Online Merker, 23.8.2021
Von Manfred A. Schmid
 
Puccini: Tosca, Schlossbergbühne Kasematten, Graz, ab 22. August 2021
GRAZ / Kasematten: Giacomo Puccinis TOSCA
 
Halbszenische Aufführung lässt keinen Wunsch nach Bühnenbild und Regie aufkommen

Ein rundum geglückter Fidelio im Vorjahr markierte den Anfang, heuer geht es auf dem Grazer Schlossberg mit Puccinis Tosca glanzvoll weiter. Was als konzertante Aufführung angepriesen wird, entpuppt sich erneut als starke halbszenische Vorstellung, die dank des großartigen Einsatzes der zentralen Protagonisten den Wunsch nach einem Bühnenbild und einer Regie erst gar nicht aufkommen lässt. Was hier von Kristine Opolais, Jonas Kaufmann und dem für den erkrankten Bryn Terfel eingesprungenen Ludovic Tézier auf dem schmalen Streifen vor dem Orchester auf der Kasemattenbühne dargeboten wird, ist allemal besser als eine möglicherweise fragwürdige Inszenierung aufoktroyiert zu bekommen, wie das derzeit etwa in Salzburg mit Michael Sturmingers im Mafia-Milieu angesiedelten Tosca aus Jahr 2018 der Fall ist. In Graz sind sängerisch und darstellerisch versierte Personen mit Ausstrahlung am Werk, die ihre Deutung der ihnen anvertrauten Figur authentisch und wirkungsvoll umsetzen und denen es zudem gelingt, spontan auf das jeweilige Gegenüber einzugehen und auf dessen Rollengestaltung empathisch (Cavaradossi – Tosca) oder taktisch (Scarpia – Tosca) zu reagieren.

Kristine Opolais, die 2019 als Tosca an der MET gefeiert wurde, hat mit Kaufmann und Terfel in Graz geprobt. Dass die gemeinsamen Szenen mit Kaufmann – geprägt von leidenschaftlicher Liebe, divenhafter Koketterie und Eifersucht – auch in dieser halbszenischen Form gut gelingen, ist daher nicht weiter verwunderlich. Das silbrige Timbre der lettischen Sopranistin hat an Substanz gewonnen. „Vissi d’arte“ klingt ebenso anmutig wie verzweifelt, ist tief empfunden und fein gestaltet. Ihrer Tosca mag ein volatiler Charakter anhaften, von Anfang an aber hat man das Gefühl, es mit einer Person zu tun zu haben, die genau weiß, was sie will und das auch umsetzt. Als souveräne Diva verfügt diese Tosca über ein breitgefächertes Instrumentarium, Gefühlsregungen auszudrücken. Der Eindruck, dass ihre Eifersucht nur aus einer neckischen Laune heraus, meisterhaft (vor-)gespielt ist, mag durchaus zutreffend und gewollt sein.

Für Jonas Kaufmann ist der Cavaradossi die Partie, die er öfter als alle anderen gespielt hat. Vor einem Monat erst wurde er dafür – an der Seite von Sondra Radvanovsky – in Madrid stürmisch gefeiert. Von Anfang an höchst präsent auf der Bühne, lässt er bereits in seiner brillanten Interpretation von „Recondita armonia“ keinen Zweifel aufkommen, dass er in stimmlicher Bestverfassung ist. Höhepunkt – wie könnte es auch anders sein – die Arie „E lucevan le stelle“ im III. Akt. Wunderschön entfaltet er seinen dunkel timbrierten und dennoch hell anmutenden Tenor. Ein so zartes, berückendes Piano in der Höhenlage hat man schon lange nicht mehr gehört. Donnernder, natürlich da-capo-gekrönter Applaus.

Ludovic Tézier, der am Abend zuvor in der Salzburger Tosca mit Netrebko auf der Bühne gestanden ist, kam buchstäblich in letzter Minute per PKW auf den Schlossberg in Graz und stürzte sich ohne Probe in das intensive Beziehungsdrama. Ein größerer Kontrast ist kaum vorstellbar als der zu Bryn Terfel, den es diesem Abend zu ersetzen gilt. Terfel, schon von der physischen Statur her eine einschüchternde, beinahe überlebensgroße Erscheinung, und hier der feingliedrige, gar nicht mit imposanten äußerlichen Merkmalen aufwartende französische Bariton, der freilich über eine sehr einnehmende, schmeichelnd weiche Stimme verfügt. Sein Scarpia besticht durch seine lauernde Gefährlichkeit. Kein auftrumpfender Polizeichef mit zur Gewalttätigkeit tendierenden Manieren, sondern einer, der seine Brutalität hinter einer bürokratischen Fassade verbirgt. Seine Beziehung zu Tosca ist weniger sexueller Art, sondern ihre Eroberung scheint für ihn eher nur eine Bestätigung seiner Machtfülle zu sein. Tézier liefert, mit schmeichelnd warmem Klang, das vielschichtige Porträt eines Mannes, der ein Schreibtischtäter ist und die Dreckarbeit lieber seinen Schergen überlässt. Von der all ihren Mut aufbringenden und ihn durchschauenden Tosca aus der Reserve gelockt, lässt er – vieleicht zum ersten Mal – seine Maske vorgetäuschter Seriosität fallen, was ihn das Leben kosten wird.

Die Nebenrollen sind bewährten Kräften der Grazer Oper anvertraut. Daeho Kim ist ein eindrucksvoll seine gefährdete Lage widerspielgelnder Angelotti und tritt am Schluss auch als kalmierender Kerkermeister auf. Markus Butter gibt den sich dem Regime andienenden Messner und tritt auch als Scarpias treu ergebener Erfüllungsgehilfe Sciarrone in Erscheinung. Erwähnenswert weiters Marat Maksimov als Hirt und Martin Fournier als Spoletta.

Markus Merkel als musikalischer Leiter führt das aus Mitgliedern der Grazer Philharmoniker bestehende Orchester und die aus Mitgliedern des Chores und der Singschul der Oper Graz bestehende Chöre zu einer eindrucksvollen Hochleistung und ist so ein Garant für eine gute musikalische Basis, auf der die Sängerin und die Sänger sich entfalten können. Tosender, begeisterter, stehend gespendeter Applaus als Dank für einen außergewöhnlichen Opernabend.

Natürlich sind Opern dazu geschrieben worden, in Szene gesetzt aufgeführt zu werden. Wer aber je schon in einer Vorstellung gesessen ist und angesichts des dort auf der Bühne Gebotenen das starke Bedürfnis empfand, die Augen zu schließen, wird zuweilen an einer konzertant bzw. halbseznisch dargebotentenen Operaufführung seine helle Freude haben. Vor allem dann, wenn sie so gelungen ist wie diese hier in Graz.








 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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