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Online Merker, 12.12.2019 |
Susanne Kittel-May |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Großartige letzte Vorstellung der Premierenserie |
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Weshalb berichten eigentlich alle Kritiker immer nur über die Premiere?
Weshalb werden immer nur die Premierenserien im Radio übertragen? Schon
klar, die Reaktionen des Publikums auf die Inszenierung, die knisternde
Spannung in der Luft gibt es nur bei Premieren. Aber um wieviel besser doch
die musikalische Seite der letzten Vorstellung einer Premierenserie ist,
konnte man heute in München an der Bayerischen Staatsoper erfahren –
Vorausgesetzt, man hat beide Vorstellungen besucht.
Eine Marlis
Peterson von schier unbändiger Spielfreude, ein betörend singender Jonas
Kaufmann und Kirill Petrenko entwickelt mit dem Bayerischen Staatsorchester
einen Sog, dem sich niemand entziehen kann. Dazu eine überaus schlüssige
Regie, die aus Korngolds morbidem Fin-de-Siècle-Werk – Freud lässt grüßen –
einen Psychothriller mit Happy End macht. „Triumpf des Lebens“ wollte der
Komponist die Oper ursprünglich nennen; genau das hat Simon Stone
inszeniert.
Es gibt verschiedenen Legenden, wer die Tote Stadt in
München unbedingt machen wollte: Kaufmann, der den Paul singen wollte oder
Petrenko, der das Werk unbedingt dirigieren wollte, oder vielleicht Bachler,
der Korngold nach 65 Jahren, so lange liegt die letzte Aufführung in München
zurück, rehabilitieren wollte. Nun, Petrenko hat bei der Premierenmatinee
für Lacher gesorgt, als er sagte, er habe alles gemacht, was Bachler wollte.
Eigentlich hätte Stefan Herheim Regie führen sollen, doch der sagte
ab. Also holte man kurzerhand die drei Jahre alte Baseler Produktion –
Premiere war dort am 17. September 2016 – dieser Oper nach München. Die
Karriere von Regisseur Simon Stone nahm in der Zwischenzeit so sehr an Fahrt
auf, dass er zwei geplante Theaterproduktionen in München komplett ausfallen
lassen musste, da er mit Dreharbeiten für eine Netflix-Serie beschäftigt
ist. Das war nicht weiter schlimm, hatte er doch mit Maria-Magdalena
Kwaschnik eine Mitarbeiterin, die die Einstudierung mit den Sängern der
Münchner Produktion kongenial übernehmen konnte. Offensichtlich sind sowohl
Stone als auch Kwaschnik mit sehr viel Gespür für Musik ausgestattet: wie
durchchoreographiert wirken die Bewegungen der Sänger, immer passend zur
Musik, nie herrscht operngestischer Standard vor.
Stone und sein
Bühnenbildner Ralph Myers treiben der Geschichte vom Witwer Paul, der durch
den Tod seiner Frau unfähig zu trauern und wie erstarrt ist, jeden Hauch von
schwülstiger Morbidezza aus. Nicht die düstere Stadt ist das Bild von Pauls
innerer Erstarrung, sondern ein aseptischer, gleißend heller Bungalow im
Bauhausstil mit Staubschutztüchern auf den Möbeln. Dieser Bungalow beginnt
sich mit dem Ausbruch von Pauls Traum, der hier als Psychose gedeutet wird,
in seine Einzelteile zu zerlegen, die Zimmer brechen auseinander, stapeln
sich übereinander und kehren am Ende, wenn Paul aus der Psychose erwacht, in
die ursprüngliche Form zurück. Ein großartiges Bild für die psychische
Verfassung der Hauptperson; das Erwachen aus der Psychose ist der Beginn der
Trauerarbeit an deren Ende ein neues Leben für Paul stehen kann.
In
diesem Rahmen werden die Figuren mit sehr genau beobachteter Personenregie
geführt, die auch Raum für ironische Brechungen und Komik lässt: Paul
streift sich hastig die blauen Gummihandschuhe ab, bevor er Marietta die
Blumen gibt. Bevor er am Ende des ersten Aktes zu ihr eilt trinkt er erst
mal einen Wodka und am Ende trinkt er ein Bier und geht ab, nicht ohne das
Licht auszumachen.
Jonas Kaufmann, der in der Premiere noch etwas
angestrengt klang, vor allem im 3. Akt, hat sich im Laufe dieser
Aufführungsserie immer weiter gesteigert und singt den Paul in dieser
letzten Aufführung mit einer Eindringlichkeit, die ihresgleichen sucht.
Immer noch hat er diese wunderbar weichen, leuchtenden Piani, die sein
Markenzeichen sind. Zugegebenermaßen kommen die in der toten Stadt nicht
sehr oft vor – aber wenn, dann hält das Haus den Atem an. Er ist
prädestiniert für solche neurotischen Typen, den Dauererregungszustand, das
existenzielle Drama Pauls macht er mit seiner Stimme hörbar.
Marlies
Petersens eher lyrische Stimme hat sich ein sehr jugendliches, frisches
Timbre bewahrt, das sich hervorragend mit der dunklen Stimme Kaufmanns
mischt. Das berühmte Lied, Mariettas Lied „Glück, das mir verblieb“, singen
die beiden zum Niederknien schön. Ihre Stimme flirrt und lockt, die
lyrischen Passagen gelingen ihr besser als die dramatischen, da fehlt der
Stimme die Durchschlagskraft im tieferen Register. Manche Höhe gerät
farblos, die Stimme blüht nicht auf. Aber bei ihrer außerordentlichen
Bühnenpräsenz und dem leidenschaftlichen Spiel fällt das nicht so sehr ins
Gewicht.
Andrzej Filonczyk ist mit der Partie des Frank/Fritz
deutlich überfordert. Sein Bariton ist sehr hell, er klingt fast wie ein
Tenor, hat aber schon mit dem, zugegebenermaßen hoch liegenden, Tanzlied des
Perrot zu kämpfen. Die dunklen Stimmfarben, die einen Bariton ausmachen,
fehlen ihm völlig. Vielleicht kam die Partie auch zu früh für den erst
25-jährigen Sänger.
Sehr erfreulich dagegen Jennifer Johnston als
Brigitta. Sie hat einen warmen, frei strömenden Mezzo, der allerdings bei
den Spitzentönen auch sehr unvermittelt laut wird.
Große Sing- und
Spielfreude zeigen die Mitglieder von Mariettas Tanztruppe: Mirjam Mesak
(Juliette), Corinna Scheurle (Lucienne), Manuel Günther (Gaston/Victorin)
und Dean Power (Graf Albert), die alle aus dem Ensemble oder aus dem
Opernstudio kommen. Die beiden Tenöre singen ihre ausgelassenen Lieder im 2.
Akt mit viel lyrischem Schmelz, dem die beiden Soprane in Nichts nachstehen.
Kirill Petrenko leitet das Bayerische Staatsorchester mit sicherer Hand
durch die rhythmisch vertrackte, vielfarbige Partitur. Korngolds Musik wird
ein gewisser Hang zum Kitsch nachgesagt. Davon war unter Petrenkos Dirigat
nichts zu hören. Schlank und ungekünstelt klang das, sehr sängerfreundlich,
was aber auch schon in der Partitur angelegt ist, und wenn keiner singt,
darf das Riesenorchester es schon mal so richtig knallen lassen.
Ein
großartiger Musiktheaterabend!
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