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der Freitag, 29.6.2018 |
Wolfgang Herles |
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Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
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Fern jeder Erlösung |
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Wer dieses Entsagungs- und Erlösungsgeschwurbel verstanden hat, kann es
nicht mehr für voll nehmen. Aber wer hat das schon? Nicht wenigen
Wagnerianern gilt Parsifal als Hochamt ihrer Religion. Andere finden,
Nietzsche schon habe alles Nötige dazu gesagt. Er hat den Parsifal als
„Operettenstoff“ verspottet, als „Parodie auf das Tragische selbst (...) als
ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die
Vorraussetzungen des Lebens.“
Als einen Anschlag auf die Vernunft.
Denn die kann die geschlechtliche Liebe nicht gegen die Liebe aus Mitleid
ausspielen.
Aber mit Vernunft ist diesem Werk nicht beizukommen.
Parsifal ist eine heillos überladene Heilsgeschichte, die oft genug das
Lächerliche streift. Aber eben nur streift.
Die verführerischen
Blumenmädchen in Klingsors Zauberreich sind nackt – allerdings als nackte,
alte, schmutzige fette Vetteln mit blutenden Mösen kostümiert. „Ihr schönen
Kinder“ schmalzt der bestens aussehende Jonas Kaufmann, alias Parsifal. Es
darf gelacht werden.
Das ist das Komischste an dieser Oper: diese
sexbesessene Askese. Auf Kundrys Kuss reagiert Parsifal panisch. Erst jetzt,
in der Entsagung, wird er zum strahlenden Helden. Dazu kommen ein von
eigener Hand entmannter Zauberer, der einst das Keuschheitsgelübde der
Gralsritter brach, ein sterbensmüder, gequälter König Amfortas, dessen
Schicksal ebenfalls Kundrys Verführungskünsten zu schulden ist. Diese untote
Kundry ist femme fatale und Büßerin zugleich. Eine gespaltene Doppelexistenz
– als habe Wagner die Tiefenpsychologie begründet.
Bei Parsifal tut
sich nicht viel. Es ist ja gar keine Oper, sondern „Bühnenweihfestspiel“. So
gut wie keine Handlung, mehr Ritual als Spektakel. Regisseur Pierre Audi
beschränkt sich auf Tableaus, die Figuren sehen aus wie ins Bühnenbild
gezeichnet, und wird dafür mit Buhs überschüttet. In München „handelt“
eigentlich nur das Bühnenbild. Ein finsterer Tann, der im ersten Aufzug vor
aller Augen verdorrt und im dritten dann kopfüber von der Decke hängt.
Genau: Baselitz hat das gemacht.
Aber da ist das langsame
Dahinschreiten dieser Musik. Eine Prozession, ein endloses melancholisches
Sehnen. Und wenn Kirill Petrenko, der wahre Zauberer nicht nur im Reiche
Klingsors, sie in Bewegung hält, dann ist da von Weltflucht nichts mehr zu
spüren. Dann wird die Überwältigungsmusik mit einem Male überwältigende
klar. Klärung statt Verklärung.
Das Mysterium öffnet sich dem
Verstand Man versteht den Parsifal noch immer nicht. Nur ist das jetzt
herzlich unwichtig. Das Mysterium öffnet sich dem Verstand. Petrenkos Speer
heilt die Wunde, wie der Speer des Amfortas Wunden heilt, die dieser Speer
einst selbst gesschlagen hat. Wagners Musik heilt Wagners Text. Darf man das
so hart sagen? Ja, denn das Heil liegt nicht in Entsagung. Das Gegenteil ist
der Fall. Diese Musik ist das Gegenteil von Entsagung. Sie ist die hellste
Ekstase.
Petrenko hat ein Sängerensemble, das seinesgleichen sucht.
Jonas Kaufmann ein unbezwingbarer Heldentenor. René Pape als der Erzähler
Gurnemanz mit der längsten Rolle der Opernliteratur, die dieser Bassist mit
sonorem Wohlklang strömen lässt. Die Kundry der schwedischen Sopranistin
Nina Stemme, die zwischen Leidensmutter und schriller Hysterikerin virtuos
oszilliert. Allen voran aber der Amfortas des Christian Gerhaher. Der
berühmte Liedsänger, dessen faszinierend präzise, jede Silbe mit Bedeutung
aufladende Gestaltungskraft diesen sterbenden Leidensmann zur einzigen
wirklich lebendigen, dramatischen Opernfigur macht.
Auch die Musik
ist ein Reich wie nicht von dieser Welt. Am Ende ist sie die einzige Kraft,
der dieses Werk huldigt. Wagner gründete seine Kunstreligion als Gegenwelt
zur Industriegesellschaft. Und genau dort hat sie noch heute ihren Sinn. Sie
soll die unheilbare Wunde schließen, die die Zivilisation schlägt, die
Maschinenwelt, Kommerz und Konsum.
Die Zerrissenheit der Welt im
Gefühlsrausch der Musik überwinden zu können, ist hoffnungslos romantisch.
Und damit sehr deutsch. Es ist die Sehnsucht nach Auslöschung der
Widersprüche und Konflikte. Nach Erlösung von der Realität. In der Politik
wie in der Religion wie in der Liebe. Es ist das ewige Sehnen nach
Identität, also nach Reinheit. Das ist reaktionär und utopisch zugleich.
„Erlösung dem Erlöser“: So endet das Stück, so endet Wagners Werk. Ist
aber nicht die Sehnsucht nach Erlösung selbst ein sündhaftes, unstatthaftes,
ja sinnloses Verlangen? Es gibt keine Befreiung. Es gibt nur die Freiheit,
die anstrengt, fern jeder Erlösung.
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