Der Standard, 27. Jänner 2022
Stefan Ender
 
Peter Grimes, Wiener Staatsoper, ab 26.1.2022
Jonas Kaufmann an der Staatsoper: schwieriger Charakter
 
Startenor Jonas Kaufmann feierte an der Staatsoper sein internationales Rollendebüt in der Titelpartie von Benjamin Brittens "Peter Grimes".

Ein Sympathieträger ist er definitiv nicht. Aber ist Peter Grimes ein brutaler Kindermörder? Seine erste, kostengünstig vom Waisenhaus erworbene Hilfskraft verdurstet bei schlechter Witterung auf offener See. Ein zweiter Knabe wird erst grün und blau geprügelt und dann einen Felsen hinuntergejagt. Auch gegen die ihm zugeneigte Witwe Ellen begeht der cholerische Einzelgänger im Zorn eine Tätlichkeit.

Es sei für ihn schwierig, den Charakter von Peter Grimes zu verstehen, räumte der singende Sympathieträger Jonas Kaufmann vor seinem internationalen Rollendebüt in einem Interview ein. Aber ob der Fischer schuldig im Sinne der dorfgemeinschaftlichen Anklage sei? Das wisse er nicht. Sehr wohl wusste der Tenorstar die technische Schwierigkeit der Titelpartie von Benjamin Brittens Oper zu beurteilen: Wahnsinnig fordernd fand sie der Teilzeitwiener aus München nicht.

Düstere Figur

Kaufmann muss es wissen; immerhin hat der Routinier mit dem Tristan und dem Otello schon zwei anforderungstechnisch extrem gegensätzliche Gipfelpunkte der Tenorliteratur bezwungen. Als "Marathon" empfand der 52-Jährige Wagners Liebestrunkenen, als "Serie von Sprints" Verdis Eifersüchtigen. Und der englische Fischer? Das baritonal umschattete Timbre seines Tenors passte grundsätzlich nicht schlecht zu dessen düsterem Charakter – wenn Kaufmann im Prolog auch noch etwas eng klang.

Danach sang sich der lockige Liebling der Opernfreundinnen und der Tonträgerindustrie souverän durchs Werk, wechselte zwischen einem fahlen Piano, dem oxidierten Timbre seiner Mischstimme und südländisch-viriler Dringlichkeit im Forte. Was will man mehr? Vielleicht das tragfähige, edle Piano eines Peter Pears oder die güldene Strahlkraft eines Neil Shicoff? Aber die Oper ist kein Wunschkonzert.

Gleißender Sopran

Lise Davidsen überstrahlte am Mittwochabend mit ihrer gleißenden Soprankraft (als Ellen Orford) auch die stärksten Stürme. Noa Beinart und Stephanie Houtzeel gingen es da als Pubchefin Auntie und giftspritzende Mrs. Sedley weicher, aber auch verwechselbarer an. Houtzeel, einst am Haus für die Überreichung silberner Rosen zuständig, punktete speziell auf schauspielerischem Gebiet mit virtuoser Komik.

Ein Ereignis an vokaler Wandelbarkeit und Wahrhaftigkeit war der große Bryn Terfel als Kapitän Balstrode – hier der weltmännische Mittelpunkt eines Fischerdorfs, dessen Einwohnern Christine Mielitz in ihrer Inszenierung von 1996 ein gesamtgesellschaftliches Upgrade gegönnt hat. Thomas Ebenstein bot als Bob Boles kraftvolle Erregung, Wolfgang Bankl gab den Anwalt Swallow mit wienerischer Gemütlichkeit.

Majestät des stillen Meeres

Britten hat in seiner Musik die Majestät des stillen Meeres verkomponiert und den Zickzackflug der Seevögel, minimalistischer Humor wechselt mit Psychothrillerdrastik. Simone Young bot bei der Wiederaufnahme des kniffligen Werks keine Offenbarung in Sachen Detailfreude, hielt den Laden aber mit energischen Armbewegungen zusammen; konzentriert das Staatsopernorchester, bemüht der Chor. Beseelter Jubel für alle.












 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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