Online Merker, 14. September 2020
Von Manfred A. Schmid
 
Liederabend, Wien, Theater im Park, 13. September 2020
Theater im Park: Liederabend von JONAS KAUFMANN und HELMUT DEUTSCH
 
Richard Strauss, so die Überlieferung, hat Tenöre nicht besonders geschätzt. Als Belege für seine Missachtung wird u.a. der Umstand angeführt, dass er dieser Stimmlage im Rosenkavalier nur eine einzige Arie zugebilligt hat, dargeboten noch dazu während der geschäftigen Morgentoilette der Marschallin von einem eigens dafür angeheuerten italienischen Tenor. Ob Strauss seine abschätzige Einstellung gegenüber Tenören geändert hätte, wenn ihm die Aufnahme von 28 seiner Lieder, gesungen von Jonas Kaufmann, mit Helmut Deutsch am Klavier, auf bekannt gewesen wäre? Das Wiener Publikum beim zweiten, wiederum ausverkauften Auftritt des seit Jahren bestens aufeinander eingespielten Duos im Theater im Park – der erste fand bereits am 24. August statt – hatte jedenfalls Gelegenheit dazu, sich von der Güte seiner Liedinterpretationen zu überzeugen. Für viele, die vor allem wegen des bekannten Namens des Stars gekommen sein dürften, mag es überhaupt das erste Mal sein, mit dem spätromantischen Liedschaffen des Meisters aus Garmisch konfrontiert zu werden. Eine ziemliche Herausforderung, gewiss, die sie aber – nach jedem Lied freundlich klatschend- geduldig annehmen. Warten im zweite Programmteil als Belohnung doch Wienerlieder und Operettenschlager auf sie.

Hoch anzurechnen ist dem Sänger, dass er bei der Programmplanung nicht bloß auf musikalische „Reißer“ setzt, sondern auch Anspruchsvolles riskiert. So verzichtet er bei Strauss auf Schlager wie „Zueignung“ und setzte stattdessen auf eine möglichst vielfältige Auswahl ernsterer und heiter gestimmter Lieder. Zu den bekannteren gehört u.a. das Liebeslied „Breit über mein Haupt, dessen zentrales Motiv ein Hell-Dunkel-Kontrast ist, der sich in der Gegenüberstellung des dunklen Haars der geliebten Person mit dem „Licht“ ihrer Augen bzw. dem „Glanz“ ihrer „Blicke“ manifestiert. In „Heimliche Aufforderung“ und „Ich trage eine Minne“, aber auch in Raritäten wie „Wozu noch ein Mädchen“ sowie in der Gestaltung der humorvollen, mit herrlicher Mimik dargebotenen Kompositionen wie „Ach weh, mir unglückhaftem Mann“ und „Die Frauen sind oft fromm“ kann Jonas Kaufmann seine Stärken ausspielen: artikulationssichere Gestaltung ohne jegliche Vokalverfärbung. Dazu kommt seine perfekte Atemtechnik, seine romantische Herangehensweise sowie sein einfühlungsstarker emotionaler Einsatz. Dort, wo markante forte-Akzente gefordert sind, ist er genauso sattelfest wie in den vorzüglich gestalteten piano- und mezzavoce-Passagen. Damit derart delikate Töne gesangstechnisch einwandfrei bewältigt werden können, bedarf es einer perfekt sitzenden Stimme, die selbst leisesten Tönen Körperhaftigkeit und Fülle verleiht. Das ist bei Kaufmann zweifellos der Fall, auch wenn seine Stimme von jeher etwas abgedunkelt klingt. Berührend gestaltet er das innige „Morgen“, in dem Helmut Deutsch, sein kongenialer, sich nie vordrängender Partner am Klavier, gerade angesichts der ergreifenden Zärtlichkeit und Schlichtheit dieses Liedes berühren kann. Den wechselnden Stimmungen der Lieder folgt er mit imponierender Meisterschaft und Einfühlungsvermögen. Packend bewältigt er, die ganze Spannweite der Tastatur wie im Flug, mühelos und intensiv auskostend, die für Strauss so typischen, prächtig gestalteten Arpeggios, und bringt so die ebenso kräftigen wie zarten Farben des Klavierparts zum Strahlen.

Anschließend geht es ohne Pause in die bunte Welt des Wienerlieds. Als vor einem Jahr Kaufmanns diesem Genre gewidmete CD herauskam, war die Skepsis groß. „Steril, poliert und pomadig“ lautete das im Nachrichtenmagazin Profil veröffentlichte vernichtende Urteil. Manche Kritiker vermissten die Lockerheit und das „wienerisch gefärbte, selbstverständliche Parlando“ im Vortrag. Schmalzig vorgetragen sind Kaufmanns Wienerlieder tatsächlich nicht, und er ist auch kein auf die Tränendüsen drückender Operetten-Buffo. Das war er schon damals nicht, als er als Anfänger in Saarbrücken als Alfred in der Fledermaus auf der Bühne stand. Doch die Liebe zum Wienerischen ist ihm, der einen Gutteil seiner Kindheit in Tirol bei seiner operettenverliebten Großmutter verbracht, früh vertraut. Und der Wiener Dialekt ist dem im süddeutschen Sprachraum in München geborenen Sänger auch nicht so fremd. Was man in der herrlichen Sommernacht im wunderbaren Ambiente des bislang nicht zugänglichen Teils des Schwarzenberg‘schen Belvedere-Parks erlebt, ist folglich ein cooler, durchaus lockerer Wienerlied- und Operetten-Sänger, der, die Hände oft in den Hosentaschen, mit seinem weichen Timbre mehr an Rudolf Schock erinnert als an den strahlend hell tönenden Nicolai Gedda. Charmant? Ja, aber nicht anbiedernd süßlich, sondern mit einem verständnisvollen, geradezu spitzbübischen Augenzwinkern. Das ist jedenfalls der sympathische Eindruck, den seine Interpretation der Lieder von Johann Strauß („Draußen in Sievering“), Robert Stolz („Im Prater blühn wieder die Bäume“) und Hermann Leopoldi („In einem kleinen Café in Hernals“) hinterlässt. Wenn Kaufmann in „Der alte Herr Kanzleirat“ von Hans Lang zum Besten gibt und dabei eine eher eigenwillige Hans Moser Nuschelei einfließen lässt, ist das zwar nicht so überzeugend, wirkt aber durchaus lustig bis belustigend. Gut, dass er ansonsten seine Annäherung ans Wienerisch nicht auf die Spitze treibt. Hintersinnig gelingt ihm das Alexander-Steinbrecher-Lied vom „Kleinen Wegerl im Helenental“ und Ralph Benatzys Heurigenlied „Ich muss wieder enmal in Grinzing sein“. Das ebenfalls zu Gehör gebrachte „Im Traum hast du mir alles erlaubt“ erzählt schwärmerisch von Zuständen, die in Me-too-Zeiten längst nicht mehr statthaft wären.

Den Abschluss machen vier Operetten-Arien, die für einen Tenor geschrieben wurden und die Jonas Kaufmann wie auf den Leib geschrieben scheinen. Da sie sich meist in der Mittellage bewegen, kommen sie einem Tenor, der auch im Baritonfach reüssiert und sich höhenmäßig klugerweise nie überfordert, naturgemäß sehr entgegen. Und wenn es einmal ausnahmsweise richtig hoch wird, greift er zu einem probaten Mittel: zu seiner anmutigen Kopfstimme. Ein mit Schmelz dargebotenes „Dein ist mein ganzes Herz“ von Franz Lehár leitet schießlich über zum Zugabenteil, der mit der inoffiziellen Wiener Hymne „Wien, Wien nur du allein“ sein vielbeklatschtes Ende findet. Gestrenge Kritiker mögen ihre Einwände haben, das Publikum im Theater im Park, vermutlich ein sehr breiter Querschnitt der Wiener Bevölkerung, zeigte sich überaus zufrieden. Und die haben wohl die Oberhoheit über das, was man d i e Wiener Musik nennt.









 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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