|
|
|
|
|
Hamburger Abendblatt, 13.01.19 |
Joachim Mischke |
|
Mahler: Das Lied von der Erde, Hamburg, 12. Januar 2019
|
Jonas Kaufmann sang, einige Zuschauer störten |
|
Beim Konzert des Tenors verließen mehrfach Menschen den Saal, dazu
kamen Zwischenrufe wie "Hier hört man auch nichts!".
Hamburg. „Künstlerpech…“: Das seufzt sich noch leicht, wenn man es nur
miterlebt, und ist für den, den es trifft, doch so schwer auszuhalten. Was
Jonas Kaufmann, dem ansonsten unerschütterlich charmant wirkenden
Publikumsliebling, widerfuhr und ihn beinahe wutschnaubend in die Garderobe
der Elbphilharmonie trieb, benötigt größeren Erklärungsanlauf. Die Sachlage
ist komplex, eine schnelle Lösung wohl nicht zu haben.
Bei einem
Liederabend im Februar hatte er im Großen Saal der Elbphilharmonie Wolfs
„Italienisches Liederbuch“ mit Diana Damrau gesungen, es war ein
herausfordernder Abend gewesen, der viele kammermusikalische Zwischentöne
verdiente und einforderte. Nun aber sollte es dort so ziemlich das genaue
Gegenteil sein: Mahlers „Lied von der Erde“, sechs Lieder genauer genommen,
auf tiefgründelnder altchinesischer Poesie basierend, mit sehr großer
Orchesterbegleitung. Später, lebenswunder Mahler eben, und deswegen oft so
zerbrechlich wie eine schwere Ming-Vase beim allzu forschen Jonglieren.
Jonas Kaufmanns sportiver Ansatz: Zwei Solisten auf einmal
Andere
Tenöre wären schon mit den drei für ihre Stimme geschriebenen Liedern voll
ausgelastet. Kaufmann aber wollte (sich), wie bei seiner CD-Einspielung mit
den Wiener Philharmonikern, auch die anderen, für Alt beziehungsweise
Bariton entworfenen Teile leisten. Weil seine Stimme im Laufe der letzten
Jahre mehr und mehr eindunkelte, kann man verstehen, warum ihn die Aufgabe
reizte, sich in der unmittelbaren, tiefer gelegenen Repertoire-Nachbarschaft
umzutun.
Ein sehr sportiver Ansatz jedenfalls, diese
Zwei-Solisten-auf-einmal-Idee, kein ganz unproblematischer; wegen der
Anforderungen bei einer Aufführung im Konzertsaal, aber ebenso wegen der
fehlenden Kontrastwirkung zweier sich ergänzender, ablösender Stimmen und
den entsprechenden Klangfarbschattierungen. Und die Feinabstimmung auf
Mahlers Intarsienarbeiten über Sein und Vergehen, die sich zum Ende ins
Weltverlorene steigern, ist dabei noch gar nicht eingerechnet. Andererseits
ist Kaufmann auch kein tumber Wald-und-Wiesen-Tenor, der alles wegsingt, was
nicht bei Drei im Notenregal ist. Er hat, wenn es ernst wird, dringlich und
dunkel, die gereifte Auffassungsgabe und Durchdringungstiefe, um Mahlers
Seelenschmerzen und Sehnsuchts-Seufzer mit der notwendigen Mischung aus
galliger Bitterkeit und herber Süße zu positionieren. Rumoren im
Zuschauerraum: "Hier hört man auch nichts"
Doch das eigentliche
Problem dieses stellenweise tragisch verunfallten Konzerts hatte nicht nur
einen Grund, und es hatte mehrere Mitschuldige. Viele
„Ausgerechnet…“-Aspekte sorgten in ihrer misslichen Bündelung dafür, dass
Kaufmann – mitten im Mahler und zu Recht – fast der Frackhemd-Kragen
geplatzt wäre. Denn mehrfach, und am liebsten bei leisen Stellen, verließen
Zuhörer – bestens hörbar und sichtbar sowieso – ihre Plätze. Andere
spazierten aus seitlichen oder hinteren Bereichen weiter nach vorn – oder
gleich ganz hinab, zu einzelnen frei gebliebenen Plätzen ins Parkett.
Als andere deswegen zwischen zwei Mahler-Abschnitten halblaut Unmut
äußerten, kamen lautere Rufe mit dem Tenor „Hier hört man auch nichts…!“ aus
dem Saal-Bereich hinter dem Orchester zurück. Von dort also, wo der mehrfach
geforderte Tenor Kaufmann einzig von hinten zu hören war; von dort aus
hinter einem Tutti singend, das ihm im Saal die tönend schwingende Luft zum
Wirken nahm.
Ein zu forsch aufspielendes Orchester – ausgerechnet aus
Basel
Denn ausgerechnet dieses an sich solide Wertarbeiter-Orchester,
das Symphonieorchester aus Basel – der Heimatstadt der
Elbphilharmonie-Architekten Herzog & de Meuron – brauchte bei dem
Auswärts-„Heimspiel“ einige Zeit, um Stolz und Freude über gerade diese
Tournee-Station zu bändigen. Bei ihrer Ouvertüre zum fernöstlichen Kaufmann,
Berios schillernder Schubert-Fragmente-Bearbeitung „Rendering“, waren sie
noch ganz mit sich im Idyll gewesen. Die Bläser-Solisten genossen die Show,
die Reibung zwischen den originalen Schubert-Portionen und den originellen
Berio-Momenten funktionierte.
Doch die Schweizer wollten oder konnten
zunächst kaum glauben, dass man in diesem Saal die mächtigeren
Mahler-Begleit-Passagen gefahrlos leiser spielen kann, nein: muss. Und ihr
Gastdirigent Jochen Rieder, als Kaufmanns Maestro für so ziemlich alle Fälle
bekannt, bekam diese Unwucht ausgerechnet hier langsamer als dringendst
notwendig in den Griff.
Und so kam es dazu, dass schon im Bereich vor
dem Orchester zunächst nur mühsam zu erkennen war, wie viel Mühe und
Detailsorgfalt Kaufmann in seine Klagelieder über das Werden und das
Gewesene zu legen versuchte.
Das Nachsehen hatte Mahler – und der
größte Teil des Publikums
Ähnlich wie erst vor wenigen Tagen die
Wagner-Sopranistin Nina Stemme in einem von vielen guten Göttern verlassenen
„Götterdämmerung“-Potpourri mit dem NDR-Orchester, stand nun auch Kaufmann
vor oder besser: mitten in einem Problem, für das er (abgesehen von der
selbstgewählten Doppelrolle) nichts konnte. Das Nachsehen hatte in diesen
Momenten Mahlers Musik - und der weitaus größere Teil des Publikums, das
miterleben musste, wie ein Konzertabend zwischenzeitlich dramatisch ins
Straucheln geriet.
Um so erstaunlicher und erfreulicher, dass
Kaufmann dennoch das Finale mit leiser Eindringlichkeit bis hin zum letzten
„Ewig, ewig“ zu jenem Erlebnis machte, das der ganze Abend, ungestört und
ungetrübt, hätte sein sollen.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|