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Kultura extra, 27. November 2019 |
Petra Herrmann |
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Korngold: Die tote Stadt, Bayerische Staatsoper, ab 18. November 2019
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Wenn der Tod das Leben bestimmt |
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Erich Wolfgang Korngold kennt man heute vor allem als mit zwei Oscars
gekrönten Filmmusiker aus Hollywood - einer, der als Jude während des
Nationalsozialismus ins Exil getrieben und an seiner musikalischen
Entwicklung empfindlich gehindert wurde. Dabei war seine Oper Die tote Stadt
1922 in München mit großem Erfolg uraufgeführt worden und in den 1950er
Jahren nochmals vorgestellt. Nun, nach fast 65 Jahren, hat sich die
Bayerische Staatsoper dieses Meisterwerkes wieder angenommen. Herausgekommen
ist eine musikalisch und szenisch erstklassige Aufführung.
Korngold
war ein musikalisches Wunderkind, das schon mit 13 Jahren komponierte. 1910
notierte Schriftsteller Georg Hirschfeld anlässlich der Aufführung eines
frühen Klaviertrios in München: „Unsere Zeit hat nicht nur ihre Männer,
sondern auch ihre Kinder. Was mag der kleine Kornbold nicht schon alles
gehört haben?... Er ist ein Wiener Kind, ein jüdisches Kind.“ Wien und
München spielten denn auch für Korngold eine wichtige Rolle. München als
Stätte erster Erfolge aber auch seines Scheiterns während der 1950er Jahre,
Wien als musikalische Heimat, die seine süffige Tonsprache prägte. Dort, wo
die Kinder, so Friedrich Nietzsche, an „angeborener Grauhaarigkeit“ leiden.
Schließlich hat die Stadt seit jeher für die Treibhausatmosphäre einer
verfeinerten Kultur gesorgt. Das morbide Motiv der Toten Stadt könnte denn
auch nicht wienerischer sein.
Der Tod lebt aber nicht nur in Wien,
sondern hier auch in Brügge. Auf der Drehbühne ineinander geschachtelte
Zimmer hinter einer unscheinbar uniformen Hausfront Nr. 37. Die Wohnung
eingerichtet im Stil der Sechsziger, über den Möbeln liegen Hussen wie
Leichentücher. Mitten drin so etwas wie ein Altarraum, von oben bis unten
beklebt mit Fotos von Pauls toter Frau. In einem Schrein hat Paul eine
Strähne von Maries blondem Haar aufbewahrt: eine Reliquie wie von einer
Heiligen. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Da kommt eine junge
Marietta angeradelt, sie gleicht Marie aufs Haar. Doch Paul ist nicht bereit
für ein neues Leben. Er sieht und liebt in Marietta nur Marie, glaubt, sie
sei zurückgekehrt. Das will sich die Lebende nicht gefallen lassen. Sie
stellt sich dem Kampf mit der toten Rivalin, nötigt Paul zu einer Nacht in
seinem alten Ehebett, entweiht seine „Kirche des Gewesenen“ und provoziert
ihn mit ihrer demonstrativen Promiskuität. Paul stranguliert sie daraufhin
mit Maries Haaren. Die tote Heilige hat über die lebendige Hure gesiegt, so
scheint es. Da wacht Paul aus seinem Delirium auf und begreift, dass alles
nur ein Traum war. Marietta kommt, um ihren vergessenen Schirm zu holen.
Marie darf nun endlich sterben. Das Leben geht weiter. Und Marietta wird
vielleicht wiederkommen.
Die Inszenierung ist eine Übernahme aus
Basel: Dort hatte Regisseur Simon Stone die Oper bereits vor drei Jahren auf
die Bühne gebracht und sich dabei auf die schwierige Paarbeziehung
konzentriert (die Neuadaption für München wurde betreut von Magdalena
Kwaschik). Paul steckt fest in der Vergangenheit. Die frische Marietta fegt
zwar wie ein Wirbelwind die Leintücher von den Möbeln, stellt die Anordnung
der Räume auf den Kopf. Plötzlich ist der Weg zu Pauls Altar versperrt,
Wände verschwinden, Gänge tauchen auf, abgründig dunkle Zwischenräume. Die
Trauerwohnung – ein unheimliches Labyrinth. Diese sich ständig verändernden
und doch gleich bleibenden Räume symbolisieren überzeugend die komplizierte
Psychologie von Trauerarbeit. Sie ermöglichen ein irrlichterndes Spektakel,
in dem viele glatzköpfige, weil krebskranke Maries, viele blonde Perücken,
viele geblümte Sommerkleider und viele glitzernde Mariettas Paul an den Rand
des Wahnsinns treiben.
Vor allem aber nimmt einen die Dramaturgie der
Musik gefangen. Dirigent Kirill Petrenko ist hörbar fasziniert von der
Musikalität der Partitur dieses damals 23jährigen Korngold. Eine
spätromantische Großbesetzung des Bayerischen Staatsorchesters bringt die
Opulenz des Werkes verführerisch zum Klingen - in allen Facetten
menschlicher Gefühlslagen. Startenor Jonas Kaufmann muss sich einer
geisterhaften Achterbahn von Emotionen stellen bis hin zu psychischem
Zusammenbruch und vermeintlichem Mord, der hoch anspruchsvolle Part gelingt
ihm bravourös. Marlis Petersen erschafft eine beeindruckend sinnliche,
bewegliche und lebendige Marie. Andrzej Filonczyk als Pierrot sorgt für
einen weiteren musikalischen Höhepunkt des Abends. Nicht zu vergessenen der
anrührende Kinderchor der Bayerischen Staatsoper.
Korngolds Musik,
die durchaus auf seine Zukunft als Filmkomponist verweist, sah sich immer
wieder dem Verdacht epigonalen, ja nostalgischen Kitsches ausgesetzt: Diese
Aufführung hat diesen wohlfeilen Vorwurf glänzend widerlegt.
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