Klassik begeistert, 25. Januar 2019
Ulrich Poser
 
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, ab 24.1.2019
Auch ohne Büstenhalter aus Toilettenpapier: Petrenko kann`s!
 
Es gibt Opernabende, bei denen Magie aus dem Graben strömt.
 
“Vorstellung ausverkauft” konnte man wochenlang vorher auf der Website der Bayerischen Staatsoper lesen. Ein 215-Euro- Ticket wurde auf eBay für 399,00 Euro angeboten. Am Abend selbst gab es noch zwei Karten an der Abendkasse. Eine sehr gefragte und ausgebuchte Vorstellung also. Wurden die hohen Erwartungen erfüllt?

Jonas Kaufmann, gerade noch Protagonist des “Elphi-Skandals” um die Akustik bei einer Mahler-Aufführung im neuen Hamburger Wahrzeichen, begann im 2. Akt der von der Thematik her äußerst aktuellen Freiheits-Oper Fidelio vielversprechend. Die Arie “Gott! Welch Dunkel hier!” gestaltete er mit dem ersten Ton kaufmännisch-neu lyrisch, um sodann kaufmännisch-alt heldisch fortzufahren. Da war er wieder, unser Jonas! Mag sein, dass einige Höhen im weiteren Verlauf des Abends manchmal etwas angestrengt oder dünn klangen, schön war es allemal.

Andere Kritiker sollten endlich aufhören, Kaufmann mit Schager und Schager mit Kaufmann und beide mit Vogt zu vergleichen. Kaufmann ist auch nach überstandener Krise im Stande, Kunst zu schaffen. Seine überragende Gestaltungskraft, seine Art und Weise innerhalb einer Phrase von leise auf laut und von lyrisch auf heldisch umzuschalten, sind in Verbindung mit seinem schauspielerischen Talent und seinem guten Aussehen diejenigen Parameter, die sich dann manchmal zu Kunst vereinigen.

Insoweit kann der Tarzan aus Rohrbach einfach nicht mithalten: Sicherlich beeindruckt dieser Stimmakrobat als Dauersieger der Dezibelolympiade. Das ist dann aber doch eher Heavy Metal oder reines Kunsthandwerk.

Hervorragend disponiert war Anja Kampe als Leonore. Ihr “Abscheulicher! Wo eilst Du hin?” beeindruckte nicht nur stimmlich, sondern auch durch ihr profundes, intensives Spiel. Für beides erhielt die hübsche Blonde verdient den größten Schlussapplaus des Abends. Chapeau!

Glänzend bei Stimme war natürlich wieder Bass und Publikumsliebling Günther Groissböck als Gefängniswärter Rocco; so macht Oper Freude. Bleibt zu hoffen, dass der Durchtrainierte bald den Weg aus dem Knast nach Walhall findet. Die Götterwelt braucht ihn dringend.Die Überraschung des Abends war Tareq Nazmi als Don Fernando in der Haut von Heath Ledger alias Joker aus der bekannten Batmanverfilmung “The Dark Knight”. Wie er gegen Ende der Aufführung urplötzlich in der linken Seitenloge erscheint, mit einem Bein über dem Abgrund lümmelt und dabei seinen wunderbaren, schwarzen Bass ins staunende Publikum verströmen lässt, war beeindruckend und unterhaltsam. Von diesem Sänger hört man hoffentlich zukünftig mehr. Der einzige gute Regieeinfall des Abends übrigens.

Hannah-Elisabeth Müller als Marzelline überzeugte das Haus in dreifacher Hinsicht voll und ganz: Ad 1, weil sie über einen glasklaren, wunderschönen und jugendlichen Sopran verfügt, er verzückt. Ad 2, weil sie sehr hübsch und jugendlich erfrischend ist und ihre Rolle mit Anmut und Leidenschaft spielt. Ad 3, weil sie dazu im Stande ist, auf einem über fünf Meter hohen Stahlgerüst während des Singens (!) in Stöckelschuhen mit hohen Absätzen artistisch rumzuklettern.

Die Inszenierung von Calixto Bieito war keine. Das war eine Ansammlung von blindem Aktionismus (völlig sinnlos umherfliegende Menschen über dem Stahlgerüst), die ihren Höhepunkt schon zu Beginn des 1. Aktes erreichte, als sich Anja Kampe vor aller Augen aus Toilettenpapier einen Büstenhalter wickeln musste. Sinnlos auch, wenn ein Beethoven- Streichquartett von vier Musikern in fliegenden Käfigen gespielt wird. Man hätte eigentlich erwartet, dass die Musiker während des Spielens dann noch Eier legen, aus denen Krokodile schlüpfen, die dann Kiril Petrenko auffressen.Das Bühnenbild von Rebecca Ringst schien vom aktuellen Tristan aus Bayreuth abgekupfert. Nur Stahlgerüste auf der Bühne; nichts Neues; gähn!

Mag man Ü-90-Opernbesucher aus dem Augustinum mit solchen Aktionen ärgern können; den abgebrühten Rezensenten sicherlich nicht. Die Worte “schade um das viele Geld” drängen sich hier allerdings massiv auf.

Hinsichtlich des Dirigenten und des Orchesters gilt dies nicht; insoweit bleibt aber festzuhalten: Ja, es gibt Orchester, die fehlerfrei spielen. Sogar die Hörner und das Blech. Ja, es gibt Dirigenten, die nicht sich selbst produzierend wie von der Tarantel gestochen herumfuchteln, sondern die Musiker tatsächlich akurat leiten und allen (!) Beteiligten präzise Einsätze vorgeben. Ja, es gibt Opernabende, bei denen Magie aus dem Graben strömt. Kiril Petrenko und seinen Musikern sei Dank!


 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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