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Der Standard, 19.4.2021 |
Ljubiša Tošic |
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Wagner: Parsifal, Wiener Staatsoper, 18. April 2021
(Stream, Aufzeichnung vom 11. April 2021)
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Wiener Staatsoper: Kirill Serebrennikovs doppelter Parsifal |
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Wagners "Parsifal" in einer aufsehenerregenden Neuinszenierung von
Kirill Serebrennikov: Der russische Regisseur entwickelt ein mehrschichtiges
Entwicklungsdrama
Es war einmal ein Grüppchen von
Lumpenrittern, das torkelte unter der Regieanleitung von Christine Mielitz
kraftlos umher – und in Erwartung seines neuen Königs Parsifal. War
interessant. Später führte Regisseur Alvis Hermanis Ritter und Parsifal nach
Steinhof, wo ihnen im Sanatorium ein aufleuchtendes Großhirn (als
Gralsymbol) Kraft spenden sollte.
Nach diesem Experiment begab es
sich nun, dass Regisseur Kirill Serebrennikov die Ritter ins Gefängnis
steckte. Zwischen Schnurspringen, Kampfsport und Bankdrücken werden sie von
Gurnemanz, der grauen Gefängniseminenz, tätowiert, während sie die Freiheit
ersehnen und letztlich auch bekommen werden.
Parsifal ist bei ihnen
und auch nicht: Ein paar Stufen unter dem Gefängnisraum (Bühnenbild:
Serebrennikov) hält sich einer verzweifelt den Kopf, sitzt gekrümmt nahe der
Rampe und beobachtet die Ereignisse. Parsifal sieht und erleidet sein
eigenes Kerkerleben.
Die Lehrjahre Bei Serebrennikov ist nicht
Kundry jene, die ruhelos durch die Zeiten wandert. Es ist der leicht
ergraute Parsifal, der zwei (der drei) Akte lang seine "Lehrjahre"
reflektiert und bisweilen versucht, in das Geschehen von einst einzugreifen.
Während des Vorspiels, das Dirigent Philippe Jordan mit dem
Staatsopernorchester durchaus getragen zelebriert, ist die Ursache der
Zerknirschung dieser grübelnden Existenz noch nicht erkennbar. Schließlich
aber nimmt der Schwan, den Parsifal bei Richard Wagner erlegt, an der
Staatsoper verschwommene, menschliche Gestalt an.
Und dann passiert
es: Mit einer aus dem Mund mit der Zunge flink herausgewürgten Rasierklinge
schneidet der junge Parsifal in einer intimen Waschraumszene diesem
Mithäftling einfach so die Kehle durch.
Filmische Umsetzung Zu
sehen ist der Mord in filmischer Umsetzung. Und wirkt er surreal
ästhetisiert, kommt der zweite Mord der Inszenierung ungeschminkt und direkt
daher: Kundry, die das Gefängnis im ersten Akt als Journalistin zwecks
Recherche aufsucht, streckt im Mittelakt Klingsor (souverän Wolfgang Koch)
mit Pistolenschüssen nieder.
Der Durchlöcherte war in der
Redaktionsstube eines Lifestyle-Magazins, das mit dem jungen Parsifal ein
Fotoshooting durchzieht, wohl ein smarter Herausgeber, der seine Vorhaben
allzu manipulativ durchsetzt.
Persönliche Geschichte Serebrennikov
organisiert also seine ganz persönliche Geschichte, die sich von den
religiösen Konzepten Wagners löst, keinesfalls jedoch nihilistisch
daherkommt. Räumlich geht er den Weg Richtung erlösender Menschlichkeit auf
drei Ebenen: Unter dem Zentralraum (Gefängnis oder Redaktionsstube) sinniert
der reife Parsifal vornehmlich einsam an der Rampe, was für den delikaten
Jonas Kaufmann Vorteile birgt. So geht er im bisweilen packend-offensiven
Orchestersound nicht unter.
Über dem Gefängnis aber drei Leinwände,
die Serebrennikovs filmische Ideenwelt in Schwarz-Weiß präsentieren: Durch
diese drei Raumschichten schafft es der Regisseur, einige Erzähl- und
Zeitebenen zum poetisch mit der Musik verschmelzenden Gesamtkunstwerk zu
formen.
Im Kopf des Helden Serebrennikov hat sich quasi in
Parsifals Kopf hineingedacht, um dessen Erlebnisse und Erinnerungen in einer
Art fantastischem Realismus zu einer dynamischen Bilderfuge geraten zu
lassen. In dieser szenischen Mehrstimmigkeit geht es jedoch nicht nur um
optisch Markantes. Hier wurde ein Entwicklungsdrama entworfen, in dem sich
Leid und Mitleid abseits des Religiösen treffen und menschliche Empathie
keinerlei christlicher Motivation bedarf, um wirksam zu werden.
In
diesem Sinne wird auch die Gegenständlichkeit von Speer, Kelch und Kreuz auf
die tätowierte Häftlingshaut verbannt und zum dekorativen Teil stolzer
filmisch dargestellter Körperposen gemacht. Der Gral selbst leuchtet nur
einmal wundersam auf, wenn ihn Gefängniswärter aus einem Paket ziehen. Das
war’s mit Ritual und Symbolik.
Der Selbstmörder Amfortas wiederum
ist nicht tätowiert (von packender Intensität Ludovic Tézier). Er ist der
potenzielle Selbstmörder, den die Stimme Titurels (Stefan Cerny) als
Halluzination plagt. Gurnemanz (souverän in der Diktion und liedhaft subtil
Georg Zappenfeld) kümmert sich um ihn, der junge Parsifal ist Zeuge.
Er, der im dritten Akt als gereifter Befreier die Gefängnistore öffnet,
war lange durch Schneelandschaften gewandert, hauste in Ruinen und
absolvierte eine Etüde der Selbstbefragung. Nun moderiert er im Gefängnis
das Geschehen in Richtung Hoffnung. Auch hier lässt Serebrennikov Parsifal
auf sich selbst treffen: Es küsst der junge Parsifal (Nikolay Sidorenko)
jene Kundry, die ihn im zweiten Akt verführen wollte, nunmehr glaubhaft
innig.
Tolles Ensemble Überhaupt Kundry: Sie ist nicht die leidend
Dienende. Sie ist bei der grandiosen Elīna Garanča eine selbstbewusste Frau,
die zur Mörderin wird und im Gefängnis landet, wo sie illusionslos
dahinvegetiert. Garanča transportiert das offensive Wesen der Figur, die
Amfortas durch Berührung heilt (und nicht der Speer), auch vokal packend. Es
leben Sinnlichkeit auf und durchdringende Dramatik, die auch im Orchester
spürbar werden. Philippe Jordan erweckt mit dem Orchester aber auch die
narkotische Magie dieser Partitur.
Kurzum: Eine faszinierende
vielschichtige Eigenbaupremiere der Wiener Staatsoper mit
Sensationsbesetzung (und gutem Chor). Mit Publikum wäre es nach dem Ende
sicher auch interessant geworden. (Ljubiša Tošić, 19.4.2021) |
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