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IOCO, Dezember 18, 2018 |
Von Hans-Günter Melchior |
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Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
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Die Rationalität des Bösen |
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Wie auf haushohen Wellen, auf davon eilt, bebt, donnert die Musik,
entfesselt, pfeifend und lärmend und unter die Decke des großen Hauses
prallend, sie fast sprengend, ein Orkan, entfacht von Verdi und dem
Dirigenten Kirill Petrenko, infernalisch. chromatisch wühlt das großartige
Orchester in den Klangwolken, pflügt die Tonwogen und die Gefühle der
Zuhörer um, dass man sich an den Stuhllehnen hält.
Wieder einmal ein
Anlass, den Dirigenten Petrenko gleich am Anfang zu bewundern, er schont
niemanden, nicht das Orchester (die Holzbläser!), nicht die Hörer und nicht
sich selbst, Naturgewalten sind nunmal groß und erhaben und die Musik fällt
über sie her wie sie über die Musik herfallen; hier wird´s Ereignis.
Ob der Held davonkommt?, Hilfe, Hilfe –, Otello, der Feldherr nach
siegreichem Kriegszug in Lepanto heimkehrend, nun aber in wilde See geraten,
in einen Orkan, Teile des Schiffes fliegen davon, um Otello bangt man, so
bedrängend wie das gemacht ist, wo ist Otello, ist die Oper schon am Ende,
bevor sie begonnen hat, gibt es noch eine Steigerung?
In tiefem
Dunkel der Chor (Leitung Jörn Hinnerk Andresen), gewaltig, furchterregend
hart, das Geschehen beschwörend und zugleich beschreibend, es kommentierend,
„alles ist Rauch, alles ist Feuer“ –, während eine Etage darüber Anja
Harteros die Desdemona verkörpert (nein: sie ist Desdemona, was für eine
große Sängerin und Schauspielerin, was für ein voller, warm strömender
Sopran!), die Hände ringt und sich auf ein Bett wirft, und der Chor endlich:
„Es ist gerettet! Gerettet!“.
Schon ist man mittendrin nach höchst
gelungenem Anfang, mittendrin und aus den Tonfluten gerettet. Fast schon
Mitleidender, hineingeraten in den Sog des gewaltigen Beginns, der flüchtig
von einem Video überblendet und illustriert wird, gestreift wie von einem
Irrlicht der Turbulenzen. Aufatmen. Entspannen.
Und dann wird die
Stimmung gleichsam heruntergedimmt, der Otello von Jonas Kaufmann erscheint,
gerettet also, wie von den Fluten ans Land geworfen tritt er seiner Frau
gegenüber, kein Sieger, kein von der Gloriole des Erfolges Bekränzter, eher
ein Wicht, ein Kretin – schon jetzt, ganz am Anfang, vorsichtige, fragende
Schritte ausführend. In so einer Art Freizeitkleidung mit Hosenträgern läuft
er herum, unsicher, langsam, zögerlich und zögernd kommt er auf Desdemona
zu, wo doch jeder eine stürmische Umarmung erwartet –, oh mein Geliebter,
dem Himmel sei Dank, so oder ähnlich –, aber Otello schafft es nicht, er
belässt es bei einem Klaps auf die Schulter der hochaufgerichteten und
souveränen Frau, die die karge Begrüßung hinnimmt wie etwas, das man nicht
ändern kann.
Er ist dieser Frau unterlegen, ach, Otello, denkt man
sich zwischen dieses unglückliche Paar, unterlegen und um jedes Wort
verlegen ist er, das wird schon jetzt deutlich, ohne dass überhaupt
gesprochen werden muss. Sie liebt ihn und bekennt sich zu dieser Liebe,
behauptet sie jedenfalls, da ist, man spürt es, noch eine Menge
aufzuarbeiten mit diesem Mann, der gehemmt ist und sozial wohl
unterprivilegiert, ein Feldherr, nichts weiter, ein Soldat mit normierten
Gefühlen und Dienstvorschriften, der niemandem glaubt, es sei denn, er
gehört zu den Siegern und hat das Gesetz des Sieges auf seiner Seite, denn
nur die Sieger sind glaubwürdig.
So einer hat gegen den gewaltig
auftrumpfenden Jago von Gerald Finley keine Chance. Da mag er über einen
noch so metallisch makellosen (sehr hohen) Tenor verfügen wie Jonas Kaufmann
–, der Bariton Finleys überrollt – nach dem Willen des Librettisten Boito –,
seine Gefühle, seinen Intellekt, seine Hoffnungen und innigsten Wünsche
mühelos.
Jago, der Karrierist. Der Intellektuelle, der die Gedanken
und Gefühle auffädelt und das Unheil daraus strickt. Er hasst Otello, weil
dieser Cassio ihm vorzog und zum Hauptmann machte. Langatmig darf er seine
Antipathie mit Gründen und Argumenten aufdröseln wie ein Sündenregister des
Befehlshabers. Im zweiten Akt, zweite Szene, entwickelt er geradezu eine
Ideologie des Bösen: „Ich glaube an einen grausamen Gott, der mich
erschaffen hat zu seinem Ebenbild, und den ich im Ingrimm rufe. Aus der
Gemeinheit eines Keimes oder eines Atomes bin ich gemein geboren, ich bin
verworfen, weil ich Mensch bin…“
Und so weiter. Ach ja, die
verkorkste Psyche, die anfällige Charakterstruktur der Menschen. Freilich
klingt das bei Boito im Gegensatz zu Shakespeare doch ein wenig übertrieben.
Verbrecher sind keine negativen Idealisten, die das Böse anbeten. Keine
Intellektuellen, die am Abgründigen arbeiten wie Wissenschaftler. Ach was.
Sie huldigen auch keiner Religion des Bösen und es gibt keine
Verbrecherkirche mit einem grausamen Gott. Es gibt mitnichten Verbrecher,
die zum höheren Ruhm des Verbrechens handeln. Verbrecher haben handfeste
Ziele: Profit, Macht, Befriedigung von Hassgefühlen, Geld, Geld und Geld.
Und Affekte. Sie wollen auch nicht das Böse und schaffen das Gute, wie
Mephisto behauptet, sondern umgekehrt wollen sie – eher – das Gute und
schaffen das Böse, weil sie über das Böse nicht hinauskommen, sondern in ihm
steckenbleiben. Glauben Sie mir, ich weiß es. Die meisten Verbrecher sind
unglückliche Menschen, am Rand der Straße im Dreck Liegengebliebene. Keine
Triumphierenden wie Jago, die für das Böse Kerzen anzünden und vor den
Altären der Gewalttaten knien.
Eine Schwäche des Librettos, der die
Regie Amélie Niermeyers nicht erliegt (wie ja auch Shakespeare nicht:
Othello, 1. Aufzug, 1. Szene, Jago: „Wär´ ich der Mohr, nicht möchte´ ich
Jago sein./ Wenn ich ihm diene, dien´ ich nur mir selbst;/ Der Himmel weiß
es! Nicht aus Lieb´ und Pflicht,/ nein, nur zum Schein für meinen eigenen
Zweck.“ Und: „Ich bin nicht, was ich bin.“). Bei Niermeyer ist Jago ein
höchst mittelmäßiger Schurke, ein gewöhnlicher Verbrecher, Verleumder,
Anstifter zum Mord oder Mörder in mittelbarer Täterschaft; bedient er sich
doch Otellos, um Desdemona zu töten –, was zugleich den unvermeidbaren
Untergang des Mörders bedeutete. Jagos Weg wäre frei gewesen, hätte nicht
Emilia, seine Frau, sich voller Abscheu von ihm abgewandt.
Schritt
für Schritt bringt er sein kriminelles Werk zur Vollendung, ein Denker, das
schon, ein Mann der ratio. Bei diesem Otello hat er freilich leichtes Spiel.
Du meine Güte, Otello, merkst du denn nichts.
Niermeyers Otello ist
ein Tölpel, ein Kleinbürger und Parvenü. Er ist von Grund auf unsicher, bei
Desdemona in der falschen Gesellschaft, diese Frau ist ihm haushoch
überlegen und er weiß es, er kann ihr nicht einmal glauben, dass sie einem
wie ihm treu sein kann. So fällt er auf jede Anspielung Jagos herein, bohrt
nicht nach, begnügt sich mit fadenscheinigen Beweisen wie den angeblichen
Traumerzählungen Cassios, in denen dieser von seiner Liebe zu Desdemona
gefaselt haben soll oder dem ominösen Taschentuch, das Jago in den Besitz
Cassios (sehr gut: Evan LeRoy Johnson) schmuggelt. Einer, der voreilige und
falsche Schlüsse zieht, weil er von Grund auf seiner Sache bei Desdemona
nicht sicher ist. Und der aus allen Wolken fällt, als Emilia (Christina
Damian) Aufklärung schafft –, nachdem es jedoch zu spät ist. Am Ende fällt
diesem Otello nichts weiter ein, als sich einen Dolch zwischen die Rippen zu
stoßen, weg ist er, auf der Flucht ins Nichts sinkt er zu Boden, ein
Häufchen Elend, wo er doch in Venedig gebraucht wird zu irgendetwas.
In der Tat: die alles beherrschende Figur ist in dieser Inszenierung die
Desdemona der Anja Harteros. Sie ist fast in jeder Szene im Hintergrund
anwesend: als leibhaftige Mahnung und zugleich Relativierung des wuseligen
Männergeschehens, das sich nur am Macht und Ansehen, Gewalt und Gegengewalt
dreht. Als wolle sie sagen: könnt ihr das alles eigentlich angesichts meiner
Präsenz verantworten, was ihr da ausheckt? Habt ihr nichts anderes im Kopf,
verdammt? Eine Frau, die einen ungerechten Tod erleidet, weil sie letztlich
kein Mittel gegen die brutale Gewalt der Männerwelt hat, sich einfach nicht
auf deren Ebene des Handelns begeben kann und will.
Kleine Menschen
in großen Räumen – siehe Foto. Nimmt man die hoheitsvolle Frauengestalt aus.
Überdimensioniert hohe, weiße und helle Herrschaftsräume, in denen nur
wenige Gegenstände, ein paar Sessel, ein oder zwei Betten stehen; das ist
die Bühne. Und in diesem Palast verkrümeln sich solche armseligen Figuren,
winzig im Vergleich zu den steilen Wänden, kleingemacht von dem, was sie
groß machen sollte.
Die Inszenierung verweigert sich dem Anspruch des
Librettos, das Geschehen ins gleichsam Mythische und Allgemein-Menschliche
zu überhöhen. Die Agierenden sind gewöhnliche Menschen, karriere- und
profitsüchtige, eifersüchtige, kleinbürgerliche Spießer, die sich durch ihr
armseliges Leben fretten. An manchen Stellen stört das ein wenig. Allzu
erbärmlich wird Otello gemacht. So mies, dass man Mitleid mit ihm zu haben
beginnt. Man muss das in Kauf nehmen. Kunst ist immer ein Versuch. Kommt sie
an irgendein Ziel und ist rundum zufrieden, ist es zugleich zu Ende mit ihr.
Als Versuch unter vielen möglichen ist diese Inszenierung geglückt. Keine
Minute, in der man versucht war wegzuschauen.
Dem Publikum hat es
ungemein gefallen. Anhaltende und laute Beifallsbekundungen für die
Protagonisten, den Dirigenten und sein Orchester. Etwaige Buhs sind
jedenfalls untergegangen.
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