Der Tagesspiegel, 03. Oktober 2010
Von Frederik Hanssen
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Berlin, Deutsche Oper, 2. Oktober 2010
Vergiftete Veilchen  
 
Hier stimmt alles: „Adriana Lecouvreur“ konzertant an der Deutschen Oper Berlin

In seiner Zeit als Intendant der Pariser Oper saß der legendäre Rolf Liebermann bei wirklich jeder Vorstellung im Zuschauerraum. Gefragt, warum er sich das antue, antwortete der Komponist: „Es gibt in jeder Saison zwei, vielleicht drei unvergessliche Abende. Die will ich nicht verpassen.“ Wer sich am Sonnabend ein Ticket für die konzertante Aufführung von Francisco Cileas „Adriana Lecouvreur“ an der Deutschen Oper gekauft hatte, erlebte so eine Sternstunde. Eine jener raren, beglückenden Aufführungen, die sich in die Erinnerung einbrennen, weil wirklich alles stimmt, weil sich hier das vermessene Versprechen des Musiktheaters – nämlich alle Sinne gleichzeitig zu reizen – tatsächlich einlösen ließ.

Cileas 1902 in Mailand uraufgeführter Vierakter erzählt vom tragischen Ende einer berühmten Schauspielerin des 18. Jahrhunderts, die in Liebe zum Kriegshelden Moritz von Sachsen entbrennt und darum von ihrer adligen Nebenbuhlerin mittels eines vergifteten Veilchenstraußes ermordet wird. Eine Rolle, wie maßgeschneidert für Angela Gheorghiu. Die rumänische Sängerin repräsentiert das Diventum der alten Schule: Hinter den Kulissen eine gefürchtete Zickenkriegerin, auf der Szene der natürliche Mittelpunkt, die Inkarnation weiblicher Eitelkeit, mit betonierter Ebenholz-Wasserwelle und schwarzem Collier zur bodenlangen Robe in Granit. Makellos leuchtet ihr Lirico- spinto-Sopran, maximal manieriert gestaltet sie das Pianissimo, mit trügerischer Bescheidenheit, die nur darauf angelegt ist, den Spitzenton umso effektvoller setzen zu können. Faszinierend, dieser Frau zuzuhören und zuzuschauen, die sich gegen alle Regeln des modernen Klassikbusiness mit seinen publikumsnahen, „anfassbaren“ Stars weiterhin zum unnahbaren Kunstwesen stilisiert.

In jeder Hinsicht das Gegenteil der Gheorghiu ist ihre Gegenspielerin an diesem Abend: Anna Smirnova trägt eine praktische Kurzhaarfrisur von undefinierbarem Farbton, versucht vergeblich, ihre nicht idealen Formen durch einen Pailletten-Kittel zu kaschieren – und singt die Fürstin von Bouillon mit so viel dramatischer Attacke, so viel echter, bewegender Leidenschaft, dass sie am Ende mindestens so viel Applaus bekommt wie die Titelheldin.

Objekt beider Begierde, und Anlass für die allermeisten im Saal, Ticketpreise bis zu 120 Euro zu bezahlen, ist Jonas Kaufmann. Gefragter ist derzeit kein Tenor auf dem Musiktheatermarkt, und vielseitiger wohl auch nicht. Ebenso stilsicher, wie er sich im deutschen und französischen Repertoire bewegt, geht der Münchner das italienische Fach an, lässt die Kantilenen erblühen, strotzt vor viriler Stimmkraft, streut raffiniert sentimentale Schluchzer ein ohne ins Plump-Kitschige abzugleiten. Am schönsten, weil am musikalischsten, aber sind die leisen Passagen, wenn Kaufmann sich bewusst zurücknimmt, feine Linien nachzeichnet, gekonnt Diminuendi gestaltet.

Bis in die kleinste Nebenrolle sind hier alle Partien glänzend besetzt, Burkhard Ulrich gibt einen perfiden, speichelleckerischen Abbé und Markus Brück, der feinsinnige Menschengestalter, macht den unglücklich liebenden Michonnet zum Held der Herzen in diesem bösen Intrigenspiel.

Francisco Cileas Melodien sind genuin italienisch, beim Orchesterklang aber hat er sich viel bei der französischen Schule abgelauscht, namentlich vom damals gefeierten Jules Massenet. Dirigent Marco Armiliato gelingt es, die ganze Farbigkeit dieser Partitur aufzufächern, den Konversationston, der das durchkomponierte Stück prägt, leicht und elegant zu halten, in den lyrischen Momenten mit seinen Protagonisten zu atmen. Und das Orchester des Hauses wächst über sich hinaus, vermag die Handlung mit bloßen akustischen Mittel so lebendig, so packend zu erzählen, dass die fehlende Inszenierung in keinem Moment als Mangel empfunden wird. Ein toller, ausdauernd bejubelter Erfolg zur rechten Zeit, der einen Tag vor dem offiziellen Start der Staatsoper im Schillertheater eine klare Botschaft aussendet: Wer an der Bismarckstraße große Oper im großen Haus sehen will, wählt weiterhin die Deutsche Oper.






 
 
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