|
|
|
|
|
Salzburger Nachrichten, 08. Dezember 2023 |
Von Martin Fichter-Wöß/APA
|
|
Puccini: Turandot, Wien, Staatsoper, ab 7. Dezember 2023
|
Psychoanalytische "Turandot" an der Staatsoper ausgebuht
|
|
In der Psychoanalyse ist der Widerstand ein gängiger Topos - und mit genau
diesem sah sich am Donnerstagabend auch Regisseur Claus Guth in der Wiener
Staatsoper konfrontiert. Seine Neudeutung von Giacomo Puccinis letztem Werk
"Turandot" als analytisches Kammerspiel fiel beim Publikum überraschend
einhellig durch. Umso euphorischer bejubelt wurden da die beiden Stars Asmik
Grigorian und Jonas Kaufmann - beides szenische Rollendebütanten.
Guth, der an der Staatsoper bis dato nur den "Tannhäuser" inszeniert hatte,
bürstet die "Turandot" gleichsam gegen den Strich, was offenbar der großen
Mehrheit des Auditoriums gegen eben selben ging. Anstelle von
Massenspektakel und China-Prunk wie beim panasiatischen Restaurant um die
Ecke, setzt der 59-Jährige gleichsam ein Kammerspiel, das ganz auf die
beiden Hauptfiguren fokussiert: Prinzessin Turandot, die ihren Verehrern
drei Rätsel stellt und sie bei Versagen töten lässt, und den sie schließlich
bezwingenden Calàf.
Im Unterschied zu den meisten Inszenierungen ist
die Turandot bei Guth jedoch nicht die mystische, stolze Prinzessin, sondern
traumatisiertes Opfer, das selbst zur Täterin wird. Die vom Shootingstar
Asmik Grigorian gesungene Figur zeigt die Frau als Opfer, nicht als Furie.
Zu sehen ist weniger eine Selbstermächtigung nach einem Femizid an einer
Verwandten in grauer Vorzeit als der verfehlte Versuch einer
Traumabewältigung. Der sanfte Calàf des Jonas Kaufmann erscheint hier im
Gegenzug weniger als draufgängerischer Eroberer denn als sensibler Gefährte,
der einer mit ihren Dämonen Kämpfenden die Hand reicht.
Musikalisch
erstaunt hierbei allerdings, dass unter dem Dirigat von Marco Armiliato
Grigorian alles andere als eine intime Ausgestaltung der Partie abliefert,
sondern vor allem anfangs überraschend forciert und damit die intime Deutung
eher konterkariert. So sehr die Inszenierung zurückgenommen ist im Bombast,
so sehr wird hier musikalisch aufs Gas gedrückt.
Auch die dritte
entscheidende Figur der Oper, die Dienerin Liù, ist in der Guth'schen
Perspektive neu gelesen. Mit der russischen Sopranistin Kristina Mkhitaryan
üppig besetzt, ist die sich aus Liebe selbst opfernde Sklavin hier anders
als die Turandot kein Opfer, sondern eine starke, stolze Frau. In Schwarz
gewandet, ist sie auch hiermit als Pendant zur weiß-ätherischen Turandot
gehalten.
Die psychoanalytische Lesart macht dabei an vielen Stellen
durchaus Sinn, lässt manche Szene schlüssiger erscheinen, wenn etwa der
soeben erfolgreiche Calàf sich wiederum Turandot ausliefert und dies nicht
als Kampf zweier stolzer Charaktere, sondern als helfende Hand gegenüber
einer Strauchelnden fungiert. Guth setzt immer wieder auf Doppelgänger der
Hauptfiguren, und die Turandot bleibt lange eine Projektion Calàfs - nicht
nur im psychoanalytischen, sondern ganz konkreten Sinne an der Wand. Um zu
bemerken, dass die Palasttür Freuds Praxistür aus der Berggasse
nachempfunden ist, dafür muss man allerdings wohl Freudianer sein.
Die Volksmassen werden hingegen marginalisiert. Die Menschen sind
gesichtslose Bürokraten, androgyn gewandet, austauschbare Rädchen im
60er-Jahre-Outfit, die sich mechanisch in ihrem Räderwerk bewegen. Als hätte
Robert Wilson Figuren von Christoph Marthaler choreografiert. Zugleich
wirken die humoresken Seitenstränge des 1926 uraufgeführten Stücks mit den
Ministern Ping, Pang und Pong in dieser seelenausdeutenden Interpretation
noch deplatzierter als sonst.
In jedem Falle bietet die neue
Staatsopern-"Turandot" einen frischen, ungewohnten Blick auf einen der
Klassiker des Repertoires. Noch dazu verwendet man die seltener gespielte
Langfassung des Endes, mit dem Franco Alfano nach dem Tod Puccinis die Oper
vollendete und die von Toscanini einst eingekürzt wurde. Es gibt also
unbestreitbar gute Gründe, sich dieser Inszenierung zu nähern, auch wenn
bereits bei der Reprise im Juni Superstar Jonas Kaufmann nicht mehr von der
Partie ist.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|