ambrogio Maestri, der vollstimmig sang und im Nadelstreif in einen jeden Mafia-Film gepasst hätte, fand Turiddu Kaufmann einen echten Widerpart, der wohl den Tonio auch hätte machen können. Denn Dimitri Platanias sang die Partie allzu konventionell, war szenisch zu wenig präsent und sang, zum Ingrimm der Höhenjäger, „Incominciate" nicht hinauf. Tansel Akzeybek war hingegen ein flinker, einfühlsamer und komödiantischer Beppe. Die Nedda sang Maria Agresta mit fast schon etwas zu dramatischer Stimme, aber mit dem richtigen Ausdruck der Sehnsucht, nach Liebe, nach Freiheit, hatte die nötige Härte im Umgang mit dem — freilich nicht eben gefährlichen — Tonio und legte mit Alessio Arduini, der auch schon zu etwas sehr dramatischem
Singen neigte, ein ziemlich „ausführliches" Liebesduett hin. Arduini war als braver Stadtmensch verkleidet, blieb dem stürmischen Liebhaber Silvio aber trotzdem nichts schuldig.

In beiden Opern sang der stimmgewaltige und spielfreudige Sächsische Opernchor Dresden vorzüglich, wurde auch noch vom Salzburger Bachchor und dem Salzburger Theater-Kinderchor verstärkt (die Kinderchöre blühen allerorten auf!) und boten gemeinsam mit dem schon eingangs gepriesenen Orchester eine tadellose Gesamtleistung, der Christian Thielemann mit der ihm eigenen Präsenz vorstand. Das Publikum jubelte auch in dieser Abschluss-Vorstellung der Osterfestspiele 2015.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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