DrehPunktKultur, 29/03/15
Von Reinhard Kriechbaum
 
Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
 
Das ist wie großes gutes altes Kino
 
Wir sind eigentlich nicht in der Oper, sondern im Kino (wohin man neuerdings ja auch Opernaufführungen von der MET überträgt). Und in diesem Kino – es hat deutlich nostalgischen Einschlag – sehen wir: Auch Künstler sind Menschen, wenn es um Frauen geht. Und Mafiosi ebenso.

Ein Film läuft ab. Regisseur Philipp Stölzl, auf der Opernbühne genau so daheim wie hinter der Kamera, hat auf die Bühne des Großen Festspielhauses gleich sechs Kleinbühnen bauen lassen für „Cavalleria rusticana“. Er macht aus Pietro Mascagnis „öffentlicher“ Oper auf einem sizilianischen Dorfplatz nämlich jenes Kammerspiel, das es eben auch sein kann: Während wir an dem einen Spielort die Dorfbewohner aus Altar-Perspektive in der Kirche versammelt sehen und fromme Oster-Choräle singen hören, lugt Turridu im Unterhemd aus Lolas Fenster. Gerade hat er mit der jungen Dame ein Schäferstündchen erlebt. Ein anderes Klein-Bühnenfenster zeigt uns, wie Turridus Verlobte Santuzza den Untreuen im Stiegenhaus vor Lolas Wohnungstür abfängt.

Und wieder andere Fenster: Lolas Mann Alfio, der Fuhrwerker, ist in Wirklichkeit ein Ober-Mafioso und kassiert in einem Lokal Schutzgeld. Auch Turridus Familie ist eingebunden ins Paten-Milieu. Die strenge Mama Lucia scheint so etwas wie die Chefbuchhalterin dieses schwarzen Familienunternehmens zu sein.

Da wird uns die Story von der sizilianischen Bauernehre in feinen cineastischen Nostalgie-Bildern neu erzählt, mit Gesten und Mimik, die in die Stummfilm-Ära zurückreicht. Mit Anspielungen auf die Filmgeschichte. Und vor allem mit vielen kleinen Ideen, die der Geschichte Saft geben, ohne dem Libretto Gewalt anzutun.

Ganz entscheidend: Was da als Guckkästchen-öffne-Dich-Spiel abläuft, ist ungemein akkurat genau der Partitur abgehört. Dem Milieu entsprechend hat Philipp Stölzl sich für das Duell von Turridu und dem gehörnten Ehemann Alfio eine überraschende, sehr plausible Lösung einfallen lassen. Mehr verraten wir hier nicht.

Es ist ein Abend der Debütanten: Jonas Kaufmann singt Turridu und Canio, den Bajazzo. Ist er ein italienischer Tenor oder nicht? Bei dieser Diskussion sollen sich die Ideologen und Dogmatiker die Köpfe einschlagen. Jedenfalls ist Kaufmann ein Sänger, der die Leuchtkraft herbeiholt, wo sie vonnöten ist, der aber in beiden Rollen nicht vorlaut mit dem Material protzt. Sein Liebeslied an Lola am Beginn der „Cavalleria“ ist kein Schmachtfetzen.

Turridu sitzt unter der Dachschräge am Küchentisch, mit dem Rücken zum Publikum. Ein leises Chanson d’amour als Hader mit der eigenen Seele… Fast kann er einem leidtun, dass er mit einer so persönlichkeitsstarken Verlobten vom Zuschnitt der Ukrainerin Liudmyla Monastyrska geschlagen ist (ein famoser dramatischer Sopran, auch völlig un-italienisch, aber hoch expressiv gestaltend).

Der zweite Debütant in Sachen Versimo vom Zuschnitt Mascagnis und Leoncavallos ist Christian Thielemann. „Pagliacci“ bringt er leichter zum Leben, weil da mehr ist an quasi-impressionistischem, Instrumentations-Filigran. „Cavalleria rusticana“ geht ihm, dem klassischen deutschen Kapellmeister, nicht so ohne weiteres von der Hand. Da sind mehr Tempodrücker als notwendig. Insgesamt widerspricht die sizilianische Glut wohl Thielemanns Wesen, das geographisch eindeutig nördlich vom Alpenhauptkamm liegt.

Und doch ist alles so klangedel, wie es der Sächsischen Staatskapelle Dresden wohl ansteht. Aber es ist nur der Weisheit, nicht der Emotion letzter Schluss. Auffällig ist das Sänger-Casting. Für die „Cavalleria“ hat man nicht nur mit Liudmyla Monastyrska als Santuzza das große Sängerlos gezogen. Auch Ambrogio Maestri, hergerichtet als grobschlächtiger Pate (und umgeben von „Bodyguards“, die auf dem Platz vor der Kirche gleich mal Turridu ins Visier nehmen), ist in seiner gefährlichen Leisheit ein mehr als rollendeckender Sänger. Lola (Annalisa Stroppa) und Mama Lucia (Stefania Toczyska) ergänzen das Ensemble gediegen.

Dagegen wirkt, mit Verlaub gesagt, das „Pagliacci“-Sängerteam wie beiläufig von Sängeragenturen bestückt. Dimitri Platanias ist ein eher grobschlächtiger Tonio, Maria Agresta (Nedda) passt insofern gut zu ihrem Liebhaber Silvio (Alessio Arduini), als sie es beide mit der Intonation weniger genau nehmen. Tansel Akzeybek ist Beppe, der seine Kavatine stimmlich recht eindimensional anlegt. Im Unterschied zur Mascagni-Oper, wo Jonas Kaufmann in ein starkes Team eingebunden wirkt, ist er als Bajazzo ziemlich einsam mit seiner Überdrüber-Gestaltungskraft. Mag durchaus sein, dass es Christian Thielemann an einschlägiger Gestaltungskraft in Sachen Italianità fehlt, um aus diesem heterogenen Nicht-Ensemble ein Ganzes zu formen.

Die „Pagliacci“-Szene: Da ist nun Farbe drin, viel Farbe. Und – naturgemäß – öfter als in der Cavalleria öffnen sich die drei Parterrebühnen zur Totale, wo wir einen ganzen Jahrmarkt sehen. „Pagliacci“ ist die Oper über das Theater, die Reflexion von Sein und Schein, vom Eingeholt- und Überrollt-Werden durch die Wirklichkeit. Da passt es gut, dass Philipp Stölzl zu Beginn das Bühnenbild fürs Publikum sichtbar herbei rollen, erst zusammensetzen lässt.

Die Geschichte vom gehörnten Bajazzo , die im Doppelmord auf offener Bühne endet, erzählt der Regisseur geradlinig. Überrreich das Arsenal an Chor-Typen. Der Dresdner Staatsopernchor und der Salzburger Bachchor laufen in Leoncavallos Oper so recht zur Vollform auf. Das ist vom Besten, was man sich nur wünschen kann.

Das Auge ist auch im „Bajazzo“ hinlänglich beschäftigt, und auch da spielt der Regisseur wieder quasi mit der Filmgeschichte. Kein putziger Folklorismus, aber viel Putziges trotzdem, das ist der Reiz der Sache. Immer wieder blendet die Kamera auf die Hauptdarsteller. So, wie wir während Mascagnis „Intermezzi sinfonico“ Santuzza in Großaufnahme erlebt und gesehen haben, wie sie hin und her gerissen ist zwischen Zorn, Trauer und Entsetzen über sich selbst (weil sie Turridu dem Mann der Nebenbuhlerin verraten hat), so erleben wir Canio, den Bajazzo, dessen roter, weit über die Wange gezogener Mund den puren Hass auf seine Frau Nedda nicht übertünchen kann. Mit solch intensiven Bildern geht Philipp Stölzl virtuos um. Dafür – und natürlich wegen Jonas Kaufmanns überragender Rollengestaltungen – wird man diesen Opernabend in Erinnerung behalten.


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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