Merkur, 24.03.2024
Von: Markus Thiel
 
Ponchielli: La Gioconda, Salzburger Osterfestspiele, ab 23.3.2024
Bis zum letzten Stich: „La Gioconda“ bei den Osterfestspielen
 
„La Gioconda“ wurde unterm Mönchsberg noch nie gespielt. Zu Unrecht, wie vor allem Dirigent Antonio Pappano vorführt. Während sich Anna Netrebko in die Titelrolle wirft, singt Jonas Kaufmann mit angezogener Handbremse (Handlung am Ende der Kritik).

Ihre späte Opernschwester im Geiste verabschiedet sich mit einem tödlichen Sprung: Das Letzte, was Tosca sieht, ist die an ihr vorbeirauschende Fassade der Engelsburg. La Gioconda, die Frau ohne Namen, ebenfalls bedroht von einem notgeilen älteren Kerl, nimmt Gift. Normalerweise. In Salzburg meuchelt sie rechtzeitig und überlebt mit irrem Blick ins Parkett, und man weiß nicht, was besser ist für diese Frau. Was man aber weiß: Es ist egal, weil wegen etwaiger Regie-Spitzfindigkeiten ja kaum jemand eine Karte für die Osterfestspiele kauft. Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, eventuell noch Antonio Pappano, das sind heuer Argumente genug für maximal 490 Euro pro Person.

Und vielleicht, nach Genuss der Premiere, auch dieses Stück. „La Gioconda“ von Amilcare Ponchielli wird nördlich der Alpen kaum gespielt. Dabei ist es ein Opern-Blockbuster mit den perfekten Zutaten, sogar in leichter Überwürze: Es gibt gleich zwei Bösewichte und zwei liebende Frauen um einen Tenor-Lover, Melodien am laufenden Partiturmeter, effektvolle Chor- und Ballettszenen, der „Tanz der Stunden“ schaffte es immerhin ins Kurkonzert.

Antonio Pappano als einer der besten Opernhandwerker
Wie man das alles mixt, mit Geschmack und ohne Ponchiellis Angeboten reflexionslos zu erliegen, das führt auf überwältigende Weise Antonio Pappano vor. Mit der römischen Accademia Nazionale di Santa Cecilia ist er für eine Ostersaison an der Salzach gebucht. Wo andere den Vierakter zum frühen Verismo aufdonnern, ist hier anderes zu hören: enorme Energie, aber eben auch viel Eleganz. Ein über- und farbreiches Klangbild, edel und warm timbriert. Ein Sensorium für Details ohne Puzzeleien. Gleichzeitig eine enorme Flexibilität, Tempo- und Atmosphärenwechsel auf engstem Raum, die Pappano, einer der besten Opernhandwerker und Sängerversteher, mühelos herstellen kann.

Keiner wird hier überfahren, auch Jonas Kaufmann nicht. Enzos Arie „Cielo e mar“ hat er sich zwischen Zärteln und raumgreifenden Vokalgesten inklusive Schweller auf dem Schlusston zurechtgelegt. Ansonsten wagt sich der Wahl-Salzburger nicht ganz aus der Deckung. Alle Töne sind da, aber manchmal mattiert bis grau, eine Deutung (wie schon beim letztjährigen Tannhäuser) mit angezogener Handbremse. Anna Netrebko klingt dagegen so, als sei sie von Ponchielli mit einer Maßanfertigung vorausgeahnt worden. Die Gioconda fordert viel Mittellage, kaum Spitzentöne, und da entwickelt die Stimme der Netrebko satte, offensive Resonanz. Für gelegentliche Gipfelgänge gibt es ein feines Flötenregister. Und für den Charakter dieser Opernfigur zwischen flammendem Eros, Mordlust und großmütigem Verzicht eine starke bis schonungslose Charakterstudie.

Regisseur Oliver Meads zeigt La Giocondas Vorgeschichte
Regisseur Oliver Meads, Direktor des koproduzierenden Royal Opera House in London, hat sich seine eigenen Gedanken über das Vorleben von La Gioconda gemacht. Eine „Straßensängerin“, so heißt es bei Ponchielli und Librettist Arrigo Boito, der dafür ein Schauspiel von Victor Hugo auf Opernformat zurechtbog. Eine Traumatisierte, Missbrauchte, das ist sie in Salzburg. Zum Vorspiel muss sie auf Geheiß ihrer Mutter Männer beglücken, auch ihren späteren Widersacher Barnaba. Das bringt Geld, vor allem für die fuchspelzgewandete Mama. Immer wieder scheint diese Vorgeschichte durch, auch in den Ballettszenen. Einmal muss die Arme zum Psychodoktor, der sie mit Elektroschocks quält – der Mann (nur eine Vision?) entpuppt sich als Barnaba. Und zum Showdown, wenn die Gereifte für ihn die Beine breit macht, sticht sie stückwidrig mit dem Messer zu.

Vom Psychothriller ist das weit entfernt, der Salzburger Abend glimmt auf Küchenpsychologie-Stufe. Meads holt das Stück ins Venedig von heute, für das ihm Philipp Fürhofer diffuse historisierende Kulissen gebaut hat. Fürchten sich im Original alle vor den Fängen der Inquisition, gibt es hier Anzugträger, die Mafiosi spielen und eine bunte, teils kurzbehoste Touri-Truppe zum Dinner an der Lagune bitten. Wer will, darf sich wie die Netrebko in ihre Rolle werfen. Jonas Kaufmanns Enzo entert mit Matrosenmütze als Freddy-Quinn-Wiedergänger die Szene und ist ansonsten mit oft erprobter Gestik unterwegs. Als er später im dunklen Zwirn die Schickis mit der Pistole bedroht, hat das kaum Wirkung.

Doch dafür ist auf den übrigen Vokalpositionen manches zu bestaunen. Luca Salsi gibt als Barnaba den prachtvollen, nimmermüden Baritonfiesling. Eve-Maud Hubeaux ist eine großformatige Laura, in deren Gesang sich Herbes, auch Saures mischt, das perfekte Kontrastmittel zur Netrebko. Tareq Nazmi könnte von den Bass-Anlagen her ein so herrischer wie belcantesker Inquisitor Alvise sein, doch ausgerechnet in seiner Arie singt er sich fest. Dafür gibt’s, wie übrigens im Falle Kaufmann, gedämpften Beifall. Standing Ovations dagegen für die Netrebko, besonders für Pappano. Ein Übergangsjahr verstreicht noch, bis 2026 die Berliner Philharmoniker für eine mehrjährige Oster-Residenz zurückkehren. Nach dieser „Gioconda“ erwischt man sich beim Gedanken: Mit Pappano und seinen Römern hätten die Festspiele gern eine Dauer-Affäre eingehen können.













 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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