Märkische Zeitung, 04. Oktober 2010
Harri Wangerin 
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Berlin, Deutsche Oper, 2. Oktober 2010
Eine Sternstunde der Oper   
 
Weltstars im furiosen Premierenauftakt an der Bismarckstraße mit „Adriana Lecouvreur“
BERLIN ▪ Am 6. November 1902 hob Enrico Caruso in der Rolle des „Maurizio“ Francesco Cileas Opernhit „Adriana Lecouvreur“ im Teatro Lirico in Mailand aus der Taufe. Seitdem haben sämtliche Tenöre, die auf sich halten, diese Partie verkörpert. Und auch in der konzertanten, ersten Premiere der neuen Spielzeit stand am Samstagabend mit dem Deutschen Jonas Kaufmann ein ganz großer, wenn nicht derzeit der Größte seiner Zunft auf der Bühne in Charlottenburg. Er ließ absolut keinen Wunsch offen und bestätigte seine Ausnahmestellung mühelos und schönstimmig.

Der 1866 in Palmi/Kalabrien geborene und 1950 in Varazza/Savona gestorbene Francesco Cilea hat sechs Opern komponiert, von denen sich nur diese, nach einem Schauspiel von Eugène Scribe und Ernest Legouvé, auf ein Libretto von Arturo Colautti entstandene, dauerhaft in den Spielplänen der Opernhäuser halten konnte. Eine verworrene Geschichte aus dem Paris des 18. Jahrhunderts um die Liebe zweier Frauen, der Fürstin von Bouillon und der berühmten Schauspielerin Adriana Lecouvreur, zu demselben Mann, dem Fürsten Moritz von Sachsen (Maurizio), samt einer eingefügten „Theater-auf-dem-Theater“- Szene. Nach Arien, Duetten, Ensembles und raffinierten Finals, endet die Hauptdarstellerin tragisch am Duft vergifteter Veilchen, den sie einatmet. Weder der verzweifelte Maurizio, noch Michonnet, ihr an unerwiderter Liebe leidender väterliche Freund, können die Vielgeliebte retten.

Das im Nachgang des „Verismo“ gehaltene Werk verlangt neben einem höhensicheren Tenor eine Sopranistin für die Titelrolle, die nicht nur beseelt singt. Sie muss zudem über einen gewaltigen Atem und hohe Gesangskultur verfügen, um den von Cilea komponierten, meist in einem Crescendo gipfelnden, unendlichen Phrasen gerecht zu werden. Und tatsächlich, sie war da und sang neben und mit Jonas Kaufmann. Die Diva des Verismo, der rumänische Opernstar Angela Gheorghiu.

Ihr Spintosopran verführt mit Schwelltönen, die sich von den erklommenen Gipfeln in die Ohren, von dort ins Gehirn und dann ins Herz bohren; man möchte, dass diese Töne niemals enden mögen. Die Sängerin weiß um ihre Einmaligkeit, spielt mit ihren Kollegen, dem Dirigenten und ihrem fasziniert lauschenden Publikum. Und wer so singt, wie sie, dem wird das manchmal störende, manierierte „Divenrepertoire“, das jede ihrer Szenen begleitet, verziehen. Am Ende stehen Angela Gheorghiu und der nicht minder attraktiv, teils mit Kopfstimme singende, virile Jonas Kaufmann im tosenden Applaus und Bravotaumel eines begeisterten Publikums.

Auch Anna Smirnova, mit einem voluminösen Mezzosopran gesegnet, räumt für ihre mitreißende Darstellung der Fürstin von Bouillon ebenso beim Publikum ab, wie der über sich hinauswachsende, ebenbürtige Markus Brück, der seinen Prachtbariton der Partie des Michonnet lieh. Stephen Bronk als betrogener Fürst von Bouillon und Burkhard Ulrich als kauziger, durchtriebener Abbé von Chazeuil waren am Erfolg dieses Abends beteiligt. Die Mitglieder der Comédie-Francaise, La Jouvenot, La Dangeville, Quinault und Poisson, wurden mit Hulkar Sabirova, Katarina Bradic, Krzysztof Szumanski und Gregory Warren aus dem Ensemble rollendeckend besetzt. Der im zweiten Teil agierende Chor war präzise von William Spaulding einstudiert.

Großen Anteil an dieser „Sternstunde der Oper“ hatte das wunderbar differenziert musizierende Orchester unter der Leitung des enorm einfühlsamen Marco Armiliato, der die Musikalität sozusagen mit der Muttermilch eingesaugt hat. Beide Elternteile sind berühmte Opernsänger. Für die Delikatesse, mit der er die Introduktionen und Zwischenspiele leitete und die Hingabe, mit der er die Sänger auf musikalischen Händen trug, war auch ihm und seinen Musikern der Begeisterungssturm des Hauses sicher.

Ein denkwürdiger, großer Abend in der Deutschen Oper Berlin, der die Rückkehr in den normalen Opernalltag schwer fallen lässt.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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