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Der Standard, 24. März 2024 |
Ljubiša Tošić
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Ponchielli: La Gioconda, Salzburger Osterfestspiele, ab 23.3.2024
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"La Gioconda" punktet in Salzburg mit Netrebko und Kaufmann |
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Die Osterfestspiele zeigen die starbesetzte Rarität. Die Regie von
Oliver Mears aktualisiert sanft, bleibt aber in Summe etwas bieder
Es ist rätselhaft, warum manch Oper ein Dasein am Rande des
Repertoires als Rarität fristet, die man bisweilen aus dem Museum der
Musikgeschichte hervorholt. Bei Amilcare Ponchiellis La Gioconda dürfte der
Versuch, sehr viele Beziehungs- und Eifersuchtsebenen ineinander zu
verzahnen, ein Mitgrund sein – nebst den horrenden vokalen Anforderungen.
Die Oper, 1876 an der Mailänder Scala erfolgreich uraufgeführt, verstrickt
sich, bei aller reich vorhandenen Eleganz der kompositorischen Handschrift,
in sich selbst.
Da wäre nicht nur Laura, deren Herz eigentlich für
Enzo schlägt, der in Wahrheit der aus Venedig verbannte Fürst Grimaldo ist.
Wir begrüßen auf der Bühne auch Inquisitor Alvise Badoero, mit dem Laura
zwangsverheiratet wurde.
Verstrickungen und Schmerzen Nicht zu
vergessen natürlich die Hauptfigur der Oper, La Gioconda! Sie hatte mit
Enzo, der nach wie vor Laura liebt, als Straßensängerin ein Verhältnis, das
ihr weiterhin emotional nachhängt. Um all das herum schwirrt allerdings auch
noch Barnaba, der von Gioconda erotisch besessen ist. Als Spion der
Inquisition repräsentiert er eine niederträchtige charakterliche
Giftmischung aus Verdis Jago und Puccinis Scarpia. Er befeuert (und
verwirrt) die Handlung als das intrigante gewissensbefreite Böse.
Das
ist also schon ziemlich viel an psychologischen Verstrickungen und
Schmerzen. Insofern ist der Regie von Oliver Mears bei dem Salzburger
Osterfestspielen zu danken, die Dinge nicht zusätzlich verkompliziert zu
haben. Die wenigen Ideen, die sie hatte, stören nie, auch nicht am Anfang.
Um die Wirrnisse zeitaktuell auszudeuten, inszeniert der britische Regisseur
ja eine Vorgeschichte.
Schuld macht blind Giocondas Mutter La
Cieca (kraftvoll: Agnieszka Rehlis) zwingt die Kleine aus ökonomischer Not,
den sich mit Zuckerwatte als Geschenk annähernden Barnaba über sich ergehen
zu lassen. Auch die Blindheit der Mutter wird so miterklärt. Im Großen
Festspielhaus verliert sie in der Intro das Augenlicht aus Schuldgefühl,
ihre Tochter dem Missbrauch ausgesetzt zu haben. Auch für den berühmten Tanz
der Stunde hat der Regisseur noch eine retrospektive Idee: Mears lässt
Giocondas Geschichte in Tanzform erzählen (Choreografie: Luce Burge), in der
nun auch ihr Vater vorkommt. Das Ganze könnte auch "Papas Familienglück und
-ende" heißen: Tanzend stirbt der Vater; abermals sieht man, wie die Mutter
die Tochter als Sexware an das Böse verscherbelt. In Form von Barnaba ist
das Böse in dieser Inszenierung fast immer und überall. Mal sieht man ihn
als mit Gitarre getarnten Straßensänger, dann wieder als Koch oder als
Folterarzt.
Und auch wenn Letzteres lächerlich wirkt, hat das
Vorteile. In der Rolle des Widerlings ist der eindringlich singende Luca
Salsi lange Zeit der Einzige, der eine glaubwürdige Figur abgibt. Im Bereich
Personenführung bleibt der Abend vielfach ja eher bescheiden im starren,
alten Stil. Gerät der sehr gute Choro dell’Accademia Nazionale di Santa
Cecilia einmal in Bewegung, so doch nur, um läppisches Discogehopse zu
absolvieren. Muss nicht sein.
Bei dieser Edelbesetzung kam Trost
immer auch von der vokalen Seite. Als Enzo blieb Tenor Jonas Kaufmann zwar
unterinszeniert. Mit seinem Samttimbre landet er aber die nötigen vokalen
Volltreffer delikat und wirkt nur bisweilen bei den Registerwechseln
verunsichert. So kultiviert wie durchdringend präsentiert sich Eve-Maud
Huberaux als Laura, während Tareq Nazmi als Lauras Zwangsgatte Alvise
Badoero solide bleibt.
Natürlich: Anna Netrebko. Als La Gioconda hat
sie in den Höhen und den Tiefen markant zu wirken. Und nach wie vor – bis
auf kleine Ausrutscher – ist sie konkurrenzlos, wenn es darum geht, in der
Höhe Lyrik mit delikater Pianissimokultur zu erwecken. In den Tiefen gewinnt
ihre Stimme immer dann an Charakter, wenn sie mehr Mut zu Wut und Wahrheit
zeigt und nicht primär auf Schönklang aus ist. Zum Schluss hin schafft es
Netrebko, all ihre vokalen Qualitäten mit den szenischen Anforderungen zu
einem packenden Porträt einer verletzten Frau zu formen, die mehr mordet,
als diese Oper vorsieht.
Viel Lob Zuerst ersticht sie Lauras
Ehemann, dann am Ende Barnaba. Sie selbst aber bleibt am Leben, was von
Ponchielli auch nicht komponiert wurde. Sie wird hier zur rächenden, sich
befreienden Frau, der auch der Tod der Mutter nichts auszumachen scheint.
Das dürfte die Schlussbotschaft des leicht ausgebuhten Regisseurs Mears
sein, der seine Ideen in ein angedeutetes Mafia-Venedig pflanzte (Bühne:
Philipp Fürhofer).
Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa
Cecilia unter Dirigent Antonio Pappano bildet den edel klingenden Rahmen.
Elegant und kantabel wurde das vokale Kollektiv getragen, das alles Lob
abbekam. (Ljubiša Tošic, 24.3.2024)
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