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Bachtrack, 19 Januar 2023 |
Von Norman Schwarze |
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Verdi: Aida, Wiener Staatsoper ab 14. Januar 2023
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Netrebko, Kaufmann, Garanča: Aida mit Staraufgebot an der Wiener Staatsoper |
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Wer sich am vergangenen Mittwochabend den Weg durch ein Meer aus „Suche
Karten“-Schildern bahnte, dann in Schlangenlinien, vorbei an dem opulenten
Gedränge aus Betuchten und Connaisseuren – schon leicht gestresst – am
Sitzplatz einfinden konnte, dem wurde an der Wiener Staatsoper etwas
einmaliges geboten.
Guiseppe Verdis Aida steht wieder auf den
Spielplan, der Vorhang hebt sich, und nur wenige Takte später tummeln sich
Jonas Kaufmann, Anna Netrebko und Elīna Garanča auf der Bühne. Letztere auch
noch mit einem Rollendebüt als Amneris. Drei vielbeachtete internationale
Weltstars, die in dieser Dreierkonstellation so noch nie in Wien zu sehen
waren. Entsprechend hoch waren die Erwartungen – und auch die Preise der
Karten. Gleichwohl, der Plan von Intendant Bogdan Roščić, die Wiener für die
betagte Inszenierung von Nicolas Joël erneut zu begeistern, ging auf. Das
Haus am Ring war, erwartungsgemäß, restlos ausverkauft.
Die
majestätischen Tableaus ägyptischer Megalomanie sind auch fast 30 Jahre nach
der Premiere (1984) nicht minder beindruckend und bieten der herausragenden
Sangeskunst immer noch die perfekte Bühne. Zyniker würden sagen belanglos,
veraltet oder gar kitschig, aber freilich kann dagegen gehalten werden, dass
die Aida aber eben genau das ist: Opernkitsch in Reinstform.
Und der
funktioniert. Netrebko gibt sich als Aida unglaublich angriffslustig,
wechselt mühelos und mit unglaublichem Volumen in die hohen Lagen. Mit
Dauerforte sorgt die für höchstdramatische Kontraste und starke Klangfarben.
Durchaus zeigt sie an diesem Abend auch, dass sie leise und intim sein kann
(und es sind vielleicht sogar ihre gesanglich stärksten Momente), aber als
Zuschauer wird man vor allem von dieser unglaublichen Stimmgewalt
weggeblasen, die selbst an den Rändern niemals abbricht. Es ist fast
unvorstellbar, wie ihr das gelingt. Der fantastische Verdi-Chor drängt sich
auf der Bühne, neben ihr Kaufmann und Garanča, davor das angriffslustige
Orchester und trotzdem hört man selbst im klanglichen Wimmelbild des zweiten
Finale vor allem sie und noch jedes einzelne Wort – und wahrscheinlich sogar
noch im Café Mozart um die Ecke.
Mit Blick auf die horrenden
Kartenpreise, darf dies nicht ohne Kritik bleiben. Wenn sie „O patria mia”
singt, dann fehlt ihr das Einfühlungsvermögen – sowohl in der Stimme wie im
Spiel. Immer wieder die gleichen stummfilmhaften Gesten, der Umhang wird zum
zwanzigsten Mal dramatisch geworfen, die Hände greifen nach Luft – das lässt
mehr als nur ein Quäntchen Etwas vermissen, damit das Publikum sich auch
wirklich in den zerreißenden Zwiespalt der Aida hineinfühlen kann.
Im
Zusammenspiel mit Jonas Kaufmann wirkt das, gerade in dieser Nil-Szene,
beinahe komisch. Im Kontrast dazu wagt der Münchner nämlich echtes
Schauspiel, sucht den Blickkontakt, doch die Netrebko singt daneben für die
Rampe. Kaufmann brilliert als Radames mit einer sehr detailverliebten,
exakten, und intimen Interpretation. Seine unverkennbare, elegante,
federleichte Strahlkraft, dieser fantastische Schmelz ist doch da, aber die
Fassade bröckelt. Insbesondere mit den Höhenlagen kämpft er, haucht sie
zeitweise fast brüchig, und kommt so über weite Strecken des Abends nur mit
großer Mühe über den furios aufbrausenden Orchestergraben hinweg. Gerade
wenn die Netrebko neben ihm ihre Lunge entleert, da fehlen mindestens 10
Dezibel. Aber selbst alleine, wie beim „Celeste Aida“ gleich am Anfang,
bleibt das Volumen auf dem Niveau eines intimen Schubert Liedes. Schade
eigentlich.
Unter den vielen Glanzlichtern des Abends stach
sicherlich Elīna Garanča am meisten hervor, was das Publikum an Ende mit
vielen Brava-Rufen quittierte. Unglaublich sinnlich, stets kontrolliert und
wunderbar vielschichtig ist ihre Amneris. Und was für eine fantastische
Bühnenpräsenz! Mit ihrem lasziven Schauspiel führt sie die anderen
Solist*innen vor. In der „Traditor“-Szene verschlägt es dem Publikum dann
wirklich den Atem. Das dringliche Forte ist mindestens genauso überzeugend
wie die dunkle Tiefe ihres Mezzos. Eifersucht, Verzweiflung und
Ausweglosigkeit werden nicht nur hör- und spürbar, sondern fast greifbar.
Was für ein fantastisches Rollendebüt! Bravissima!
Nicola Luisotti
steht am Pult und hat sein Dirigat, so scheint es jedenfalls streckenweise,
ganz an der Netrebko ausgerichtet. Und so fährt er mehrmals über das
Ensemble hinweg, gerade wenn es etwas leiser im monumentalen Säulenwald auf
der Bühne wird. Gleichwohl, das Orchester der Wiener Staatsoper ist
fulminant, einsatzstark und in jeder Hinsicht das, was sich wohl jeder
Verdi-Fan erwartet. Gemäßigte Tempi überraschen, gleichwohl wunderbar
eingängig, jeder Ton sitzt, und mit diesem fabelhaften ägyptischen Flair,
aber eben doch zu laut für Teile des Ensembles.
Auch die
Balletteinlagen, mit ihrer klischeebelasteten Choreographie und
überbordenden Ausstattung ziehen sich wie zähes Kautschuk und über die
Synchronität und Standfestigkeit der Tänzer ließe sich auch das eine oder
andere Wort verlieren.
Gleichzeitig würde dies nur ein falsches Bild
vermitteln. Der Abend war, im gesamten, fantastisch. Was selbst von den
kleineren Rollen sängerisch geleistet wird, haut einen schlichtweg um. Ilja
Kazakov hat als König sichtlich Spaß an seiner Rolle und auch Luca Salsi
kann als Amonasro, trotz etwas statischem Spiel, sängerisch durchweg
überzeugen.
Kurzum, in dieser außergewöhnlichen Besetzung war auch
die 126. Aufführung dieser Inszenierung mehr als nur besuchenswert. Trotz
kleiner Kritikpunkte auf höchstem Niveau, ein echtes Fest für die Ohren.
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