WDR, 29.06.2018
mit Elgin Heuerding
 
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
Wagner, "Parsifal" in München
An der Münchner „Parsifal“-Premiere waren zwei Dinge bemerkenswert: das Bühnenbild des Malers Georg Baselitz und das Rollendebüt von Christian Gerhaher als Amfortas. Nein drei Dinge, die Art, wie Kirill Petrenko das Stück dirigierte, gehört unbedingt auch dazu.

Ich habe vom Orchester noch nie einen so leisen und zugleich energiegeladenen „Parsifal“ gehört, keine so schöne und zugleich suchende und wühlende Musik. Dem Vorspiel nahm Petrenko klugerweise den symphonischen Fluss. Es war, als ob man durch einen Kreuzgang schreitet und immer wieder Variationen des gleichen Gebälks erspäht. Das hatte schon hier etwas Rituelles. Gurnemanz‘ endlose Erzählungen hatten mit René Pape, angetrieben aus dem Graben, gar nichts Ermüdendes, sondern hörten sich an wie eine fortwährende, von innerem Drang gespeiste Lebensgeschichte. Und die Karfreitagsszene wandelte Petrenko in ein anmutiges pastorales Idyll, als dirigierte er einen französischen Barockkomponisten. Alles, was von ihm kam, war interessant, von tiefer Musikalität gespeist und von einer neuartigen Sicht auf das Werk geleitet, die „Parsifal“ näher bei Debussy und Ravel ansiedelte als bei Strauss und Mahler.

Was vielleicht nicht ganz für Christian Gerhahers Version des geschlagenen Königs Amfortas zutrifft. Sein Singen war ein Stöhnen und eine Verbitterung, die Ihre Kraft nur noch aus der Lebensmüdigkeit zog. Das klang dann doch wie Mahler, wie die Kindertotenlieder mit dem Unterschied, dass dieser Amfortas seine Würde verloren hat. Gerhaher formte dessen Lebensekel mit allem, was ihm Liedsänger zu Gebote steht: fahle Vokale, schneidende Schärfe, momenthafte Überartikulation, resigniertes Fallenlassen der Stimme. Beeindruckend, aber auch ein sehr spezielle Sicht dieser Figur. Das kann man von Jonas Kaufmanns Version der Titelrolle und von Nina Stemmes Kundry nicht sagen: die Verführungsszene und Parsifals Erleuchtung „Amfortas! Die Wunde“ im zweiten Aufzug, gerieten zum beiläufigen Plausch, ohne dass man den beiden Sängern dabei stimmlich etwas ankreiden könnte.

Das Bühnenbild von Georg Baselitz war dann aber das eigentliche kulturelle Ereignis des Abends. Da wurde eine Erwartung aufgebaut, als würde man der festlichen Vernissage einer Lebenswerkschau im Haus der Kunst beiwohnen. In der Tat ließ Baselitz vorher verlauten, seine Parsifal-Bühne beinhalte alles seiner Kunst von den Heldenbildern der Sechzigerjahre bis zu den schwarzen Bildern des Spätwerks. Schwarz und weiß ist der Grundton der Bühne. Im ersten Aufzug beherrschen stilisierte Tannen wie mit grobem schwarzem Pinselstrich hingemalt und ein riesiger Scheiterhaufen die Szene, rechts steht noch ein weißes Pferdegerippe, wohl die Mähre, die Kundry reitet. Die Menschen darin sind sanfte farbliche Einsprengsel, Gurnemanz in leichtem Blau mit langen blonden Haaren ein früh Gealterter; Kundry ist rötlich, Parsifal grünlich. Die Ritter tragen zuerst bombastische Stoffrüstungen. In der Ritualszene werfen sie diese ab und stehen nackt mit geschundenen Körpern da. Die Menschen sind hier keine Akteure, sondern Elemente eines Tableau vivant. Auch die Blumenmädchen im 2. Akt sind nackt, alte Frauen. Diese Nacktheit ist eine bildlich gestaltete, keine obszöne. Die Körper sind lebendige Leinwände. Das findet vor dem Zauberschloss Klingsors statt, das nichts ist als eine weiße Mauer mit wellig gepinselten Fugen und einem schwarzen Schlitz als Öffnung. Im dritten Aufzug wird das Bühnenbild des ersten nach Baselitz-Manier auf den Kopf gestellt, was den Nachteil hat, dass der Boden leer bleibt und die Figuren wie übrig geblieben dastehen. Erst wenn zum Karfreitagszauber die Bühne ins katholisch liturgisch korrekte Violett eingehüllt wird, ist man wieder in der gestalteten Baselitz-Welt.

Sonst ist es meistens dunkel, aber es ist ein durch Licht und leichte Bewegung gestaltetes Dunkel. Die Qualität des Regisseurs Pierre Audi lag diesmal darin, dass er sich zurücknahm, um dem Künstler Baselitz eine nur minimal lebendige Bühne zu schaffen, was freilich in der großen Szene von Parsifal und Kundry dann doch zu wenig war, weil Verführung und Widerstand dagegen eben doch eine Aktion brauchen.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top