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BR-Klassik, 30.6.2021 |
von Bernhard Neuhoff |
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Wagner: Tristan und Isolde, Bayerische Staatsoper ab 29.6.2021
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"TRISTAN UND ISOLDE" MIT DOPPELDEBÜT AN DER BAYERISCHEN STAATSOPER |
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Manchmal sind die Erwartungen an eine Premiere übergroß. Bei diesem "Tristan" kommt einiges zusammen: Die letzte Produktion der Ära von Staatsintendant Nikolaus Bachler. Kiril Petrenkos Abschied von München. Die Hauptrollen luxuriös besetzt mit dem gern als "Münchner Operntraumpaar" angepriesenen Starduo Anja Harteros und Jonas Kaufmann. Und dann auch noch ein doppeltes Rollendebut. Am Ort der Uraufführung.
Zumindest musikalisch hat der Abend nicht enttäuscht, auch wenn gesanglich
Wünsche offen bleiben. Nicht so bei Dirigent und Orchester: Kiril Petrenko
ist der derzeit größte Wagner-Dirigent. Er peitscht auf und hypnotisiert, er
staucht und dehnt die Zeit, lässt Details funkeln und verliert nie den
großen Bogen aus dem Auge. Das Bayerische Staatsorchester hat er zu einem
Weltklasse-Ensemble geformt, das keinen Vergleich scheuen muss. Und je mehr
die Regie das Bühnengeschehen veröden lässt, desto farbiger werden die
Bilder, die das Orchester vors innere Auge ruft.
REDUZIERTES
EINHEITSBÜHNENBILD Regisseur Krzysztof Warlikowski, der sich sonst
gelegentlich in surrealen Rätselbildern verzettelt, manchmal aber auch in
fesselnde Bedeutungs-Labyrinthe lockt, setzt diesmal ganz auf Reduktion. Das
Einheitsbühnenbild zeigt einen holzgetäfelten Innenraum im Art-Deco-Stil.
Auch die Kostüme sehen nach 20er Jahren aus – wobei diese Zeitebene
letztlich völlig beliebig bleibt. Es passiert wenig, was ja zunächst mal
durchaus passt zu dieser höchst seltsamen Oper. Wagner gab ihr den geradezu
provozierenden Untertitel "Handlung in drei Aufzügen" – als wäre die
Handlung ausgerechnet in diesem Stück die Hauptsache! Jedenfalls nicht die
äußere Handlung: Es geht zwar um entgrenzte Liebe, das aber in durchaus
theoretischer Form. Wenn das Liebespaar endlich mal ungestört ist und sich
der "Raserei" (Wagner) hingeben kann, tut es genau das nicht. Stattdessen
verlieren sich Tristan und Isolde in spitzfindigen poetisch-philosophischen
Erörterungen über Tag und Nacht, Traum und Wirklichkeit, Leben und Sterben.
SELBSTMORD AUF RATEN letzteres läuft für Warliskowski alles hinaus:
Die Liebe zwischen den beiden ist von vornherein nicht lebbar, ihr
gemeinsamer Trip ein Selbstmord auf Raten. Schon im zweiten Akt, auf dem
Höhepunkt der Ekstase, wollen sich die beiden die Pulsschlagadern
aufschneiden. Ansonsten sitzen sie ermüdende Viertelstunden lang in
Ledersesseln fünf Meter voneinander entfernt und strecken gelegentlich
sehnsüchtig nacheinander die Arme aus. Ohne wirklichen Gewinn wird diese
Nicht-Handlung durch einen Film verdoppelt: Da wartet Isolde in einem
Hotelzimmer, irgendwann kommt Tristan rein, die beiden liegen sehr lange
bewegungslos nebeneinander auf dem Bett und nehmen dann endlich Gift.
Unergiebig bleiben auch andere surreale Regieeinfälle. Etwa die
geschlechtslosen Androiden, die während des Vorspiels und des dritten
Aufzugs die Bühne bevölkern. Irgendwas mit Antiquiertheit der Liebe kann man
dazu assoziieren, man kann es aber auch lassen.
Und stattdessen
lieber bewundern, wie exzellent hier gesungen wird: Vor allem den
energiegeladenen Wolfgang Koch (Kurwenal) und die großartige, in allen Lagen
mühelos präsente Okka von der Damerau (Brangäne). Voluminös, makellos
stimmschön, aber etwas glatt gestaltet Mika Kares den betrogenen König
Marke.
HARTEROS' LIEBESTOD MIT INTONATIONSTRÜBUNGEN Noch etwas
zwiespältig fällt die Bilanz bei Anja Harteros aus: Ihr Debut als Isolde
verdient größten Respekt. Fantastisch ist sie vor allem im ersten Akt.
Harteros ist ja mit ihrer schlanken, großen Gestalt absolut eine Erscheinung
auf der Bühne, aber keine geborene Schauspielerin. Umso faszinierender
gelingt es ihr mit der Stimme, den psychologischen Reichtum dieser Figur zu
zeichnen: Mit hellen und dunklen Farben macht sie die mühsam zurückgehaltene
Wut hörbar, die in Isolde brodelt, die Ironie und den Hohn – und die
zerstörerische Liebesenergie, die nur darauf wartet, endlich loszubrechen.
Was Harteros in den eher leisen Stellen verspricht, kann sie jedoch in den
großen Ausbrüchen noch nicht halten: Ausgerechnet beim berühmten Liebestod
am Schluss stören Intonationstrübungen die ganz große Wirkung. Das mag der
Nervosität zuzuschreiben sein – gut möglich, dass schon der zweite Abend
rundum gelingt.
KAUFMANN KANN AM TRISTAN WACHSEN Auch Jonas
Kaufmann hat ganz offensichtlich riesigen Respekt vor seiner mörderisch
schweren Rolle. Und auch er überzeugt im Piano mehr als im Fortissimo. Das
Gemeine an dieser Rolle ist, dass das Schwerste am Schluss kommt, wenn jeder
Sänger schon von zwei langen Akten müde ist – und dass die Stimme auch dann
noch nach heftigsten Ausbrüchen immer wieder schlank und gefühlvoll klingen
muss. Kaufmann teilt sich die Kräfte bewundernswert klug ein. Er spielt
seine lyrischen Stärken aus, hat aber immer genug Reserven, um auch gegen
die aufbrandenden Klangmassen des Orchesters zu bestehen. Und man staunt,
wie intakt die Stimme bis zuletzt bleibt. Jonas Kaufmann ist (noch) kein
großer, aber (schon) ein sehr guter Tristan. Der Sprung ins kalte Wasser ist
geglückt. Jetzt kann er an dieser Angst- und Traumrolle wachsen.
"TRISTAN UND ISOLDE" ALS OPER FÜR ALLE Die Premiere unter der Leitung von
Kirill Petrenko war am Dienstag, 29. Juni 202; alle Folgevorstellungen
während der Festspiele sind ausverkauft. Denn nur ungefähr die Hälfte der
Plätze durfte verkauft werden, das Publikum sitzt im Schachbrettmuster. Doch
am 31. Juli ist die Oper live aus dem Nationaltheater bei "Oper für alle" zu
erleben: Ab 17.00 Uhr in einer Direktübertragung auf den Marstallplatz.
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