Online Merker, 18.04.2021
Heinrich Schramm-Schiessl
 
Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021 (Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
WIEN/ Staatsoper: PARSIFAL in der Serebrennikov-Deutung. Premierenbericht/ Stream
Im Vergleich zu anderen grossen Opernhäusern, wie z.B. der MET oder Covent Garden, die wegen Corona einfach komplett zugesperrt haben, hat die Wr. Staatsoper neben einigen anderen Opernhäusern wenigstens die geplanten Neuinszenierungen und Wiederaufnahmen fertig geprobt und neben einigen wenigen Repertoireaufführungen ohne Publikum aufgeführt und dem interessierten Publikum via Stream angeboten. Die Produktionen „Carmen“ und „La Traviata“ wurden zeitgleich mit der Aufführung gestreamt und am selben Abend zeitversetzt auf ORF III ausgestrahlt. Bei der jüngsten Neuproduktion, „Parsifal“ war es plötzlich anders. Es gab von der Aufführung am 11. April weder einen Stream noch eine zeitversetzte Sendung im Fernsehen. Im Fernsehen ist – zumindest vorläufig – überhaupt nur eine „Readers-Digest“-Fassung von zwei Stunden geplant. Auf Anfrage hieß es beim ORF, dass dies der Länge des Werkes geschuldet sei. Hier hört allerdings das Verständnis bei mir auf. Die Sitzungen des Nationalrats werden schließlich oft an mehreren Tagen in der Woche bis zu zehn Stunden lang übertragen, da können doch viereinhalb Stunden einer Oper, deren Produktion immerhin von den Steuerzahlern mitfinanziert wird, nicht wirklich ins Gewicht fallen. Um gleich Mißverständnissen vorzubeugen, ich halte die Übertragungen von Nationalratssitzungen für richtig und wichtig und sehe sie mir selbst regelmäßig an. Zur Gänze hätte man den „Parsifal“ nur im Stream auf ARTE-Concert sehen können. Vergangenen Mittwoch zog dann der ORF doch nach und bot die Aufführung als Stream in seiner TV-Thek an. Trotzdem bleibt die Frage offen, warum man hier von der bisher geübten Praxis abgewichen ist. Eine schlüssige Antwort darauf ist uns der Staatsoperndirektor bislang schuldig geblieben.

Seit 1979 ist das nun die vierte Neuinszenierung und von den bisherigen drei war eine schlechter und – in Hiblick auf die letzten beiden – falscher als die andere. Das liegt daran, daß speziell die heutigen Regisseure den Text und die Musik nicht verstehen und mit der von tiefer (christlicher) Religiosität geprägten Handlung, was besonders in der Gralsszene des 1. Aufzuges zum Ausdruck kommt, nichts anzufangen wissen. Daher erfinden sie dann eine eigene Handlung, wie zuletzt Alvis Hermanis, der die Geschichte in der psychiatrischen Klinik Steinhof ansiedelte, die absolut nichts mit dem Text und der Musik Wagners zu tun haben.

Nun ließ uns also Kirill Serebrennikov daran teilhaben, wie er das Werk sieht. Um es gleich vorwegzunehmen, auch er hat es nicht verstanden bzw. wusste nichts damit anzufangen. Vielmehr verarbeitete er offenbar sein persönliches Schicksal in seiner Interpretation. Er lässt das Werk im ersten und dritten Aufzug in einem Gefängnis spielen, im zweiten in der Redaktion eines Hochglanzmagazins. Natürlich wird das Vorspiel illustriert, denn zehn Minuten nur Musik geht im heutigen Theater natürlich gar nicht. Parsifal kommt offenbar in das Gefängnis zurück in dem er als Junger einsitzen musste und erlebt alles noch einmal, indem er von einem jungen Schauspieler gedoubelt wird. Während des Vorspiels kommen zahlreiche Gefangene herein, die entweder Morgensport betreiben oder miteinander raufen. Dazu passen dann die ersten Worte des Gurnemanz „He! Ho! Waldhüter, Schlafhüter mitsammen, so wacht doch mindest am Morgen´!“ natürlich überhaupt nicht und das in der Musik eindeutig definierte Gebet findet natürlich nicht statt. Kundry ist natürlich keine „wilde Reiterin“ sondern offenbar eine Journalistin, die den Gefangenen auch kleine Gefälligkeiten erweist, indem sie Dinge mitbringt, die man im Gefängnis offenbar nicht bekommt. Das passt natürlich überhaupt nicht dazu, dass sie etwas später trotzig sagt „Ich helfe nie!“. Parsifal hat natürlich keinen Schwan erlegt, sondern wird nur als neuer Gefangener hereingeführt und sofort von den anderen verprügelt. Eine Verwandlung im Sinne der Musik gibt es nicht, die Bühnenbilder, für die der Regisseur genauso wie für die Kostüme selbst verantwortlich zeichnet, werden nur umgestellt, in dem man in die Zellen von Amfortas und Gurnemanz blicken kann. Seine Klage singt Amfortas, der offenbar von der Haft traumatisiert ist, allein im Waschraum der Zelle sitzend, und wird dann von Gurnemanz und anderen Mithäftlingen ins Bett gebracht. Die Gralszene selbst findet dann nicht statt, sondern die Gefangenen schlafen und die Wärter kontrollieren die Post und finden darunter einen Gebetsteppich, eine Minora und schließlich den Gralskelch, den einer der Wärter spöttisch in die Höhe hält. Der grosse Chor ist dann der Morgenappell. Die Stimme von oben gibt es natürlich auch nicht, deren Text wird von Kundry gesungen, die eigentlich schon längst weg sein sollte.

Im zweiten Aufzug sehen wir dann Klingsor als Herausgeber des Hochglanzmagazins, bei dem Kundry arbeitet. Seine Beschwörung „Herauf! Herauf! Zu mir“ findet natürlich auf der Bühne nicht statt, denn Kundry kommt einfach bei der Türe herein. Die Blumenmädchen sind teilweise Reporterinnen und teilweise Putzfrauen. Bei „Amfortas! Die Wunde“ schmust Kundry immer noch mit dem Double und richtet sich danach das Make-up und die Haare. Klingsor wirft natürlich keinen Speer und bei „Mit diesem Zeichen…“ erschiesst Kundry Klingsor.

Während des Vorspiels zum dritten Akt – natürlich auch szenisch aufgelöst – wird Kundry wegen dieses Mordes in das Gefängnis gebracht, in dem offenbar mittlerweile auch Frauen sind, denn man sah noch ein paar Mitgefangene. Jetzt agiert Parsifal schon als Gealterter, das junge Double kommt erst ganz zum Schluss auf nicht ganz durchschaubare Art zurück. Der Karfreitagszauber spiegelt sich natürlich auf der Bühne nicht wieder, die weiblichen Gefangenen stellen nur Kerzen auf und legen eine Blumengirlande um Parsifal. Der Speer ist nur ein Metallrohr und auch die zweite Verwandlung findet wieder nicht im Sinne der Musik statt, sondern es werden nur Tische und Sessel hereingebracht – offenbar befinden wir uns im Speisesaal des Gefängnisses. Auch hier findet natürlich keine Gralsenthüllung statt, sondern Parsifal entlässt alle Gefangenen in die Freiheit. Warum er das kann, wird nicht wirklich erklärt.

Das sind nur einige Beispiele für den Widerspruch von Text und Musik auf der einen und dem Geschehen auf der Bühne auf der anderen Seite. Mehr würden allerdings den Rahmen dieses Berichtes sprengen. Zu alldem wäre noch zu sagen, dass die Personenführung eher uninteressant war und mit dem Chor wusste Herr Serebrennikov überhaupt nichts anzufangen.

Kommen wir nun zum musikalischen Teil des Abends, der wesentlich erfreulicher war und sich eine bessere szenische Umsetzung verdient hätte. Jonas Kaufmann , den ich immer schon in Rollen sdes deutschen Faches lieber habe als in solchen des italienischen und französischen, hat mir in der Tielrolle gut gefallen. Die Tessitura der Rolle ist nicht so hoch und kommt ihm daher entgegen und über die wenigen hohen Töne kam er mit Routine hinweg. Daran, dass er die Töne immer etwas anschleift, hat man sich bei ihm ja schon gewöhnt. Die Darstellung blieb eher routiniert. Elina Garanca, deren Debut als Kundry ich doch mit einigen Bedenken engegengesehen habe, war sehr gut. Besonders in den Legato-Passagen, wo sie ihren wunderbaren Mezzo strömen lassen konnte, sang sie wunderbar auf Linie und sehr ausdrucksvoll. Im zweiten Teil des zweiten Aufzuges, wenn es dramatisch wird, hielt sie ihre Linie und liess sich nicht zu unkontrolliertem Forcieren verführen. Die Spitzentöne kamen kontrolliert,aber nicht uneffektvoll. Die wahrscheinlich beste Leistung bot Georg Zeppenfeld als Gurnemanz. Er sang mit wunderbar fließender Stimme, hatte in keiner Lage ein Problem und war auch gestalterisch als einziger wirklich überzeugend. Ludovic Tezier, erstmals in einer Rolle des deutschen Faches am Haus, sang den Amfortas mit schöner Stimme und konnte auch in den dramatischen Passagen überzeugen. Wolfgang Koch war ein eher ungefährlicher Klingsor, sang aber zufriedenstellend. Stefan Cerny lieh seine schöne Stimme dem Titurel. Die übrigen Rollen waren, wie leider öfter in der letzten Zeit, eher unterschiedlich besetzt. Die Blumenmädchen jedenfalls hat man schon hochkarätiger besetzt gehört.

Philippe Jordan hat zumindest für mich seine bisher beste Leistung als Musikdirektor des Hauses erbracht. Er hat das Orchester sorgfältig einstudiert und bemühte sich um ein vernünftiges Zeitmass. Was leider fehlte waren die Ausbrüche, dort wo es verlangt wird und der große Bogen. Das Orchester spielte sehr gut und auch der von Thomas Lang einstudierte Chor sang wie gewohnt in diesem Werk ausgezeichnet.

Am Ende blieb man mit gemischten Gefühlen zurück, denn wahrscheinlich müssen wir jetzt zehn Jahre mit dieser Produktion auskommen.



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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