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Die Presse, 19.9.2020 |
Wilhelm Sinkovicz |
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Sommernachtskonzert, Wien, Schönbrunn, 18. September 2020
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Ein Münchner rettete das Philharmoniker-Konzert in Schönbrunn |
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Jonas Kaufmanns Liebeserklärung an Wien war das Beste beim
philharmonischen Sommerkonzert in Schönbrunn. |
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Wien bleibt die Stadt seiner Träume. Wer Jonas Kaufmann das singen hört,
glaubt ihm, serviert er doch die Mixtur aus Amateur-Poesie und
Dialekt-Relikten, als hätte er seine Jugend in Hernals verbracht. An solch
linguistisch heiklen Aufgaben scheitern ja oft waschechte Wiener kläglich.
Das Problem ließ sich am Freitag auch auf einer Metaebene studieren: Zum
viertenmal dirigierte Valery Gergiev das philharmonische Konzert in
Schönbrunn, das diesmal wirklich zum „Sommernachtskonzert“ wurde, weil es
endlich einmal nicht im verregneten Juni, sondern im nur meteorologisch
herbstlichen September stattfand.
Den schönen Abend durften aber nur
1250 geladene Gäste genießen. Wo sonst Zigtausende das Konzertgeschenk als
Volksfest feiern, agierten zum Wohle der Verbreitung der sogenannten
klassischen Musik diesmal nur die Kameras. Ein Medienereignis also, vom
Medien-Vollprofi Gergiev mit seinen berüchtigten zitternden Bewegungen aus
dem Ärmel geschüttelt.
Gergievs Zahnstocher-Schlag „Geschüttelt,
nicht gerührt“ hieß es diesmal für Vorspiel und Rosenüberreichung aus dem
„Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Und da durfte man noch nicht darüber
nachdenken, wie das ist, wenn ein Mann aus München den wienerischen Tonfall
täuschend echt trifft: Wenn Gergiev Musik dirigiert, die ihm nicht wirklich
am Herzen liegt, die er nicht wirklich gut kennt, dann genügt bekanntlich
ein verstohlener Blick in die Partitur, und schon weiß er, wie's gleich
weitergeht. Die Philharmoniker wüssten das zwar, ohne in ihre Noten schauen
zu müssen, aber zum Zweck des Gleichzeitig-fertig-Werdens fügen sie sich –
es schaut ja die Welt zu! – dem Gergievschen Zahnstocher-Schlag.
Zum
Glück kommen ja in den gewählten „Rosenkavalier“-Fragmenten vergleichsweise
wenige bis gar keine Walzerrhythmen vor. Das gilt, weiß Gott, auch für das
Liebesduett und den Schluss aus „Tristan und Isolde“, die Leopold Stokowski
zu einem effektvollen symphonischen Arrangement verwoben hat. Auch hier
irritierten nicht fehlende rhythmische Sensibilitäten, sondern die
schnoddrig-unbeteiligte Attitüde, mit der man dieser Musik jeglichen
romantisch-euphorischen Überschwang austrieb. Selbst die Gondel aus
„Hoffmanns Erzählungen“ trieb man dann in der „Barcarole“ wie ein
Schnellboot voran. Spartacus? Onedin-Line!
Die Gemengelage in
Wiener Sommernächten ist übrigens viel komplizierter, als dass man sich über
die Begegnung Jacques Offenbachs und Richard Wagners im Schlosspark Gedanken
machen sollte. Folgten doch noch eine Suite aus Maurice Jarres Filmmusik zu
„Doktor Schiwago“ und das Adagio aus dem sowjetischen Ballett-Klassiker
„Spartacus“. Wie immer man über die qualitativen Differenzen zwischen
Filmmusik und spätromantischer oder frühmoderner Bühnenmusik denken mag, als
Valery Gergiev bei Katschaturian endlich in seinem Element war, machten ihm
die Erinnerungen westlicher TV-Konsumenten einen Strich durch die Rechnung:
Das war doch? Genau! Die Kennmelodie der „Onedin-Line“.
Da ist nichts
zu machen. Ist der Ruf erst einmal ruiniert, bringt eine solche Melodie
keine noch so gute Interpretation mehr assoziationslos zurück auf die
Klassik-Bühne. Dafür hatten sich die Philharmoniker mittlerweile
freigespielt und begleiteten nicht nur Jonas Kaufmanns wienerische Zugabe im
rechten Zungenschlag, sondern ließen sich zuletzt auch bei „Wiener Blut“
keine Fremdkörper injizieren: Plötzlich klang es leicht und befreit von
jeglicher kapellmeisterischen Zwangsjacke.
Auch der Tenor sang sich
mit „Wien, Wien, nur du allein“ ganz frei – bei Massenets „Werther“ hatte es
noch so geklungen, als kostete es Jonas Kaufmann mittlerweile erhebliche
Mühe, seine berühmte baritonale Tiefe mit der immer gaumiger tönenden
Mischstimme in höheren Lagen bruchlos zu einen. Am Ende siegte doch
vollendete Artikulationskunst – und Wien durfte wieder einmal Wien bleiben.
Eine gefährliche Drohung, da hatte Karl Kraus wahrscheinlich recht...
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