Wie Christian Thielemann Salzburg um den kleinen Finger
wickelt: «Cavalleria rusticana» und «Pagliacci» mit Jonas Kaufmann,
Verdis Requiem mit Anita RachvelishviliWenn das so
weitergeht, dürfte er irgendwann die Gestik ganz einstellen. Ein
aufmunternder Blick, ein Handgelenksschlenker, im Ernstfall eine
hochgezogene Augenbraue, das könnte dann reichen. Immer sparsamer
wirkt das, was Christian Thielemann auf dem Podium macht: Die
Verklärung des Handwerks hat bei ihm schon jetzt eine sehr
entscheidende, sehr sichtbare Stufe erreicht. Das Verdi-Requiem, bei
den Salzburger Osterfestspielen gerade absolviert, ist ein Beispiel
dafür. Minimalistische Bewegungen, keine Mätzchen, zügige Tempi,
kaum genüssliche Verbreiterungen, eine große Selbstverständlichkeit
und Natürlichkeit im Umgang mit der Partitur. Kein Abend religiöser
Bekenntnisse, sondern reflektierter Kapellmeistertechnik.
Diese sehr italienisch geratenen Osterfestspiele sind unter anderem
Thielemanns Demonstration, welchen Plunder es alles nicht braucht am
Pult. Was er bei Strauss, Wagner & Co. vollbringt, das steht auch
Pietro Mascagnis «Cavalleria rusticana» ausnehmend gut. Kundig und
behutsam dreht Thielemann an den Reglern seiner Sächsischen
Staatskapelle. Der Klang ist zwar süffig grundiert, jedoch nie
erdenschwer. Bleifreie Power gewissermaßen. Auch dürfen die Dresdner
ein paarmal Muskeln zeigen. Doch wichtig ist anderes: die
Detailzaubereien, die eleganten, logischen Übergänge, die Balance,
besonders aber der enge Kontakt zur Bühne. Ruggero Leoncavallos
«Pagliacci» nach der Pause fallen dagegen etwas ab, Thielemanns
Filigranarbeit driftet da ins Geschmäcklerische.
Jetzt, im
dritten Jahr seiner Regentschaft bei den Osterfestspielen, scheint
der Berliner endlich angekommen an der Salzach. Einfach, weil nun
alles stimmt. Die Sängerauswahl, die Regie, die musikalische
Interpretation. Wer mag da schon vom vergangenen Knatsch reden:
Peter Alward, letztmals Geschäftsführender Intendant, ist grüßend
und lächelnd im Foyer des Großen Festspielhauses unterwegs. Er, der
das nach dem Weggang der Berliner Philharmoniker orchesterlose
Festival gerettet hat, will oder muss Peter Ruzicka Platz machen.
Den Ex-Chef der Münchener Biennale, so wird kolportiert, hätte
Thielemann übrigens auch gern auf dem Dresdner Intendantensessel
gesehen.
Das neue Gespann setzt auch im kommenden Jahr auf
phonstarke Eifersucht. Thielemann dirigiert Verdis «Otello» (den er
zuletzt vor über zwei Jahrzehnten in Bologna aufgeführt hat) mit
Johan Botha, Dorothea Röschmann und Dmitri Hvorostovsky. Zudem ist –
wohl dank Ruzicka – die Familie der gemäßigten Neutöner wieder
versammelt. Bei Hans Werner Henzes achter Symphonie lässt sich
Thielemann von Vladimir Jurowski vertreten, Manfred Trojahn
dirigiert Eigenes, der Chef behält sich unter anderem Beethovens
Tripelkonzert in einer Blockbuster-Besetzung mit Anne-Sophie Mutter,
Lynn Harrell und Yefim Bronfman sowie die Missa solemnis vor.
Über 90 Prozent Auslastung bei einer Eigenfinanzierungsquote von
88 Prozent, das ist die Bilanz dieses Jahres. Hinzu kommt der
künstlerische Erfolg: Die Verpflichtung von Philipp Stölzl für
«Cavalleria rusticana» und «Pagliacci» war ein Glücksgriff. Der
Filmemacher, der 2007 beim Salzburger Sommerfestival Berlioz’
«Benvenuto Cellini» derart überfrachtete, dass einem vor Sehen das
Hören verging, hat seine Spektakelsucht eingedämmt. Geblieben ist
der Hang zum großen Aufriss. Sechsfach geteilt ist seine eigene
«Cavalleria»-Bühne, einzelne oder mehrere Blenden werden aufgezogen.
Synchronhandlungen in Schwarzweißoptik ermöglicht das, wie parallel
laufende Filme, gelegentlich gibt es auch projizierte Close-ups:
Fellini auf Expressionismus getrimmt.
Die Idee ist nicht
unbedingt neu – und birgt eine Gefahr. Ob man Mascagnis Einakter
durch solche Effekte nicht fragmentiert? Das Gegenteil ist der Fall.
Zu einem Viertel ist die Partitur schließlich durch
«Unterbrechungen» gekennzeichnet, man denke nur an Frühlings-,
Maultreiber- oder Osterchor inklusive Trinklied. Jetzt, durch die
Überblendung von Massenszene und Mikromoment, entfaltet «Cavalleria»
eine stringente, virtuos choreografierte und bühnentechnisch perfekt
realisierte Dramaturgie. Das «Ineinanderspiel von Ritus und
persönlicher Handlung», wie es der Schriftsteller W. H. Auden
genannt hat, in Salzburg wird’s zum Ereignis. Nach der Pause
schlendert das «Cavalleria»-Personal zu «Pagliacci» herein. Alles
nur gespielt, sagt das – und wird doch nicht mehr richtig
fortgeführt. Wieder geteilte Bühne, wieder Parallelereignisse, doch
das Konzept verfängt nicht mehr richtig. Auch, weil vieles wie
durchgestellt wirkt, im vorösterlichen Salzburg ist die Probenzeit
bekanntlich knapp und teuer.
Mutmaßlich hat das einen Gutteil
der Gala-Gemeinde wenig interessiert, Hauptsache, der Tenorissimo
ist dabei. Jonas Kaufmann gibt derzeit wie weiland Domingo den
Rollenfresser. Eben noch Radames-Debüt in Rom, nun das für ihn neue
Doppel Turiddu/Canio. Wieder staunt man über die Töne aus dem
Vokalkraftwerk, über die nie erschlaffende Energie auch im Leisen,
über die dominierende, andere aber nie wegdrückende Präsenz. Doch
auch auf den anderen Positionen gibt es nur 1-A-Solisten: Liudmyla
Monastyrska (Santuzza) ist der Musterfall einer Dramatischen, die
ihren Sopran – im Gegensatz zu Kaufmann – ohne Verspannungen ins
Piano dimmen kann, auch Ambrogio Maestri (Alfio) und Dimitri
Platanias (Tonio) machen ihre Sache fabelhaft, Maria Agresta drängt
zum Diventon, die Nedda ließe sich leichter besetzt denken. Das
größte Stimmereignis geschah allerdings im Verdi-Requiem: Wer Anita
Rachvelishvili in der Mezzo-Historie einordnen will, der muss schon
hochgreifen und weit zurückdenken.
Zwei Spielzeiten, 2015 und
2016, mit Opern-Italianità also. Christian Thielemann wird dabei
nicht müde zu betonen, dass er Verdi oder Puccini während seiner
Galeerenjahre «rauf und runter» dirigiert hat. Unbefriedigte
Wagnerianer brauchen da noch ein wenig Geduld. Zum 50. Geburtstag
der Osterfestspiele soll angeblich eine neue «Walküre» herauskommen.
Was für eine beziehungs- und anspielungsreiche Tradition, in die
sich der künstlerische Leiter stellt: Es ist jenes Stück, mit dem
Herbert von Karajan 1967 sein Privat-Event eröffnet hatte.