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BR Klassik, 28.6.2018 |
von Bernhard Neuhoff |
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Wagner: Parsifal, Bayerische Staatsoper, 28. Juni 2018
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UNENTSCHLOSSENHEIT ZWISCHEN BASELITZ-BÄUMEN |
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Mitleid und Macht, Sex und Reinheit, Religion und Erlösung – mit Wagners
"Parsifal" begannen am Donnerstag die Opernfestspiele in München. Die
Neuproduktion glänzte mit Starbesetzung: Jonas Kaufmann, Christian Gerhaher,
René Pape. Georg Baselitz gestaltete das Bühnenbild, Kirill Petrenko stand
am Pult, die Regie führte Pierre Audi.
Georg Baselitz ist ein
großartiger Maler, berühmt und begehrt. In einschlägigen Rankings belegt er
Platz vier unter den teuersten lebenden Künstlern. In Baselitz zu
investieren, kann auch unter Anlagegesichtspunkten empfohlen werden. Und so
präsentierte die Bayerische Staatsoper den Malerfürsten als Bühnenausstatter
des neuen Parsifal wie eine Trophäe.
Das Dumme ist nur: Namedropping
ersetzt keine Regie. Möglicherweise hat Regisseur Pierre Audi geglaubt, dass
spannendes Theater entsteht, wenn man eine Baselitz-Zeichnung auf einen
Vorhang projiziert und dann zwei Sänger davor stellt, die nebeneinander ins
Publikum singen. Das ist nicht der Fall. Im ersten Akt stehen die Darsteller
unentschlossen zwischen entlaubten Baselitz-Bäumen herum – wer möchte, kann
dabei an eine Öko-Apokalypse denken. Der zweite Akt spielt vor einer
schwarzweißen, flachen Baselitz-Burg, vor der sich nackte
Albtraum-Blumenmädchen in fetten rosa Pappmaché-Kostümen aufstellen. Im
dritten Akt stehen die Baselitz-Bäume, wie sich das für Baselitze eigentlich
gehört, auf dem Kopf. Dazwischen stehen die Sänger richtigrum herum. Allein
gelassen von der Regie, die nur formelhafte und ausdrucksarme Bewegungen
zulässt, gelingt es kaum einem Darsteller, seiner Rolle Profil zu geben. Nur
Christian Gerhaher als Amfortas darf am Krückstock theatralisch leidend über
die Bühne wanken. Ein Ansatz.
Immerhin geht es hier um eine der
verrücktesten, maßlosesten, ambivalentesten und fragwürdigsten Opern der
Musikgeschichte. Es geht um einen maroden Männerbund, Mitleid und Macht. Um
Sex und Reinheit, Religion und Erlösung. Dazu kann man gern Baselitz-Bilder
assoziieren. Als Reproduktionen im Programmheft wären sie besser aufgehoben
gewesen als auf der Bühne. Vor allem ersetzen sie kein lebendiges Theater.
Aber wir sitzen im Parsifal – und darin geht es nicht nur um Wunden,
sondern auch um ein Wunder. Das vollbringt Kirill Petrenko. Die musikalische
Seite ist so außergewöhnlich schön, dass man – heilig hehrstes Wunder – eben
doch den ganzen Abend über gefesselt ist. Petrenko trägt die Sänger auf
Händen. Keiner muss auch nur eine Sekunde forcieren. Kein Wagner-Gebell,
nirgends. Stattdessen Pianissimo-Zauberei, Höhepunkte mit Gänsehautwirkung,
wunderbar schnelle, flüssige Tempi und traumverlorene Momente. Nina Stemme
als Kundry schießt Spitzentöne wie Leuchtraketen in den Bühnenhimmel, René
Pape gibt dem Gurnemanz unanfechtbare Bassautorität und Jonas Kaufmann lässt
den Parsifal mit seinem dunklen Tenor eindrucksvoll reifen. Überragend ist
Christian Gerhaher – in einer Partie, von der viele dachten, dass sie nicht
zu ihm passt. Psychologisch so aufregend hört man den Amfortas selten. Das
kann fahl und bösartig klingen, zerfließend in Selbstmitleid und im nächsten
Moment tief verzweifelt.
Wer Opern nicht nur anschaut, sondern vor
allem hören will, muss diesen Parsifal erleben. Bei allem Respekt vor der
Malerei: In dem, was Wagner hochtrabend Gesamtkunstwerk nannte, gibt
letztlich eben doch die Musik den Ausschlag. Und die ist an diesem Abend
fantastisch – trotz gähnender Bühnen-Langeweile.
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