Ponchielli: La Gioconda, Salzburger Osterfestspiele, ab 23.3.2024
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Anna Netrebko in "La Gioconda": Am Ende triumphiert die Frau |
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Nach längerer Abstinenz tritt Anna Netrebko wieder in Salzburg auf – neben
Jonas Kaufmann. Kann die russische Starsopranistin an vergangene Erfolge
anknüpfen?
Anna Netrebko ist zurück in Salzburg. Dort, wo bei den
Sommerfestspielen ihre Karriere einst zum ultimativen Höhenflug ansetzte und
wo sie seither gewissermaßen zum Inventar gehörte. Salzburg, das die
russische Sopranistin seit Putins Krieg in der Ukraine gemieden hat, wird
ihr doch toxische Nähe zum Herrscher im Kreml nachgesagt, was sie
bestreitet. Jetzt – und erstmals bei den Osterfestspielen – steht Anna
Netrebko im Großen Festspielhaus wieder auf der Bühne, in einer Titelrolle,
die einer mit allen Wassern vokaler Darstellungskunst gewaschenen
Interpretin bedarf: "La Gioconda".
Die Oper von Amilcare Ponchielli
ist so etwas wie die italienische Variante der französischen Grand opéra.
Breit angelegte szenische Tableaus, üppige Chöre, ein Sextett von Solisten
mit raumgreifenden Partien. Das Libretto (nach Victor Hugo) stammt von
keinem Geringeren als Arrigo Boito, dem Texter der letzten Verdi-Opern, und
ist kunstvoll verästelt. In aller Kürze: Barnaba, Spion der venezianischen
Inquisition, ist süchtig nach der Straßensängerin Gioconda, die jedoch den
Adeligen Enzo liebt, der wiederum sein Herz an Laura verloren hat, die
ungewollt mit dem Inquisitions-Oberen Alvise verheiratet wurde – ein
Beziehungsgeflecht, das Barnaba für sich nutzbar macht, wozu er sich
Giocondas blinder Mutter bedient ...
Die Regie nimmt das Stück beim
Wort Regisseur Oliver Mears versagt diesem Stoff eine grundlegende
Umdeutung, er belässt ihn am angestammten Ort, in Venedig, wenn auch, wie
ersichtlich, einem heutigem. Mears nimmt das Stück beim Wort, ergänzt es
allerdings an einigen Stellen, was der Logik des Geschehens zugutekommt.
La Gioconda – "die (ins Deutsche übersetzt) Heitere"? Von wegen. Zu den
Klängen der Ouvertüre zeigt die Inszenierung drastisch, wie die Titelfigur
wurde, was sie ist: von Barnaba vergewaltigt als Mädchen gegen Barzahlung an
die Mutter. Das macht die eigentliche Handlung, macht Barnabas anhaltendes
Triebbegehren und Giocondas Grausen vor diesem Mann plausibel. Später, im
dritten Akt, wird diese Vorgeschichte nochmals aufgegriffen. An dieser
Stelle der Oper gibt es den berühmten "Tanz der Stunden", eine
Balletteinlage nach französischem Muster. Für jeden Regisseur eine
Herausforderung, denn wie geht man um mit dieser Tanzkonvention, mit der
schon ein Richard Wagner fremdelte?
Die Vor-Vorgeschichte der
Gioconda Oliver Mears lässt das Ballett aufführen, als Vor-Vorgeschichte
der Vergewaltigung. Der Tanz (Choreografie: Lucy Burge) zeigt das
Vater-Mutter-Kind-Glück von Giocondas Herkunftsfamilie, doch dann stirbt der
Vater, die Hinterbliebenen stehen ohne Geld da, worin Barnaba seine perfide
Chance erkennt, siehe oben. So lange, bis Gioconda (getanzt von Liudmila
Konovalova) sich mit ihren Reizen und Fähigkeiten selbst ihr Auskommen zu
schaffen weiß. Vielleicht eine etwas einfach gestrickte Erzählung, im
Kontext der Handlung aber auch: einfach schlüssig.
Am Ende der Oper
weicht Regisseur Mears dann doch vom Libretto ab. Nicht Gioconda erdolcht
sich angesichts des sie bedrängenden Barnaba, vielmehr ersticht sie ihren
Peiniger. Eine Befreiungstat, die heutigen Augen folgerichtiger erscheint
als der Selbstmord der Frau. Eine Selbstermächtigung mit tiefem Sinn, lässt
die Inszenierung sie doch im selben Bühnenbild erfolgen wie zu Beginn die
Vergewaltigung. Wirken die hohen Mauern hier klaustrophobisch, so vollbringt
Ausstatter Philipp Fürhofer, ein gebürtiger Augsburger, in allen anderen
Szenen das Kunststück, ein Venedig-Setting zu entwerfen, das ohne
ikonografisch Abgegriffenes auskommt. Der Blick geht auf die flache Lagune,
ein paar Anlegepfähle, Arkadenarchitektur, das genügt zur Lokalisierung. Das
Tüpfelchen obenauf setzt der dunstige Atmosphärenzauber von Fabiana
Picciolis Lichtregie.
Pappano und sein Orchester sind ein superbes
Gespann Das Gastorchester der Osterfestspiele in diesem Jahr ist die
Accademia Nazionale di Santa Cecilia aus Rom unter der Leitung ihres
langjährigen Chefs Antonio Pappano. Ein superbes Gespann, denn Pappano
versteht Ponchiellis manchmal knotig gestrickte Handwerkskunst zu einem
faszinierend farbigen Bildteppich zu weben, die Dramatik der Musik immer
wieder neu zu schürzen, aber auch die oft krassen Brüche in eine bündige
Reihe zu bringen. Und das Orchester folgt minutiös mal mit
Kantilenenschmelz, mal mit herber Klangattacke. Der Chor, im Kern ebenfalls
von der Accademia, trifft meisterhaft die situativen Affekte, hätte jedoch
eine bessere Szenenführung verdient gehabt als Hüftwiegen und Ringelreihen.
Luca Salsi ist ein Barnaba von geboten männlich-vokaler Vehemenz, darin
aber auch etwas einseitig, zulasten der gestalterischen Finesse. Für Jonas
Kaufmann enthält die geradlinige Rolle des Enzo nicht allzu große
Herausforderungen, und so bietet er gewohnt hohes Niveau bei den kraftvollen
Aufschwüngen, während man den verhalteneren Momenten anmerkt, dass langsam
Herbst einzieht in diese schöne Tenorstimme. Der Alvise gehört dank Tareq
Nazmi zu den interessantesten Charakteren der Produktion, dagegen singt
Eve-Maud Hubeaux zwar ausgesprochen klangbewusst, hat aber mit der Laura,
wie Kaufmanns Enzo, keinen komplexen Charakter zu formen. Vorzüglich
Agnieszka Rehlis als blinde Mutter mit stets durchhörbarem Schuldkomplex.
Wo Anna Netrebko zugelegt hat Anna Netrebkos Stimme verfügt im
Lyrischen nicht mehr über den betörend seidigen Glanz von einst. Umso
eindrücklicher ist inzwischen ihr unteres Register, dessen Volumen und
Klangschönheit manch genuiner Altistin zur Ehre gereichen würde. Damit ist
die Sopranistin prädestiniert für die Gioconda, die weniger durch
Spitzentöne zu brillieren, als vielmehr – bespielhaft in ihrer Arie
"Suicidio" – die mittlere und tiefe Lage auszuspielen hat. Auch wenn
Netrebko im Piano-Bereich nicht mehr alles gelingt, gibt es doch Momente, an
denen sie ihre Kunst einzigartig zu entfalten vermag, das Auf- und Abblenden
der Stimme, der Reichtum der Klangfarben. Anna Netrebkos Gioconda ist eine
Demonstration, ihre Salzburg-Rückkehr ein Triumph.
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