Neue Zürcher Zeitung, 16.12.2022
Christian Wildhagen
 
Puccini: Tosca, Zürich, ab 15.12.2022
Opernhaus Zürich: So muss eine Tosca sein
 
Jonas Kaufmann und Bryn Terfel sorgen bei einer Gala-Aufführung von Puccinis Opernkrimi für Star-Glanz. Aber erst die Dritte im Bunde, die Sopranistin Sondra Radvanovsky in der Titelrolle, macht den Abend zum unvergesslichen Ereignis.

Was für ein Auftrieb: Gala-Preise, volles Haus, Hochspannung in der Oper Zürich. Denn für die Wiederaufnahme von Giacomo Puccinis «Tosca» hatten sich gleich zwei Weltstars in den männlichen Hauptrollen angesagt: Jonas Kaufmann und Bryn Terfel. Für Kaufmann war es eine Rückkehr – er hat die Partie des Malers Mario Cavaradossi schon vor bald vierzehn Jahren an der Premiere dieser immer noch überzeugenden Inszenierung von Robert Carsen gesungen. Und selbstredend war der Münchner Tenorissimo auch jetzt, da er nicht mehr allzu häufig in Zürich zu hören ist, die Hauptattraktion für viele Opernfreunde.

Kaufmann löst die Erwartungen vor allem im zweiten Teil der erstmals von Generalmusikdirektor Gianandrea Noseda geleiteten Aufführung ein. Hier fängt er richtig Feuer und trifft ideal den schwer zu fassenden Charakter des Künstler-Lebemannes Cavaradossi, den die Ereignisse eher wider Willen zum Widerständler gegen das Polizeiregime des Barons Scarpia machen. Kaufmanns völlig entfesselter «Vittoria! Vittoria!»-Triumph in der berüchtigten Verhörszene des zweiten Akts wird zu einem Höhepunkt des Abends: Siegt hier doch die Figur des Gefolterten ideell – und stimmlich so nachdrücklich wie selten – über die Unrechtsgewalt der Folterknechte.

Umso berührender wirkt die Wendung ins Melancholische, die Kaufmann im dritten Akt vollzieht: Cavaradossi hat allen Idealismus verloren und mit dem Leben abgeschlossen; er glaubt nicht mehr an eine Rettung – schon gar nicht an die von seiner Geliebten Tosca verheissene Befreiung durch eine Scheinhinrichtung, die sich ja als genau das entpuppen wird: als Schein und finale Finte des Fieslings Scarpia. In der wunderbar introvertierten, vokal perfekt kontrollierten Arie «E lucevan le stelle» lässt Kaufmann der Melancholie freien Lauf: Dies ist, ganz im Sinne Puccinis, kein Aufbäumen mehr, sondern eine letzte erotische Phantasie seiner Liebe zu Tosca, betörend untermalt vom ebenso feinsinnig zurückgenommenen Solo der Klarinette.

Feuerwerk aus dem Graben

Bis die Aufführung am Donnerstag diese Höhe erreicht, dauert es allerdings eine Weile. Im ersten Akt wirkt Kaufmann noch etwas distanziert, er singt untadelig, aber merklich auf Sicherheit bedacht – was die Auftrittsarie «Recondita armonia» eher wie einen Wunschkonzert-Hit wirken lässt.

Vielleicht hat Kaufmann aber auch einfach Mühe, sich gegen das nervös irrlichternde Feuerwerk zu behaupten, das Gianandrea Noseda vom ersten Takt an im Orchestergraben zündet. Noseda verspürt nämlich offenbar nicht die geringste Lust, an diesem Abend bloss ein teures Sänger-Spektakel zu begleiten – er verhilft dem Musikdrama mit dezidiert sinfonischem Zugriff, dynamischen Zuspitzungen und oft fliessender als üblich genommenen Tempi zu seinem Recht.

Mit der Energie-Explosion aus dem Graben fremdelt anfangs auch Bryn Terfel als Scarpia. Bei seinem Auftritt wirkt dieser Polizeichef wie ein gemütlicher älterer Herr (leider auch wegen einer schlecht sitzenden Perücke), der wie zufällig in einer römischen Kirche vorbeischaut. Von Dämonie und den in ihm lodernden sadistischen Gelüsten noch keine Spur. Erst im grandiosen «Te Deum» am Schluss des Aufzugs steigt Terfel voll und ganz auf den Furor (und die Tempi) des Dirigenten ein und lässt die Maske des netten Onkels fallen. Daraus könnte sich in den fünf bis Anfang Januar folgenden Aufführungen im Zusammenspiel mit Noseda ein stimmiges Rollenkonzept entwickeln – hier wirkt es noch wie ein Abtasten und Miteinander-Warmwerden.

Dass bei der Wiederaufnahme am Donnerstag trotzdem die Bühne und das musikalische Drama die Oberhand gewinnen, ist wesentlich der Dritten im Bunde zu verdanken: der amerikanischen Sopranistin Sondra Radvanovsky. Sie ist in Europa bis anhin etwas weniger bekannt, jedenfalls nicht so prominent wie Terfel und Kaufmann, hat aber unter anderem als Tosca bereits reiche Rollenerfahrungen an der New Yorker Metropolitan Opera gesammelt – im kommenden Sommer wird sie für die Titelrolle einer neuen «Turandot» nach Zürich zurückkehren.

Radvanovskys herbe, aber farbenreiche Stimme ist eigentlich zu gross für das im Vergleich zur Met geradezu intime Zürcher Haus, doch sie passt sich schnell den akustischen Verhältnissen an (mit einigen Piano-Mühen am Schluss von «Vissi d’arte, vissi d’amore»). Gleichwohl behält sie die immer etwas zu raumgreifenden, immer eine Spur zu leidenschaftlichen Gesten für ihre Opernfigur bei – eine Diva wie aus dem Bilderbuch. Und genau das muss Tosca, die gefeierte Sängerin, gemäss dem Libretto ja sein!

Eine Frau in existenzieller Not

Vor allem aber steckt Radvanovsky die beiden Herren der Schöpfung mit ihrer Intensität an – plötzlich vergessen Kaufmann und Terfel das blosse Schön- und Richtig-Singen, die Aufführung verwandelt sich in jenen einzigartigen Psycho-Krimi, der «Tosca» zu einer der packendsten Opern überhaupt machen kann. Da schenkt man einander nichts mehr, weder stimmlich noch darstellerisch, und namentlich zwischen Radvanovsky und Terfel entbrennt ein Machtpoker auf Leben und Tod, bei dem die Diva wirklich nur um Haaresbreite und mithilfe eines Dolches der Vergewaltigung durch Scarpia entkommt.

Diese immer schon heftige Szene wirkt heute, im Licht von #MeToo und der Ereignisse um Harvey Weinstein, noch schockierender, hier zumal, da Radvanovsky alles Opernhafte für einen Augenblick beiseitelässt und eine drangsalierte Frau in existenzieller Notlage zeigt. Spätestens da geniesst wohl niemand mehr bloss ein schönes Gala-Spektakel – dies ist Oper, die einen unmittelbar anspringt und gefangen nimmt. Für ihre herausragende Leistung wird die Sängerin am Ende vom Publikum gefeiert – sogar noch ein bisschen frenetischer als Kaufmann und Terfel. Recht so!
















 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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