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Welt, 23.3.2019 |
Von Manuel Brug |
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Verdi: La forza del destino, London, ab 21. März 2019 |
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Anna und Jonas, vereint im Opernhimmel
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Es ist die Premiere der Spielzeit: Anna Netrebko und Jonas Kaufmann feiern
in der Londoner Royal Opera mit der „Macht des Schicksals“ von Giuseppe
Verdi ihren großen gemeinsamen Triumph.
Diese Woche ging ein Beben
durch die Opernwelt, ganz besonders in der Abteilung Fans von Tenorissimo
Kaufmann. Der Jonas hat die Generalprobe in London abgesagt! Dabei war es
doch für manche(n) der Traumtermin des Jahres: Anna und Jonas – endlich in
einer Premiere!
Sie haben nur einmal, ebenfalls in London, 2008 ein
paar „Traviatas“ zusammen gesungen. So war diese hysterisch erwartete, mit
bis zu 4000 Euro pro Ticket auf dem Schwarzmarkt begehrte „La Forza del
destino“-Produktion nicht nur einer der Höhepunkte der laufenden
Opernsaison. Nein, die Neuinszenierung am Royal Opera House war auch das
erste Zusammentreffen der beiden Vokalsuperstars Anna Netrebko und Jonas
Kaufmann in einer Novität. Sind sie doch inzwischen beide sehr rare Spezies
ihrer sowieso schon seltenen Art.
Doch alles lief bestens. Die zweite
Frau Kaufmann hat rechtzeitig vorher dessen viertes Kind, einen Sohn,
entbunden. Der Jonas hat gesungen. Und die Erwartungen haben sich erfüllt,
obwohl Sopran und Tenor nur am Anfang und Ende dieses dunklen Verdi-Dramas
aufeinandertreffen. 2011, bei ihrem gemeinsamen Open-Air-Konzert in der
Berliner Waldbühne, konnten sie noch abendfüllend voneinander nicht lassen,
zumindest künstlerisch. Und für alles andere war ja Netrebkos damaliger
Lebensgefährte Erwin Schrott mit auf der Szene. Der ist Bariton, so war
freie Tonfahrt für Jonas. Diesmal freilich lauerte in London Anna Netrebkos
inzwischen von ihr auch auf der Bühne fast untrennbarer Tenor-Ehemann Yusif
Eyvazov in den Kulissen. Singt er doch sowieso in der zweiten Besetzung der
vokalen Verdi-Pralinenschachtel.
Doch die angesagte Besetzung war
nicht nur im Haus, sondern endlich auch in dem schlicht zeitlosen Salon
anwesend. Ihn hat, hier sehr passend, einmal mehr Christopher Schmidt als
wandelbaren, dabei sinnstiftend zusammenhaltenden Einheitsraum für dieses
über Länder, Völker, Rassen Religionen hinausflutende Epos entworfen. Und
beide Stars waren auf dem Gipfel ihrer Vokalkunst, sie als Debütantin in der
Rolle der Leonore. Er hat die Partie des Mestizen Alvaro erstmals 2013 an
der Bayerischen Staatsoper gesungen. Und darstellerisch wie instrumental
waren auch alle im siebten Verdi-Himmel. Yes, die Premiere der Spielzeit!
Der zweite April mit der weltweiten Live-Kinoübertragung kann kommen.
Seit der Münchner „Forza“ ist Zeit vergangen. Jetzt gab ein angegrauter
Kaufmann nicht mehr den wilden Außenseiterrebellen, sondern einen vom Leben
früh gezeichneten Soldaten. Der ist untröstlich und vokal allerfeinst
gebrochen, wenn er am fatalen Schluss zwischen Leichen sitzt. Der trompetet
kaum mehr mit jugendlichem Furor die Töne heraus, sondern steuert sie
souverän, mit stets kontrollierter Technik an, lässt sie an- und
abschwellen, erfüllt souverän und musikalisch einen Charakter durch Noten.
Gerade auch in den Duetten mit dem ihn hassenden, aber viel mehr Bühnenzeit
mit ihm verbringenden Bariton. Der elegante Franzose Ludovic Tézier, auch
schon in München als Carlos mit von der Partie, ist ebenfalls noch
grüblerischer, weicher geworden, hat sich aber für seine beiden Solonummern
eine griffige Attacke bewahrt.
Sublim mischen sich beider Stimmen,
Freundschaft, Hass und Rache wurden seltener in ihrem ganzen emotionalen
Spektrum meisterlicher in Töne gesetzt. Jonas Kaufmann hat an diesem
Londoner Abend (die verpasste Generalprobe hat ihm wohl gutgetan) sogar
etwas wiedergefunden, was man verloren glaubte: das Strahlen, die
Leichtigkeit. Was sich hier – stückgerecht – im Verlauf eindunkelt und
fahler wird. Psychologisch wie sängerisch ein großer Moment.
Und Anna
Netrebko, die Flippige, Intuitive, Instinktsichere ist sowieso auf dem
Höhepunkt ihrer Soprankunst. Ihr dunkel glühender Sopran schwingt sich
entspannt und weich in hellste Höhen hinauf. Sie singt mit Gottvertrauen und
zartesten Piani ihre Gebete, ist verzagt und verliebt, emphatisch und
abgeklärt. Dabei gibt sie sich sensitiv im Spiel, wunderbar mädchenhaft
rein, durchscheinend und verletzbar, ist aber durch nichts aus ihrer
ebenmäßigen Gesangslinie zu bringen. Ein Musterbeispiel an konzentrierter
Einfühlung, bebend erfüllter Charakterkunst – gerade wenn man sie sonst
täglich auf Instagram beim Kochen, Essen, Shoppen, Knuddeln und all den
anderen Banalitäten beobachten kann. Eine nahbare Ikone als kreativ
knospender Krokus ihrer Kunst. Aus einer simplen Hülle entfalteten sich
farbenreiche Blütenblätter samt lockendem Staubfaden-Raffinement.
Einfach nur erzählen, allem Widersinn zum Trotz. Christof Loy, der
ästhetisch sichere unter den Regiepsychologen, hat das schon in Amsterdam
gewagt und gewonnen. Dort kam die Londoner Produktion zunächst im Herbst
2017 heraus. Dabei ist Verdis „Macht des Schicksals“ ein nur schwer zu
schluckender Brocken. Dauernd wird da aus Versehen erschossen, Krieg
geführt, auf Rache gesonnen, mit Messern gekämpft, auf Stand und
Familienehre geachtet, der sich jedes Individuum bis zum Tod unterzuordnen
hat. Hier lodern und wabern nur emotionale Extremzustände aus Liebe, Angst,
Hass und Mordlust, gewürzt mit katholischer Verzückung und ewigen,
ekstatisch gen Himmel gewendeten Anrufen an Gott und die Jungfrau Maria in
Verklärungsgloriole – die solche Erdentrübheit nur noch schwärzer erscheinen
lassen.
Loy, der sich am Ende nicht verbeugte – er inszeniert, wieder
in Amsterdam, „Tannhäuser“ –, beginnt schon in der von
Covent-Garden-Musikchef Antonio Pappano leise, aber intensiv gestalteten
Ouvertüre mit seiner Geschichte und mit den Protagonisten als Kindern im
Wohnzimmer. Schnell werden sie erwachsen. Noch zweimal hebt sich der
Vorhang, erst kämpfen die beiden übrig gebliebenen Jugendlichen miteinander
und fallen verliebt übereinander her, dann starren sie sich als Erwachsene
feindlich an.
Schließlich folgen all die zufälligen Begegnungen, das
Fehlen von Hauptfiguren über mehrere Bilder, die dumpfe Rachsucht, der
passive Gottglaube. Mit von Olaf Winter altmeisterlich ausgeleuchteten
Räumen voll barock gegliederter Menschengruppen, denn kaum einer arbeitet so
intensiv mit dem (vorzüglich von William Spalding einstudierten) Chor.
Bilder überlagern sich, frisches Personal bricht einfach ins Zimmer, friert
theatralisch ein. Dazwischen der Spanische Bürgerkrieg als apokalyptischer
Reigen, angeführt von seiner grellen Göttin, der Zigeunerin Preziosilla. Loy
zeigt diese heillose Welt als geschlossenes System.
Antonio Pappano
dirigiert diese „Forza“ akzentsicher und effektbewusst, dabei biegsam und
flexibel, nie grell überschraubt. Er gliedert unaufdringlich die
himmlischen, einzig mit vokalen Mitteln die Zeit zum Stillstehen bringenden
Längen. Er hält zusammen, was logisch auseinanderfliegt, greift immer
wieder, auch in Erinnerungsmotiven, lange brachliegende Handlungsstränge
auf. Sehr gut besetzt sind zudem die wichtigen Nebenrollen, die Veteranen
Ferruccio Furlanetto und Alessandro Corbelli bringen als Padre Guardiano und
Fra Melitone Zucht wie Witz ins ernste Geschehen. Nur die Preziosilla von
Veronica Simeoni wirkt in ihrer schrillen Fronttheatershow etwa matt und
abgesungen; was aber zu dieser abgelebten Kriegsgewinnlerin gut passt.
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