|
|
|
|
|
swp, 30.06.2018 |
Jürgen Kanold |
|
Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
|
„Parsifal“ mit Bühnenbild von Baselitz |
|
Großer Jubel in München für Jonas Kaufmann, Nina Stemme, Christian Gerhaher und René Pape.
Die Bayerische Staatsoper spielt absolut auf Ballhöhe. „Zeig mir deine
Wunde!“, heißt das Motto der Saison. Und der „Parsifal“ ist das Werk zum
deutschen WM-Debakel. Den siechen Amfortas kann nur ein reiner Tor erlösen –
ein Held also, der aus Mitleid wissend wird. Der Gralskönig könnte jetzt
Jogi Löw sein (dem Tore fehlten), aber auch sinnbildlich für die ganze
verlotterte Nationalmannschaft stehen. Doch wie heißt der Heilsbringer?
Bei Richard Wagner, der völlig unsportlich war, taucht Parsifal aus der
Tiefe des Bühnenraums auf – und im Münchner Nationaltheater spielt und singt
tatsächlich ein Weltklasse-Akteur diese Partie, nämlich Jonas Kaufmann.
Ansonsten stellt Regisseur Pierre Audi natürlich keine Trainerfrage und
verarbeitet in seiner Inszenierung auch nicht die aktuelle
Seelenbefindlichkeit von Fußball-Deutschland.
Außerdem geht es in
Wagners Bühnenweihfestspiel zwar auch um gruppendynamische Prozesse und das
Erbarmen in dieser Welt, aber doch eher um Sinnlichkeit bis
Sexualpathologie. Die Wunde? Die hat Klingsor, der heidnische Rivale, dem
unter der Kuratel seines Vaters Titurel stehenden Amfortas mit dem Speer
zugefügt. Psychologisch aber ist der Gralskönig selber schuld, weil er sein
Keuschheitsgelübde brach, verführt von Kundry, die einst Jesus am Kreuz
verlacht hat und dafür büßen muss.
Es geht wirklich um Kunst Audi
aber interpretiert eigentlich gar nichts; und mit zeitgenössischen Analogien
kommt man schon gar nicht weit in dieser „Parsifal“-Produktion zum Auftakt
der Münchner Opernfestspiele. Der Regisseur tritt hinter die Musik und die
Bildende Kunst zurück. Und es geht wirklich um Kunst. Denn der 80-jährige
Georg Baselitz hat das Bühnenbild geschaffen. Künstler-Superstars sind ja
gerade sehr mit Wagner beschäftigt, in Bayreuth hat Ende Juli dann auch Neo
Rauch mit dem „Lohengrin“ Premiere.
In den 60er Jahren hatte der
junge wilde Baselitz verletzte Helden gemalt: Kolosse mit kleinem Kopf und
versehrter Seele, geschundene Körper in trostloser Szenerie. Das passte zu
Amfortas, an seine alten „Typen“ aber hat Baselitz jetzt nur skizzenhaft
angeknüpft im Verein mit Kostümbildnerin Florence von Gerkan. Doch eine
Traumwelt ohne Hoffnung ist zu sehen: Bäume und ein geschnürtes
Skulpturenbündel aus verkohltem Holz in schwarzer Landschaft. Und im dritten
Aufzug, wirklich keine Überraschung, hängt alles kopfüber von der
Bühnendecke runter. Als „eine Meditation über das Mysterium des Todes“
bezeichnet Audi die Arbeit seines Freundes Baselitz. Meditation heißt, dass
auch wirklich fast keine Aktion ablenkt – eine statische Personenregie wie
einst bei Wolfgang Wagner in Bayreuth. Dafür gab’s Buhs!
So hat der
gefeierte Münchner Generalmusikdirektor Kirill Petrenko alle Macht. Er
dirigierte mit dem Bayerischen Staatsorchester ein wunderbares
„Parsifal“-Vorspiel: fließend wie andachtsvoll, mit fluoreszierendem bis
sämigem Klang. Er suchte dann oft das kammermusikalische Piano, dimmte auch
Solisten und Chor, was in der fast leeren Riesenkulisse nicht immer
überzeugend ausfiel. Es war dramatisch, es war schön, auch mal
karfreitagszauberhaft, es stockte aber auch gelegentlich zwischen Romantik
und impressionistischer Moderne; manchmal fehlte die Spannung. Was aber an
der Regie liegt. Auch dieser Münchner „Parsifal“ ist ein Beispiel dafür: Das
Auge hört in der Oper mit.
Mehr Top-Stars im Aufgebot gehen nicht –
was bei Kartenpreisen bis 343 Euro nur recht, aber trotzdem nicht billig
ist. Der von der Regie ziemlich allein gelassene Jonas Kaufmann bot einen
gediegen belcantischen Parsifal, René Pape einen zweiflerischen Gurnemanz
mit manchmal gedämpftem, aber immer noch herrlich timbriertem Bass. Wolfgang
Koch war ein furios singender, lachhaft böser Klingsor, Nina Stemme eine
verstörte, tapfere wie leidenschaftliche Kundry: mit Leuchtkraft, ja
funkelnder Größe in der Stimme, faszinierend.
Gerhaher glänzt als
Amfortas Christian Gerhaher gibt den Amfortas, die eigentliche
Hauptfigur: ein verzweifelt leidender, blutender König, der partout keinen
findet, der ihm seine Krone abnimmt. Ein Auftritt zwischen ergreifender
Lied- und Ausdruckskunst, Manierismus und Charge – nicht immer war sich der
Zuschauer ganz sicher, aber sagen wir trotzdem: Gerhaher glänzte.
Regisseur Audi hat aber doch eine Intention: das Libretto zu konterkarieren.
Es gibt keinen Gral und keinen Speer (nur ein Kreuzstäbchen). Wenn Gurnemanz
erklärt, „du siehst mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit“, hält er
Parsifal die Augen zu. Wegschauen will der auch, man kann es ihm nicht
verdenken, wenn die Blumenmädchen ihn betören. „Kannst du uns nicht lieben
und minnen/ wir welken und sterben dahinnen?“ – das sind sie aber schon,
hässlich nackt.
„Zeig mir deine Wunde“: Die Akteure halten sich
überhaupt in dieser Aufführung gern die Augen zu, auch bei der finalen
Enthüllung des Grals – aus Angst vor der Zukunft. Erlösung gibt‘s nur im
kosmischen Nichts. Was nicht nur Fußballern nicht direkt hilft, aber ehrlich
gemeint ist.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|