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Die Zeit, 29.11.2018 |
VON GEORG-ALBRECHT ECKLE |
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Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
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Durch das Auge einer Frau |
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Der Meeressturm, den Giuseppe Verdi zu Beginn seines Otello entfesselt,
geschieht in Amélie Niermeyers Münchner Neuinszenierung tief innen: in
Gesicht und Körper von Anja Harteros als Desdemona — und in dem Raum, den
Christian Schmidt hauptsächlich für sie gebaut hat, perfekt funktional,
strikt, hoch und schmucklos-kühl. In dieser Innenwelt findet alles statt,
selbst den Chor presst die Regie noch wie Wurzelwerk darunter. Wo also sonst
ein wirbelnd choreografiertes Volk per Mauerschau das Geschehen auf hoher
See mitvollzieht, sieht man hier nur Gesichter, vom expressiven
Klanggeschehen bewegt.
Einen Moment lang ist der konventionelle
Zuschauerblick schockiert, dass einem die von Verdi musikalisch
hochgepeitschten Naturgewalten keinerlei Nässegefühle bescheren — und auch
der so fiebrig erwartete Jonas Kaufmann in der Titelpartie alle Siegerposen
verweigert, gestisch wie stimmlich. Konsequent blickt Amélie Niermeyer durch
das Auge der Frau von innen nach außen, eine Lesart, die mit Otellos erstem
Auftritt überzeugt. Dieser Sieger ist gebrochen, vom Krieg gezeichnet, wie
der Bote aus der Schlacht: glanzlos, klein, am Ende.
Das muss ein
Tenorissimo und Weltstar erst einmal mitmachen, und Kaufmann vollbringt es
nahtlos — womit sich auch das Problem der Hautfarbe verlagert. Denn was
Otello als politisch ausbeutbaren Migranten und Schwarzen und Desdemona als
Weiße bindet und trennt, ist die Erschütterung. Über den Krieg. Über die
Nähe des Todes. Die Unegalität ihrer Liebe. Für diesen Otello nimmt Kaufmann
ein gewaltiges gesangskulinarisches Risiko in Kauf. Und das bewegt. Harteros
ist der ideale Gegensatz in ihrer Noblesse, sie ist und bleibt eine Dame von
Stand, die mit ihrer Gefühlswahrheit die Leiden dieses Mannes aus der
anderen Sphäre durchlebt. Niermeyer erlöst das Werk aus jedem dominanten
Männergehabe und lässt Desdemona in sensibler, diskreter Synchronität stets
präsent und auch Kontrapunkt sein. Mehr als ein symbolisches Bett im Raum
braucht sie dafür nicht.
Rasch verfliegt die Angst, hier werde eine
Konzeption über das Werk gestülpt und die Musik illustriert, statt sie
arbeiten und denken zu lassen. Selbst das Liebesduett Ende des ersten Akts
nimmt man nicht als Highlight wahr, weil es so wunderbar schlicht gesungen
wird und sich auf einem so äußerst zarten und zerbrechlichen Klangteppich
bewegt — Kirill Petrenko und das Bayerische Staatsorchester in großer Form!
Einzig wenn Otello die Sterne anruft (»Già la pleiade«), meint man sich in
diesem kalten Raum um Atmosphäre betrogen, um ein kleines Recht auf
Illusion. Otello tritt einfach nur ans Fenster, blickt hinaus, hinauf, alles
Weitere lässt Niermeyer die Musik machen. Wir brauchen kein Bild mehr, fast
kein Auge. Und das gilt auch für Annelies Vanlaeres vollkommen zeitlose
Kostüme, die schlicht den Menschen gehören, die sie tragen — bis hin zum
Spiel mit dem unscheinbar schönen Brautkleid, in dem Desdemona sterben will.
Und nun der Gegenpart: Eigentlich wollte Verdi die Oper Jago nennen,
weil ihn diese Gestalt am meisten faszinierte als Beweger der Tragödie. Das
wird aufregend klar durch den Bariton Gerald Finley: Nichts hat er von einem
knarrigen Bösewicht, kommt vielmehr geschmeidig daher wie ein Tier, schon
körperlich eine Inkarnation des Giftes. Stimmlich eher zart und schön,
belcantistisch das Toxische insinuierend, dessen man sich kaum erwehren
kann, weil es zugleich gefährlich erotisch anmutet. Der gerade Kerl, Otello,
ist ihm in fataler Hilflosigkeit ausgeliefert.
Niemeyer lässt Jonas
Kaufmann die tragische Einfalt dieses Otello nachzeichnen, und Kaufmann
riskiert auch hier sängerisch manches an Prachtentfaltung, damit die
Wahrheit der Szene triumphiert. Im großen Racheduett dominiert damit nicht
der Trieb, sondern die schiere Verzweiflung, und Kaufmann entlockt seinem
strahlenden Tenorspektrum regelrecht bestürzende Töne, als ob er hier die
Verhinderung des Glanzes durch das Leben gleichsam mitsänge — umgirrt von
Jagos aalglattem, aasigem Sound. Gerade das macht die Szene so zwingend.
Ideal kontrastierend besetzt auch Evan LeRoy Johnson in der Rolle des
Cassio, des vermeintlichen Liebhabers Desdemonas, der mit kindlichreinem
Tenorklang im fatalen Spiel mit dem Taschentuch fehlgeleiteten Liebeszauber
verströmen lässt. In Jagos Plan ist das der Beweis, der den Untergang
besiegelt. Alles geschieht mit furchtbarer Selbstverständlichkeit und in
einer Musiktheaterregie, die man als solche phasenweise gar nicht merkt.
Ganz ähnlich glücken auf ihre Weise die öffentlichen, die Chorszenen:
optisch prunklos in Schmidts schweigenden Wänden, sodass die ganze grausig
sinnlose Aktion Klang bleibt, das Zerbrechen des Menschen Otello an sich
selber und an der in grandioser Würde gedemütigten Frau. Weil er der Liebe
nicht glauben kann, stirbt sie. Das wird in Amélie Niermeyers Inszenierung
radikal klar, wenn sie Desdemona im Finale des vierten Akts allein im Licht
stehen lässt und die Welt förmlich wegleuchtet, sie stillstehen lässt.
Selten hat man diesen Untergang zweier Liebender so unausweichlich erlebt.
Niermeyer vollzieht mit Anja Harteros den Tod und seine vorangehende
Verkündigung ohne jedes Pathos, ohne religiöse Gefühligkeit und auch
stimmlich in einer meisterhaften Balance zwischen seelischer Gebrochenheit
und souveräner Klang-Aura. Dabei kommt von Kirill Petrenko aus dem
Orchestergraben nie ein Gran zu viel, nicht im Weidenlied, nicht im Ave
Maria. Petrenko lässt sich nicht dazu verführen, mehr darzustellen, als
Verdis Musik es tut — nicht einmal von deren unerhörter Kraft und
Tiefenschärfe.
Konsequent bis zum finalen Mord: kein düsteres
Schlafzimmer, alles in klarem Licht — zu hell, denkt man wieder für einen
Augenblick. Niermeyer aber gibt die Optik ab an die Musik, und die schafft
mehr Atmosphäre als jedes künstliche Dunkel. Auch der Todestanz der in sich
gefangenen Kreatur Otello erschüttert, nach der ganz simpel offenbarten
Wahrheit durch Jagos Frau Emilia (Rachael Wilson). Die Vollendung, die
letzte Konsequenz, ist ein Küchenmesser, mit dem Otello sich schließlich
auch selbst schlachtet, vollkommen undramatisch und fernab von der toten
Desdemona, nichts anderes imaginierend als ihren Kuss. Für männliche Heroen
ist kein Platz in Niermeyers hellsichtigem Blick auf diesen Otello, der dem
Heute ganz nahe ist, hier, dort, überall im Leben. Und 'auch das darf, ja
muss es einmal geben mitten im Opern-Glamour: dass es keine Könige gibt für
einen Abend.
König ist nicht einmal Kirill Petrenko, der sich ganz
in den Dienst der Tragödie und ihrer Psychologie stellt. Nicht Toscaninis
gnadenlose Radikalität macht er sich beim späten Verdi zu eigen, kein
musikantisches Auswalzen der Partitur und auch nicht — unvergesslich an
diesem Haus! — Carlos Kleibers ekstatische Emotionen von vor Jahrzehnten.
Bei Petrenko siegt das Notwendige im Detail, je nach dramatischer Maßgabe.
Enormer Beifall, Beifall für das Ganze. Und dass diese Regiearbeit kein Buh
bekommt, muss in München als höchstes Lob gelten.
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