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NZZ, 30.6.2021 |
Marco Frei |
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Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
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Bayerische Staatsoper: Hier wird eine ganze Ära bejubelt |
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Die Premiere von Wagners «Tristan und Isolde» in Star-Besetzung eröffnet die Münchner Opernfestspiele. Sie steht exemplarisch für die musikalischen Höhenflüge, aber auch für die szenischen Probleme in der Ära des scheidenden Intendanten Nikolaus Bachler.
Als sich der Vorhang wieder öffnet, gibt es kein Halten mehr. Sie werden
gefeiert und umjubelt: Anja Harteros und Jonas Kaufmann, das in München seit
über zehn Jahren umhegte und gepflegte «Traumpaar der Oper». Der Beifall
wird noch eine Spur frenetischer, als Kirill Petrenko, bis 2020
Generalmusikdirektor des Hauses, auf die Bühne tritt. Es ist klar: Hier wird
gleich in mehrfacher Hinsicht ein Abschied zelebriert – darum dreht sich
alles bei dieser Premiere von «Tristan und Isolde» an der Bayerischen
Staatsoper.
Wie schon Aribert Reimanns «Lear», der im Mai Premiere
hatte, und der Mitte Juli folgende «Idomeneo» von Mozart wurde auch Wagners
berühmtes Liebesdrama in München uraufgeführt, im Juni 1865. In seiner
letzten Spielzeit als Staatsopernintendant möchte Nikolaus Bachler an
ebendiese bedeutende Geschichte seiner Institution erinnern. Er fährt dafür
noch einmal alles auf, was seine Ära am Nationaltheater geprägt hat. Für
Anja Harteros und Jonas Kaufmann, von Bachler in München einst
zusammengeführt, waren es überdies die langerwarteten Debüts in den beiden
Titelpartien.
Entschleunigt Auch Bachler weiss, dass es für die
beiden nach seinem Weggang in dieser Form in München nicht weitergehen wird.
Ein Blick in die kommende Saison, die erste Spielzeit des neuen Intendanten
Serge Dorny, verrät, dass im Juni 2022 Stuart Skelton und Nina Stemme die
Rollen von Tristan und von Isolde gestalten werden. Für Petrenko, der seit
dem Sommer 2019 Chefdirigent der Berliner Philharmoniker ist, war wiederum
die «Tristan»-Premiere der eigentliche Abschied von dem Haus, an das ihn
Bachler geholt hatte und das für ihn zum Sprungbrett für die ganz grosse
Karriere geworden ist.
Bei einem derart glamourösen Ritt auf der
Nostalgiewelle rückt die Frage nach der künstlerischen Qualität des Erlebten
schon einmal in den Hintergrund. Eine Ära wird da abgefeiert, und daran
möchte die grosse Mehrheit im Publikum einfach nur teilhaben. Dafür wurde im
Vorfeld alles getan. Während der Pandemie waren noch nie so viele Besucher
im Münchner Nationaltheater zugelassen. Sie mussten zwar Masken tragen und
sich gegebenenfalls testen lassen, aber immerhin gab es diesmal sogar zwei
Pausen, gastronomische Angebote inklusive – im überstrengen Bayern fast ein
kleines Wunder.
Gleichwohl stellt sich auch bei einer derart
glanzvoll besetzten «Abschlussfeier» die Frage nach dem Können, und das gilt
zumal für Kaufmanns Tristan und die Isolde von Harteros. Vor Beginn der
Pandemie wirkte vor allem die Stimme von Kaufmann wiederholt arg
strapaziert. Bei ihrem Bayreuth-Debüt im Sommer 2018 klang aber auch
Harteros in der Partie der Elsa stellenweise irritierend angestrengt.
Die pandemiebedingte Entschleunigung hat beiden offenbar gutgetan.
Kaufmann hat die Corona-Pause auch dazu genutzt, sein ursprünglich für die
nächste Saison geplantes Sabbatjahr vorzuziehen. Diese Auszeit merkt man
seiner Stimme nun fraglos an. Dennoch ist an der Premiere nicht zu
überhören, wie gerade im letzten Aufzug die Höhe bisweilen ähnlich brüchig
wirkte wie das zarte Piano: ein Ermüdungssymptom, das Kaufmann indes
dramaturgisch gekonnt auffängt, indem er die stimmlichen Grenzen stimmig in
sein Rollenporträt einbaut.
Konfuse Inszenierung Trotzdem macht
Harteros an diesem Abend die glücklichere Figur: in der Höhe sicher, zumal
im zweiten Aufzug, im Piano sehr lyrisch und zart. An die ungeheure
stimmliche Präsenz Okka von der Dameraus als Isoldes Dienerin Brangäne kommt
sie allerdings nicht heran. Die Mezzosopranistin schafft es an der Premiere
mühelos, sich im orchestralen Überschwang zu behaupten. Petrenko macht von
diesem entfesselten Klangrausch mit dem Bayerischen Staatsorchester durchaus
häufiger Gebrauch.
Ob seine Leitung hingegen in allen Momenten
ausreichend Rücksicht nimmt auf die dynamischen Möglichkeiten von Harteros
und vor allem von Kaufmann, darüber lässt sich namentlich im ersten Aufzug
streiten. Umso mehr, als Petrenko sonst immer wieder eine stupende,
glasklare Durchhörbarkeit gelingt: nicht nur in der kammermusikalischen
Reduktion, sondern auch im Sog und Rausch der Ekstasen, etwa in der
Liebesnacht des zweiten Aufzugs.
Diese Klarheit der Disposition
bildet einen willkommenen Gegenentwurf zur reichlich konfusen Inszenierung
von Warlikowski. Für sie hat Małgorzata Szczęśniak ein Einheitsbild
geschaffen, das einen Raum mit hohen Holzwänden zeigt. Ein Ufo wäre indes
konsequenter gewesen, denn schon durch das Vorspiel geistern zwei stumme
Doubles, die für Tristan und Isolde stehen – mit ihren grossen, kahlen
Köpfen sehen sie wie Ausserirdische aus. Im Schlussakt stehen und sitzen
dann noch mehr von ihnen an einer langen Tafel, ähnlich wie im «Abendmahl»
von Leonardo da Vinci.
Videozuspielungen von Kamil Polak führen
durch die Burg Markes. Eine Filmsequenz zeigt Tristan und Isolde auf einem
Bett, sich an den Händen haltend, während sie zusehends im Wasser ertrinken:
eine Szene wie in James Camerons «Titanic». Seit «Melancholia» von Lars von
Trier, einem Filmepos von 2011 mit dem Vorspiel aus «Tristan und Isolde» als
musikalischem Zentrum, wirkt inzwischen freilich auch der Weltuntergang als
Sinnbild für eine tiefe Depression arg abgenutzt.
Grosse Fussstapfen
Im Ganzen drängt sich der Eindruck auf, dass der einst so vielversprechende
Warlikowski mit seinem Theater der Assoziationen in eine schöpferische Krise
gerutscht ist. So sind es unter dem Strich vor allem Petrenko und das
Bayerische Staatsorchester, die diese Premiere zu einem bleibenden Erlebnis
machen – beispielhaft steht dafür etwa die «Traurige Weise», das zutiefst
berührende Englischhorn-Solo von Heike Steinbrecher, im letzten Aufzug.
Zugleich zeigt sich noch einmal, wie gross die Fussstapfen sind, in die
Vladimir Jurowski als neuer GMD in München treten wird. In seiner kommenden
ersten Spielzeit macht sich Jurowski im Opernfach eher rar. Auch die
Wiederaufnahme von «Tristan und Isolde» im Juni 2022 dirigiert er nicht
selbst. Ob und wie er als Nachfolger Petrenkos eigenes Profil gewinnen wird,
muss sich noch zeigen.
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