Wo Graphic Novel und Postpostmoderne zusammenfinden:
Christian Thielemann und Christoph Stölzl versuchen sich in Salzburg
an den beiden Kurzopern »Cavalleria rusticana« und »I Pagliacci«
Sie gingen hart ran an die Realität, diese Komponisten.
Alltagstypen und Außenseiter holten sie ganz nach vorn, die ohne
Happy End auf der Strecke blieben: zuerst eine Zigarettenarbeiterin,
die man heute als Carmen verehrt, dann all die Leute, die zeitnah am
echten Leben litten und leiden. Man spricht immer noch von verismo,
aber nichts altert so schnell wie die Realität, gerade in der Oper.
Das Liebesleben italienischer Provinzler um 1890 war schon zwanzig
Jahre später ein dankbares Genrebild, und so ging es bald im
Doppelpack auf Erfolgskurs in Sachen Eifersucht (von Insidern gern
Cav/Pag genannt): Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni und I
Pagliacci von Ruggero Leoncavallo.
Ehebruch geht immer, und
wenn es gut klingt, umso besser. Das ist das Erfolgsgeheimnis der
beiden Kurzopern, und nicht irgendeine gesellschaftliche Brisanz,
mit der man das Publikum der Salzburger Osterfestspiele wohl nur
nerven würde. Up to date möchte man hier trotzdem sein, und da ist
ein cinematografisch versierter Endvierziger wie Philipp Stölzl
genau der richtige Regisseur. Er hüllt die Cavalleria ins
Schwarz-Weiß frühen Kintopps ein und macht die große Bühne des
Festspielhauses zum Split Screen. Auf zwei Etagen finden sich sechs
Fächer verteilt, darin man Kirche, Kneipe, Kämmerlein sieht oder
auch mal in Großaufnahme Lola am Dachfenster bei der Zigarette
danach, alles sehr hübsch.
An optischen Querverweisen fehlt
es nicht. Die halb plastische, halb gemalte Ausstattung der Fächer
verbindet Graphic Novel mit Expressionismus und die Postpostmoderne
mit Klamotten von 1900, und durch die Zitatenvirtuosität wird der
Plot noch einfacher, als er es ist. Lolas Mann Alfio (grandios:
Ambrogio Maestri) ist hier ein so brutaler Halbmafioso, dass er es
verdient hat, gehörnt zu werden, und außerdem sieht Jonas Kaufmann
als Turiddu viel zu gut aus, als dass ihm nicht die schärfste Braut
(Annalisa Stroppa) zustünde. Seiner stimmlichen Entfaltung kommen
die Aktionskästchen allerdings nicht so entgegen wie der
sitzengelassenen Santuzza: Liudmyla Monastyrska ist wirklich
bewegend.
Sonst aber eigentlich nichts. Wo der Scherenschnitt
jegliche Psychologie ersetzt, bleiben die Emotionen ebenso im
Kästchen wie jeder Gegenwartsbezug (der sich in Cav/Pag durchaus
herstellen lässt, wie Calixto Bieito in Hannover bewiesen hat). Die
Dresdner Staatskapelle kommt derweil kaum aus dem Klangteppich
heraus, den ihr Chef Christian Thielemann im Graben entrollt. Dass
Achtel federn könnten wie eine Matratze, dass Synkopen die Wut des
Gehörnten antreiben können, das hat man schon im unverklemmten
Dresden des 18. Jahrhunderts besser gewusst. Viel näher als
Mascagnis Partitur ist den Musikern die Sprache Leoncavallos, näher
an Wagner, artifizieller auch, subtiler. Da wird Thielemann spannend
und verbindlich. Und Jonas Kaufmann, eben noch als Turiddu
abgestochen, ist nun Canio, der selbst ein sündiges Paar schlachtet.
Neben seinem dringlichen, dunkel timbrierten Tenor beeindruckt
Kaufmanns darstellerische Intensität. Diesem Bajazzo, der auf einer
Jahrmarktsbühne einen Gehörnten spielen muss und selbst einer ist,
glaubt man die Not. Auch alle anderen sind glänzend besetzt; vom
kristallklar singenden Harlekin (Tansel Akzeybek) bis zur
freiheitssuchenden Ehebrecherin (Maria Agresta) beantworten sie ein
paar Fragen, die der Regisseur den Figuren gar nicht erst stellt.
Denn Stölzl steckt nun fest in seinem Split Screen, und statt der
schwarz-weißen Graphic Novel kommt das knallbunte
Ausstattungstheater der 1960er Jahre zum Vorschein.
Die
Absicht hinter dekorativ fröhlichen Chorauftritten und einem
Gestenvokabular aus der Mottenkiste lässt sich nicht ergründen,
vielleicht gibt es einfach keine. Gerade dieser Regisseur, vertraut
mit hybrider Multimedialität, hätte I Pagliacci daraufhin abklopfen
können, was sie uns über die Verschmelzung von individuellen und
virtuellen Emotionen zu sagen haben. Nur weil die Gegenwart
übermorgen schon wieder Patina angesetzt haben wird, braucht man
noch lange nicht an ihr vorbeizugehen. Man muss sicher nicht gleich
ein Facebook-Drama basteln, aber doch fragen: Was geht uns das alles
an, von Sex und Liebe einmal abgesehen? Auch dafür, dass diese Frage
an diesem Abend nicht gestellt wurde, hat sich das Festspielpublikum
begeistert bedankt.