Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021 (Aufführung: 4.7. 2021)
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"Tot denn alles! Alles tot!" |
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Tristan und Isolde gehören zu den berühmtesten Liebenden der Welt, doch was
bleibt, wenn man ihnen die bezwingende Leidenschaft füreinander entzieht und
ihnen den Mut nimmt, sich mit aller Energie in ihre übermächtige Liebe zu
stürzen, die zu leben aussichtslos erscheint, ohne die sie aber nicht mehr
leben können oder wollen und deshalb lieber im Tod miteinander verschmelzen
möchten? Ist diese unbedingte Liebe nicht das große Faszinosum, ihre
Unlebbarkeit die große Tragik? Regisseur Krzysztof Warlikowski inszeniert
Wagners genialstes Werk als Festspielpremiere der Münchner Opernfestspiele
2021 und als vorletzte Neuproduktion der Ära Nikolaus Bachler an der
Bayerischen Staatsoper, während derer Warlikowski mit den eigenwilligen
Sichtweisen seiner Interpretationen ebenso begeistern wie abschrecken
konnte.
Er hat auch Tristan und Isolde hinterfragt, wie immer mit
persönlichen Assoziationen durchleuchtet und seine Ergebnisse mit vielerlei
Projektionen verdeutlicht. Er traut dieser ganzen Liebe nicht und sieht in
Tristan und Isolde zwei Todessehnsüchtige, die sich vor allem als solche
begegnen. Die aussichtslose Beziehung wird Mittel zum Zweck, Anlass und
Grund sich der Gegenwart zu entziehen. Sie tragen den Tod von Anfang an in
besonderer Weise in sich. Das ist nachvollziehbar: Tristans Leben wurde
durch den Tod seiner Eltern bezahlt („Da er mich zeugt’ und starb, sie
sterbend mich gebar.“) und im Zweikampf mit Morold wurde er fast tödlich
verwundet. Nur durch Isoldes außergewöhnliche Heilkunst konnte sein Leben
gerettet werden. Isolde hatte ihre besondere Begegnung mit dem Tod, als sie
den schwerverletzten Krieger, der ihren Verlobten Morold im Kampf erschlug,
gesund pflegte und sich in ihn verliebte. Nun begegnet sie ihm wieder, als
Mann, der sie, die irische Königstochter, als Friedenspfand Cornwalls König
Marke als Braut zuführt. Isolde als rachedurstige, bis zum eigenen Tod
verzweifelte Figur ist bis zum Liebestrank kein neuer, aber ein guter
Gedanke. Tristan als unsicheren, schüchternen und von Selbstzweifeln
geplagten Verlierer kann man sich in der obskuren Anfangssituation auch noch
vorstellen. Aber der Trank, der beide enthemmt, weil sie glauben, dass sie
ohnehin gleich an diesem vermeintlichen Todestrank sterben und der sie dann
alle Kontrolle verlieren lässt, stürzt sie doch zunächst in eine maßlose,
unkontrollierte Liebesleidenschaft. In dieser Inszenierung bietet Brangäne
ihnen verschiedene Tränke an. So lange es nicht der Todestrank ist, ist es
egal, was sie da trinken, die Enthemmung ist ausschlaggebend, wie Thomas
Mann es schon überzeugend ausgeführt hat. Wichtig ist, dass sie etwas
trinken – und das tun sie mit Inbrunst.
Wenig überzeugend ist dagegen
Warlikowskis Konzept, die Todessehnsucht nicht als Folge, sondern als
Ursache darzustellen. Da fehlt das Substanzielle, das Besondere, das
fesselnd Zerreißende, das wirklich Tragische. Und nebenbei bemerkt: ein
Tristan „ohne Anfassen oder mit Anfassen“ ist ein Jahrzehnte altes
Inszenierungsunterscheidungsmerkmal fleißiger Opernbesucher.
Der
Krieg, eher eine Nachkriegszeit, ist ein weiteres Element, das die Regie
betont wissen möchte, indem sie Brangäne zwischendurch zur Rotkreuzschwester
werden lässt, die dem jungen Seemann die verletzten Augen neu verbindet. Der
erscheint wie eine seltsame, gekrönte Mischung aus verschiedenen
Kämpferfiguren.
Eine intensiv gearbeitete, auf die Musik bezogene
Personenregie fesselt im ersten Akt bis zur Trank-Szene, danach bedient sie
das Konzept verdeutlichend, auch wenn dieses als solches nicht überzeugen
kann. Spannend, wie Isolde Tristan vor dem Trank drängt, ihr in den
Königsmantel zu helfen und ihr eine Kette umzulegen. Faszinierend, wie nach
dem Trinken eine zunächst farblose Tapetenprojektion farbig und plastisch
wird und der Raum von unten mit Wasser überflutet zu werden scheint.
Widerlich, wie Marke, der schon am Ende des ersten Aktes auftritt, sich
zunächst von seinem alten Faktotum oder Kammerdiener oder Butler oder sonst
einer unnötigen Figur die Mannschaft vorstellen lässt und dann erst Isolde
eine Sektschale reicht, seine Braut heimlich mustert und Tristan kaum
beachtet.
Zusätzlich fügt die Regie zwei weitere Handlungsebenen ein:
Während Isolde im zweiten Akt auf Tristan wartet und kindisch mit dem
Lichtschalter spielt, wird im Hintergrund die gleiche Situation an einem
anderen Ort zu einer anderen Zeit projiziert: Isolde durchschreitet im
Trenchcoat einen geradezu endlosen Hotelflur, betritt ein Zimmer und wartet
angezogen auf dem Bett liegend auf ihre Verabredung. Während Tristan und
Isolde auf der Bühne ihr Liebesduett auf zwei schweren (englischen)
Chesterfield Sesseln sitzend singen – jeder für sich, ohne den anderen
weiter zu beachten, nur in einem Moment die Hände vergeblich zueinander
ausstreckend – kommt Tristan erst sehr spät ins Hotel, weiß nicht, was er
will und soll, und traut sich nicht, die Socken vor Isolde auszuziehen…
Angezogen sitzen sie auf dem Bett, fast ohne Berührung, dann legen sie sich
Händchen haltend auf Abstand hin. Eine andere Kameraeinstellung gibt den
Blick auf zwei Tablettenröllchen (tödliche Dosis) zwischen ihnen frei und
das Bett wird von aufsteigendem Wasser überflutet. Auf der Bühne haben sich
Tristan und Isolde indes die Ärmel hochgekrempelt und bereiten Injektionen
vor (sicher tödliche), die Markes Faktotum ihnen abnimmt. Kurz bevor sich
Tristan in Melots Schwert stürzt, gibt es die einzige, kurze, aber innige
Umarmung und einen zarten Kuss, den Tristan auf Isoldes Stirn setzt.
Die dritte Ebene ist eine nicht wirklich nachvollziehbare. Schon während des
Vorspiels trat ein Paar seltsam puppenartiger Gestalten mit künstlichen
Köpfen und toten (!) Augen auf. Am Ende des zweiten Aktes reichen sie
Tristan und Melot die Schwerter, im dritten liegt einer auf der Liege,
während ein anderer der Englischhornistin das Pultlicht anschaltet und neun
andere, eher Kinder, mit Tristan an einem langen Tisch sitzen. Eine Szene,
die an Leonardos Abendmahl erinnert. Alle tragen die gleichen blauen
Seidenumhänge wie der junge Seemann/Krieger im ersten Akt. Tristans Wunde
blutet im Laufe des Aktes sehr effektvoll weiter – sein weißes Hemd immer
stärker tränkend. Dann legt sich Tristan auf die Liege und der andere setzt
sich an den Tisch, dann wechseln sie wieder, während sich Kurwenal auf einem
der Sessel fläzt und irgendwen ansingt… Die Regie im dritten Akt driftet ins
Groteske ab. Am Ende sitzen die Nebendarsteller auf Stühlen, stehen zum
Singen auf und brechen dann verkrampft sterbend zusammen. Marke legt auf
Tristan und Isolde je eine Calla (die klassische Totenblume). Dann wird die
Projektionsfläche heruntergelassen und Isolde singt ihren Liebestod allein
neben dem toten Tristan zunächst spektakulär ohne Projektion, doch dann
taucht das Bett mit den zunächst wächsern wirkenden Toten auf, die nun aber
wieder farbig und lebendig werden und sich, wenn auch auf Abstand, selig
anlächeln. Ein Bild, das vieles sagen und bedeuten kann. Wie und was auch
immer.
Für Bühnenbild und (aktuelle, üppige) Kostüme zeichnet
Małgorzata Szczęśniak verantwortlich. Das Einheitsbühnenbild zeigte einen
holzvertäfelten Raum mit je zwei großen Öffnungen rechts, links und hinten.
In den hinteren hängt je eine Rehtrophäe. Die Schädel schauen dezent
zärtlich zueinander und versinnbildlichen das Schicksal Tristans und
Isoldens, zwei Jagdopfer, zwei Tote (!). Vorn links steht eine Glasvitrine,
die Gift und Mutterns Tränke enthält, vorn rechts ein chaiselongueartiges
Ruhebett mit einem teppichähnlichen Überhang, der als Reminiszenz an Wagners
Regieanweisung zu Isoldes Schiffsgemach dienen kann: „reich mit Teppichen
behangen“. Der Raum ist die Kopie eines Pariser Ausstellungsraumes aus
den 1920er Jahren, der Warlikowski erklärtermaßen an die Lobby der Titanic
erinnert. Deren Luxuspassagiere hätten sich über diese Dürftigkeit wohl aber
mindestens gewundert. Nun, zumindest ist damit das Schiff angedeutet, auf
dem wir uns im ersten Akt befinden sollten, eine Assoziation zu etwas
Gigantischem. Die Projektion, in der das Bett der beiden überflutet wird,
ist ein Zitat aus dem „Titanic“-Film aus dem Jahr 1997, der einerseits eine
unmögliche Liebesgeschichte untergehen lässt und andererseits das Schicksal
von Isidor und Ida Straus in die Assoziationskiste wirft, die lieber
zusammen sterben wollten, als getrennt zu werden und dort – allerdings eng
umarmt – auf ihrem Bett in den Fluten des Atlantiks untergehen. Ob man
Kinofilme in dieser Weise in Opernproduktionen einbindet, ist wohl eine
Geschmackssache.
Die Leidenschaften, die die Regie verweigert, lässt
Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester umso heftiger toben. Der
ehemalige Münchner GMD wird vom Publikum heiß und innig geliebt. Und das mit
allem Recht, was dieser Abend wieder einmal beweist. Spannungsvolle
Bögen, bezwingende Zartheit, gewaltiges Aufbäumen, ermattetes Zurückfallen,
ohne das die Spannung abfällt, zwingen den Hörer in einen musikalischen Sog
ohne Entrinnen, wenn man sich einmal darauf eingelassen hat. Jeder Takt hat
eine Bedeutung, kommt wo her und will wo hin. „Isoldes Kunst ward ihm
bekannt“ begleitet er unfassbar filigran. „So reihte sie die Mutter, die
mächt'gen Zaubertränke“ – da braucht man keinen Trank, da verzaubert allein
die Musik. Mit bezwingender Dynamik beginnt er den dritten Akt und steigert
sich ins Grandioseste. Ein Dirigat, das den Atem stocken lässt. Das
Orchester folgt hochkonzentriert und engagiert, zeigt seine Höchstform als
Ganzes und wunderschöne solistische Leistungen.
Ist Petrenko sonst
als ausgesprochen sängerfreundlich bekannt, macht er es dieses Mal den
Solisten nicht immer leicht. Und das gilt nicht nur für die beiden
Rollendebüts, die mit großer Spannung erwartet wurden. Anja Harteros und
Jonas Kaufmann sind in München eine Art Traumpaar, das harmonisch
aufeinander eingespielt, großartige Abende erleben lässt. Nun also Tristan
und Isolde, gigantische Partien, die zum Anspruchsvollsten der Opernwelt
gehören.
Anja Harteros setzt im ersten Akt die Zeichnung als wilde,
rachedurstige Furie auch gesanglich um. „Grell und heftig“ lautet eine der
Anweisungen Wagners in der Partie, kurz vor der großen Erzählung. Er hätte
seine Freude gehabt. Bei ihrer Gestaltung schreckt sie auch vor gellenden
Schärfen in der Höhe nicht zurück, setzt ihre markant klingende Mittellage
ausdrucksvoll ein, hat aber auch sanfte Töne, wenn sie „Er sah mir in die
Augen. Seines Elendes jammerte mich“ zum Steinerweichen singt. Im zweiten
Akt klingt sie harmonischer und versöhnt im dritten Akt mit geradezu zarten
Tönen und einem, mit leichten Ermüdungserscheinungen intensiv gestalteten
Liebestod.
Jonas Kaufmann singt den Tristan hochkonzentriert mit viel
Stimmkultur. Vielversprechend klingt er im ersten Akt, im zweiten
zurückhaltender, sehr konzentriert, manchmal matt – was stimmschonende und
kräfteeinteilende Ursachen haben mag oder regiebedingt sein kann – aber auch
innig und sanft wie bei „ein Bild, das meine Augen zu sehn sich nicht
getrauten“. Im dritten Akt singt er freier, mutiger aus und lässt auch den
samtigen Glanz seines baritonal gefärbten Tenors hören. Die Stimme hat sich
ein wenig verändert und dabei das früher zuweilen gaumig Anklingende
angenehm verloren. „Da er mich zeugt und starb…“ gestalten Kaufmann und
Petrenko in kongenialer zarter Intensität – eine Schlüsselstelle für diese
Inszenierung.
Sängerisch und gestalterisch begeistert Okka von der
Damerau als Brangäne mit üppig substanzvollem, farbenreich blühendem, rund
und warm klingendem Mezzo, der auch zu heftigen dramatischen Ausbrüchen
fähig ist. Mika Kares singt König Marke mit volltönendem, wohlklingendem
Bass, berührt aber erst im dritten Akt. „Tot denn alles! Alles tot!“ singt
er nicht nur eindringlich, sondern auch regieadäquat. Wolfgang Koch ist ein
souveräner Kurwenal. Sean Michael Plumb als Melot, Dean Power als Hirte,
Christian Rieger als Steuermann und nicht zuletzt Manuel Günther als junger
Seemann singen die kleineren Partien auf hohem Niveau.
FAZIT
Beachtliche, aber noch ausbaufähige Rollendebüts in den Titelpartien, eine
hinreißende Brangäne und ein Dirigat zum Niederknien. Die Regie betont den
Tod und vernachlässigt die Liebe, was zu einem Ungleichgewicht führt, das
auch auf Kosten der Vielschichtigkeit, des Geheimnisvollen, des
Faszinierenden, des Leidenschaftlichen – des Überirdischen dieses Werkes
geht.
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