Kurier, 30.6.2021
von Gert Korentschnig
 
Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
Der gefeierte Marathonmann
 
Jonas Kaufmanns weltweit beachtetes Rollendebüt. Der Startenor sang in Munchen erstmals Wagners Tristan Die Premiere wurde aber nicht nur seinetwegen zum Triumph

Es ist von einem Triumph zu berichten. Jonas Kaufmann, der wichtigste Tenor unserer Zeit, sang an der Bayerischen Staatsoper München erstmals die Rolle des Tristan in Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Anja Harteros, eine der besten Sopranistinnen unserer Zeit, wagte sich zum ersten Mal an die Partie der Isolde. Kirill Petrenko, der vielleicht begehrteste Dirigent der Jetzt- und Morgen-Zeit, verabschiedet sich mit dieser Produktion aus München, wo er einen großen Qualitätsschub im Orchester erreicht hat. Und Nikolaus Bachler, der österreichische Intendant, zeigt zum Abschluss seiner Amtszeit nochmals eindrucksvoll, warum dieses Theater zuletzt mehrfach als bestes Opernhaus ausgezeichnet wurde.

Ganz schön viel Superlative für einen einzigen Opernabend. Aber in Zeiten, in denen es schon ein Ereignis ist, wenn Sängerpaare gemeinsam durch die Welt reisen und an einem dinnerfreien Abend sogar auftreten, muss eine solche Premiere als Ereignis gelten.

Der Fußballfan
Ausgerechnet an jenem Tag, an dem Deutschland im Wembley- Stadion gegen England ausschied, stand der bekennende Fußballfan Kaufmann nun also auf jener Bühne, auf der er im Jahr 1 der Intendanz von Bachler, vor zwölf Jahren, seinen ersten Lohengrin gesungen hatte — auch an der Seite von Harteros. Ein wunderschöner Bogen einer einzigartigen Karriere.

Das Endergebnis der Auseinandersetzung mit Tristan lässt sich nicht wie beim Fußball in Toren messen, aber am Ende stand ein klarer Erfolg gegen diese so biestige Rolle, die die meisten Sänger lieber großräumig umschiffen, um nicht mit (Stimm-) Bänderverletzungen ausgetauscht zu werden. Tristan ist ein Marathon im Dauersprint, das Schwierigste kommt am Schluss, wenn die Kraft zumeist schon verbraucht ist. Daher gibt es weltweit eigentlich keinen Sänger, der allen Anforderungen perfekt entspricht.

Jonas Kaufmann kommt einem Ideal aber schon sehr nahe. So nahe, dass man aufgrund größter Wertschätzung seiner Gesangskunst fast hoffen muss, dass er dem Suchtpotenzial dieser Partie nicht allzu oft erliegt, um die Schönheit seiner Stimme so lange wie möglich zu behalten. Er ist ein Meister der leisen Töne und mit seinem dunklen, baritonalen Timbre der denkbar Beste für die lyrischen Passagen. Große Teile des zweiten Aufzuges singt er wie einen Liederabend. Seine dramatischen Ausbrüche könnten kraftvoller sein, aber er ist klug genug zu sparen, dass er genügend hat, wenn er's braucht. Bis zum Finale bleibt seine Stimme stabil, er bewältigt diesen Grenzgang fabelhaft.

An seiner Freude beim Schlussapplaus im dank Corona-Erleichterungen zu 50 Prozent besetzten Theater merkt man, wie wichtig ihm dieser Auftritt war und wie lange diese Partie in ihm gearbeitet hat, um nun heraus zu dürfen. Er zählt ja zu jenen Sängern, denen man ehrliche Selbstwahrnehmung immer ansieht, etwa nach seinem ersten französischen Don Carlos in Paris.

Auch das Rollendebüt von Anja Harteros gelingt erfolgreich. Im ersten Aufzug singt sie sogar phänomenal, dramatisch und ausdrucksstark. Im zweiten büßt sie etwas an Präzision ein, auch beim Liebestod im dritten ringt sie mit der Intonation. Insgesamt ist sie eine elegante, beeindruckende Isolde.

Mika Kares bleibt als profunder König Marke etwas blass. Wolfgang Koch ist ein Traum von einem Kurwenal, höchst intensiv und berührend. Okka von der Damerau wird als Brangäne von Aufzug zu Aufzug besser, die kleineren Partien sind mit Sean Michael Plumb (Melot), Dean Power (Flirte) und Christian Rieger (Steuermann) gut besetzt.

Der Dirigent
Die musikalische Gestaltung durch Kirill Petrenko und das exzellente Orchester am Ort der Uraufführung des „Tristan" ist meisterhaft. Petrenko erweist sich ein weiteres Mal als genialer Erzähler, der jede Phrase gestaltet, jedes Detail freilegt, ohne den Blick für das Ganze je zu vernachlässigen. Sein „Tristan" ist sehr analytisch, geradezu intellektuell, frei von jedem Pathos — so frei, dass man beim Liebesduett aufgrund des langsamen Tempos die übliche Emotion vermisst, dafür aber wunderbare Nuancen entdeckt. Diese Lesart ist gewöhnungsbedürftig, aber packend.

Der Regisseur
Die vom Publikum nicht geschätzte Inszenierung von Krzysztof Warlikowski (Bühne und Kostüm: Malgorzata Szczesniak) zeigt zwei kriegsgeschädigte Protagonisten, die sich von Beginn an das Leben nehmen wollen, durch Gift oder Aufschlitzen der Pulsadern. Das Libretto gibt diese Interpretation durchaus her, während des Liebesduettes wird es aber mühsam, wenn man allzu lang einen Film sieht, in dem Isolde in einem Hotelzimmer auf Tristan wartet, um gemeinsam Suizid zu begehen. Da misstraut der Regisseur der Kraft der Musik, wenn er in solchen Momenten ablenkt.

Ort der „Handlung in drei Aufzügen" ist ein großbürgerlicher Gründerzeit-Raum (oder der Salon auf einem Schiff), der auch als Sanatorium dient. Brangäne ist anfangs die Krankenschwester, Kurwenal der Priester, die Sänger sind Patienten mit heftigen Traumata. Wie so oft bei Warlikowski spielen Kinder eine wichtige Rolle, diesmal in Form von Androiden. Das könnte man so deuten, dass sie die Ärmsten sind, die bei kriegerischen Konflikten sofort ihre Identität verlieren.

In dieser auf Reduktion und Andeutungen ausgelegten Inszenierung gibt es kaum Interaktion zwischen den Sängern, vieles wirkt wie eine Therapiestunde in großen Fauteuils. Schön ist das Video am Ende, wenn die beiden Toten die Augen öffnen und einander zulächeln: Geht ja weiter, war alles nur Theater. Wie das Leben.

Bei allen (Mini-)Einwänden gegen diese Produktion: Jedes Opernhaus der Welt könnte neidvoll nach München blicken.




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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