Online Merker, 01.08.2021
Alexander Walther
 
Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
Über allen gesellschaftlichen Normen
 
In der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski (Bühne und Kostüme: Malgorzata Szczesniak) befindet sich Tristan in zwei Welten – nämlich zwischen Tod und Leben. Dies ist vor allem im dritten Akt der Fall, als der von Melot schwer Verwundete vergeblich auf Isolde wartet. Immer wieder sieht man Puppen, die die Handlung hier in seltsamer Weise nachzeichnen und zu kommentieren scheinen. Da ergeben sich irgendwie auch dämonische Aspekte. Deutlich wird hier vor allem, dass sich dieses Liebespaar über allen gesellschaftlichen Normen befindet. Zuvor wurden Tristan und Isolde im zweiten Akt im Hotelzimmer von König Marke überrascht, wobei das komplizierte Drama der Dreiecksbeziehung hier seinen Lauf nimmt.

Im ersten Akt befinden wir uns in einem riesigen Schiffsrumpf, wobei es sich hierbei um eine Fahrt durch einen geheimnisvollen Tunnel handelt, an dessen Ende sich ein riesiges Meer befindet. König Marke wird als rechtmäßiger Ehemann Isoldes von ihr und Tristan hintergangen. Ohne es zu wissen nehmen die Protagonisten im ersten Aufzug statt eines Todestrankes einen Liebestrank zu sich. Als Abschluss der Intendanz Nikolaus Bachlers ist diese Aufführung aber vor allem ein musikalisches Ereignis, wobei die Inszenierung an manchen Stellen doch etwas blass bleibt. Die stärksten Bilder ergeben sich im stürmischen ersten Akt auf dem Schiff. Kirill Petrenko bietet mit dem Bayerischen Staatsorchester hier eine sehr analytische Interpretation. Das Thema der Liebessehnsucht erfährt eine besonders leidenschaftliche Variante und rückt fast ins Zentrum des musikalischen Geschehens. Verzehrende Sehnsucht und immer wieder neu aufflammendes Verlangen kennzeichnen dabei das harmonische Geschehen in diesem Liebesdrama, was Kirill Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester glänzend unterstreicht. Zwischen Hoffen, Bangen, Wonnen und Qualen kommt es zu immer höheren Steigerungen. Zuletzt steht dann das zaghaft werbende Motiv des Anfangs nahezu allein da. Auch Cello-Seufzer, Tristan-Akkord und Sehnsuchtsmotiv wirken bei dieser subtilen Interpretation ganz und gar unsentimental – und das reizvolle Wechselspiel von Geigen und hohen Hölzern besitzt starken Klangfarbenreichtum. Der Klangwechsel von C-Dur nach d-Moll gewinnt einen starken Charakterisierungsreichtum, der sich immer mehr verdichtet. Interessant ist, wie stark Kirill Petrenko mit dem Orchester die Steigerungswellen herausarbeitet. Damit nimmt er deutlich Bezug zum szenischen Meer-Konzept Warlikowskis im ersten Akt. Die zweite Welle beherrscht die Hölzer mit eherner Macht, während die dritte Welle zwischen E-Dur und C-Dur hin- und herschwankt.

Dieser Unendlichkeitsdrang überträgt sich auch auf die hervorragenden gesanglichen Leistungen von Jonas Kaufmann als Tristan und Anja Harteros als Isolde, die die musikalische Architektur hier in bemerkenswerter Weise stützen. Trotz allem sind sie natürlich ein eher „braves“ Liebespaar und nicht so stürmisch wie Richard Burton und Elizabeth Taylor. Immer kühnere Brücken wechseln dabei von Tonart zu Tonart – und die vier Halbtonschritte des Liebesmotivs zeigen einen großen Strukturreichtum. Die Keimzelle dieses Motivs überträgt sich dabei in bemerkenswerter Weise auch auf die anderen Sängerinnen und Sänger – allen voran Mika Kares als König Marke, Wolfgang Koch als Kurwenal, Sean Michael Plumb als Melot und vor allem Okka von der Damerau als fulminante Brangäne, die das Beruhigungsmanöver zwischen B-Dur und F-Dur bravourös meistert. Auch Christian Rieger als Steuermann, Dean Power als Hirte und Manuel Günther als junger Seemann fügen sich in dieses markante Ensemble nahtlos ein. Die Weiterentwicklung der spätromantischen Harmonik kommt dabei teilweise grell zum Vorschein. Trotz der sehr analytischen Interpretationsweise vernachlässigt Kirill Petrenko als Dirigent die stark emotionalen Aspekte dieser vielschichtigen Partitur keineswegs. Anja Harteros meistert den schwierigen Verklärungsvorgang bei Isoldes Liebestod souverän. Aber der dritte Aufzug lebt dabei vor allem von der grandiosen gesanglichen Leistung von Jonas Kaufmann, der der polyphonen Struktur des letzten Aktes den letzten Schliff zu geben scheint. Siechtumsmotiv, Englischhornweise und Sehnsuchtsmotiv ergänzen sich hier in geheimnisvoller Weise. Vor allem das abschließende Fluch-Motiv geht bei dieser überaus glutvollen Interpretation durch Mark und Bein. Sehr expressionistisch wirkt dieses ungeheure Aufbäumen gegen das Leidensschicksal, das Jonas Kaufmann mit ganzer Seele verkörpert.

Für diese ausgezeichnete Leistung gab es zuletzt große Ovationen des Publikums, die auch die prachtvolle Leistung des Bayerischen Staatsopernchores mit einschlossen.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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