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Salzburger Nachrichten, 29.03.2015 |
Von Karl Harb |
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Mascagni: Cavalleria rusticana, Leoncavallo: Pagliacci, Salzburg, 28. März 2015
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Cavalleria rusticana und Pagliacci: Oper als großes Gefühlskino |
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"Ausverkauft": Wenn Jonas Kaufmann angekündigt ist, sind
Veranstalter glücklich. Dass das Operndoppel der Osterfestspiele nicht nur
Starglanz hat, macht mehr als zufrieden. |
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Beginnen wir doch einmal hinter den Kulissen: Es war eine virtuose
Leistung, die die technische Mannschaft des Salzburger
Festspielhauses am Samstag zur Premiere der Osterfestspiele
erbrachte. Der Bühnenbildner, Opernregisseur und Filmemacher Philipp
Stölzl hatte sich für das gut 125 Jahre alte Operndoppel "Cavalleria
rusticana" und "Pagliacci", das gleichwohl noch nie bei Festspielen
in Salzburg aufgeführt wurde, eine komplizierte Simultanbühne
ausgedacht. Auf sechs Spielflächen in zwei Etagen hat Stölzl gut
zwei Dutzend wechselnde Szenarien für die konkret in Sizilien und
Kalabrien verorteten Operneinakter entworfen. Sie bilden nicht im
Sinne des Verismo des späten 19. Jahrhunderts realistische
Schauplätze nach, sondern sind gewissermaßen Schaufenster einer
künstlich hergestellten Opernwirklichkeit.
Dazu bedient sich
der Designer im Falle der archaischen Bauernehre- und
Ehrenmord-Story von Pietro Mascagnis "Cavalleria rusticana"
expressionistischer Bildwirkungen. Ihre Holzschnitt-Effekte erinnern
an Frans Masereels frühindustrielle Stadtlandschaften. Stölzl
erweitert diese strenge Schwarz-Weiß-Ästhetik um live gedrehte und
als Close-up hervorgehobene, neorealistisch aufgeladene Filmbilder.
Man darf da durchaus auch ans Mafiamilieu denken.
Für Ruggero
Leoncavallos "Pagliacci", das hochdramatisch vexierbildhaft
angelegte Spiel um Kunst und Leben, das die heitere Commedia einer
Wandertruppe zur mörderisch ernsten, tödlich endenden
Eifersuchtstragödie werden lässt, bietet Philipp Stölzl ein noch
üppigeres Bildinventar auf: ein überbordendes, entsprechend
malerisch hergestelltes Jahrmarktsbuden-Panorama zu ebener Erd'
seiner Szenerie, Wohnwagen und zentrale Pawlatschen für die
persönliche Tragödie im ersten Stock. Auch hier spielt das filmische
Element eine wesentliche Rolle, holt vor allem das zur
Eifersuchtstat entschlossene, zugleich aber auch (ver-)zweifelnde
Gesicht des Prinzipals Canio nah heran. So spielt Stölzl virtuos mit
dem Wechsel von Distanz und Nähe, Direktheit und Stilisierung,
wirklicher und artifizieller Ebene.
Dass vor allem in
"Cavalleria rusticana" damit die psychologische Zeichnung der
Figuren, ja, überhaupt die Zielgerichtetheit der dramatischen
Handlung an die Seite gedrängt wird, muss man angesichts der -
gleichwohl immer exzellent gebändigten - Bilderwut des Regisseurs in
Kauf nehmen.
Da kommt es zumeist auf die Qualität der
Singschauspieler an, und hier kann dem Tenorstar Jonas Kaufmann
ohnehin weder auf der breitwandig großen Bühne noch auf den kleinen
Bühnen dieser Szenenlandschaft jemand auch nur annähernd das Wasser
reichen.
Kaufmann ist derzeit unbestreitbar auf dem Höhepunkt
seiner Karriere. Die Stimme des 45-Jährigen wirkt in ihrem
unverbrüchlichen Strahl wie im betörenden Legato und Schmelz seiner
Linienführung und Tonbildung nicht nur ausgeruht, sondern in jeder
Lage und Nuance unverwechselbar charakteristisch: ein unbegrenzt
flexibler, dabei passgenau fokussierter Tenor von unangestrengter
Brillanz und Ausstrahlung, geschmeidig und ohne falschen Druck,
farbenreich und glaubhaft in dem, was er künstlerisch und menschlich
erzählt.
Mit diesen zwei Debüts als - eher unterforderter -
Turridu und packender Canio hat er seinem fast beängstigend rasant
wachsenden persönlichen Repertoire zwei weitere Signaturrollen
eingeschrieben. Und den Osterfestspielen jenen Starglanz verliehen,
der in solcher künstlerischen Ehrlichkeit ein rarer Glücksfall ist.
Das kommt tatsächlich exakt zur richtigen Zeit.
Die Ensembles
um ihn herum sind verschieden gewichtet. Mächtig trumpfen die Sänger
in "Cavalleria rusticana" auf, Liudmyla Monastyrska als Santuzza,
Ambrogio Maestri als Alfio, Stefania Toczyska als Mamma Lucia. Apart
bleibt Annalisa Stroppas verführerische Lola.
Im Vergleich
mit diesen großen Stimmkalibern wirken die Solisten der "Pagliacci"
eher leichtgewichtig besetzt: Maria Agresta als Canios Frau und
"Colombine" Nedda, Dimitri Platanias als buckliger Außenseiter
Tonio, Alessio Arduini als Silvio, der Liebhaber Neddas und Auslöser
der Katastrophe, Tanzel Akzeybek als "Harlekin" Beppe.
Christian Thielemann hatte mit der ausgeprägten Bühnenarchitektur
gewiss kein leichtes Spiel, lässt sich aber nicht uninteressiert
darauf ein. Die Herausforderungen der "Pagliacci" (die er schon aus
Nürnberger Kapellmeisterjahren kennt) scheinen ihm dabei in ihren
plastisch-dramatischen und musikalisch ergiebigen, in Richtung
Puccini abzielenden Eigenheiten weit besser zu liegen als die
breiten, koloristischen, romantisierend ausgemalten, zugleich aber
auch oft verknappten Klangsituationen der für ihn neuen
"Cavalleria". Da fremdelt er doch noch deutlich.
Auch die
Staatskapelle brauchte diesmal größere Einschwingvorgänge, ehe sie
ihre charakteristischen Klangfarben voll(er) ausspielen konnte. Aber
das sind Details, die das einhellig bejubelte große Ganze kaum
schmälern.
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