Abendzeitung, 25. Juli 2022
Michael Bastian Weiß
 
Liederabend, München, 23. Juli 2022
Kaufmann und Deutsch im Nationaltheater: Ohne Anbiederung
Konzerte von Jonas Kaufmann sind regelmäßig ausverkauft und die Kartenpreise gesalzen. Folgender Hinweis könnte sich daher für manchen Musikfreund als wertvoll erweisen: Man muss den gebürtigen Münchner auf der Bühne nicht unbedingt gut sehen können – wenigstens nicht aus rein künstlerischen Gründen.

21 romantische Lieder und fünf Zugaben sehr unterschiedlicher Komponisten erklingen in diesem Programm, und dafür, dass da einige sehnsüchtige Schwellungen wie in "Ich liebe dich" von Edvard Grieg und heldische Ausbrüche wie in "Allerseelen" von Richard Strauss vorkommen, bleibt Kaufmann auf der Vorbühne des Nationaltheaters äußerlich immer erstaunlich unbewegt. Die Mimik ist fast neutral, an Gestik passiert kaum mehr als ein Auf- und Absinken der Hände.

Jonas Kaufmann und das so charakteristisch dunkle Organ

Auch auf preiswerteren Plätzen aber sollte man Jonas Kaufmann ungehindert hören können, denn von der phänomenalen Piano-Kultur des Tenors muss man alle Nuancen mitbekommen. In "Adelaide" von Ludwig van Beethoven ist die Höhe vielleicht noch ein bisschen schwergängig und im sotto voce noch nicht das volle Farbspektrum da. Doch mit der gestoßenen Rhythmik des "Musensohnes" von Franz Schubert und den Steigerungen der "Widmung" von Robert Schumann, die über weite Bögen hinweg anhalten, gewinnt das so charakteristisch dunkle Organ immer mehr an Wärme und Geschmeidigkeit.

Das gesangliche Meisterstück: "Ich bin der Welt abhandengekommen" von Gustav Mahler. Kaufmann bindet die Kopfstimme derartig kontrolliert und bruchlos an die Bruststimme an, dass er sich ein höchst gespanntes Piano leisten kann, dem immer noch das volle Material zur Verfügung steht. Wie genau er die verlöschende Schlusspassage aushört, lässt selbst die hartnäckigsten Husterer im Nationaltheater andächtig verstummen.

Kaufmann konzentriert sich ganz auf den Gesang

Nach der Pause kristallisiert sich während eines Blocks von Liedern von Franz Liszt noch ein Charakterzug Jonas Kaufmanns heraus, der angesichts seiner Popularität überrascht: Nie biedert er sich mit äußerlichen Effekten beim Publikum an, weder beim "Liebestraum" noch im prallen Genrebild "Die drei Zigeuner". Ja, er holt, obwohl man die Texte meist mühelos verstehen kann, nur ein Bruchteil des deklamatorischen Reichtums heraus, wie ihn eine so anschauliche Erzählung wie der Gesang der "Loreley" nach Heinrich Heine bereithalten würde; vom unscheinbaren Spiel des Begleiters Helmut Deutsch gehen dazu freilich auch nicht allzu viele Impulse aus. Kaufmann konzentriert sich ganz auf den Gesang. Unter den fünf Zugaben befindet sich auch die "Mondnacht" von Schumann - hingeträumt in einem geradezu unwirklich schimmernden Pianissimo.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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