|
|
|
|
|
Merkur, 24.11.18 |
Markus Thiel |
|
Verdi: Otello, Bayerische Staatsoper, ab 23. November 2018
|
Münchens neuer „Otello“: Im kalten Feuer |
|
Eine von allen erlechzte Blockbuster-Premiere, die in Teilen
spannend ist, aber viele Fragen offenlässt: Kritik zur „Otello“-Premiere
im Nationaltheater. |
|
Einiges müssen die Blumenmädchen abladen. Da eine Rose, dort Nelken und noch
viel anderes Blütenzeug, bis das Lager Desdemonas überquillt – und man
begreift: Das ist kein Bett mehr, das ist ein Grab. Der perfideste Einfall
Jagos, der selbst im durchsichtigen Damenmäntelchen mithilft. Dabei hatte
man diesen Mann doch irgendwie liebgewonnen. Weil er eben seine Umgebung
nicht ständig fortissimo zusammenbrüllt, sondern weil da ein eleganter,
viriler, auch charmanter Kerl unterwegs ist. Mit dem ist nicht immer gut
Kirschen essen, eine geistreiche, beide Seiten fordernde Unterhaltung wäre
aber mutmaßlich drin.
Ein Mephisto aus der Feder von Giuseppe Verdi
und Textdichter Arrigo Boito müsste so gewesen sein. Und man weiß nicht, wem
dieses so unjagohafte Porträt jenseits von Schwarz und Weiß zu verdanken
ist. Amélie Niermeyer, die diesen neuen Münchner, von der Opernwelt
erlechzten „Otello“ inszeniert hat, oder Gerald Finley, der den Abend an
sich reißt. Der Kanadier verfügt ja gerade nicht über eine jener
landläufigen Jago-Röhren. Doch was er mit seinen stupenden Mitteln anstellt,
wie er mit seiner Stimme jongliert und wie immens schlau daraus eine
vollkommen glaubhafte und klischeefreie Figur kreiert wird, das ist das
eigentliche Ereignis dieser ersten Saisonpremiere an der Bayerischen
Staatsoper.
Eine Otello-Stimme hat Jonas Kaufmann nicht Umso mehr
fällt das ins Gewicht, weil sich die Aficionados aus anderen Gründen um die
Tickets balgten. Den Otello hat Jonas Kaufmann vor eineinhalb Jahren
erstmals in London ausprobiert. Damals unter dem Vorbehalt einer gerade
überwundenen Zwangspause und mit angezogener Handbremse. Die Killerpartie
des italienischen Tenorfachs hat er sich mittlerweile klug zurechtgelegt.
Alle Töne sind da, das „Esultate“ zu Beginn wird in den Raum geklotzt. Und
doch muss sich Kaufmann immer wieder in eine Art Sicherheitsmodus
zurückfallen lassen. Eine Otello-Stimme, das zeigt dieser Abend, hat er
nämlich nicht.
Dazu fehlt das Gebieterische, das Raumgreifende, die
Schärfe, auch der Glanz in den Liebesduetten. Nicht unbedingt mit Dezibel
hat dies etwas zu tun, sondern mit vokaler Dimension, mit einer Potenz, die
normalerweise abgerufen werden könnte und sich dann entlädt in Wut und
Triumph. Und mit einer natürlichen Tragfähigkeit auch im Lyrischen – nicht
mit einem, wie es hier oft zu vernehmen ist, stumpfen Pianissimo-Säuseln.
Der Star und vielleicht auch die Regisseurin finden dafür eine gar nicht so
üble (Kompromiss-)Lösung. Dieser Otello ist ein Verkniffener, ein auf sich
selbst Zurückgeworfener, ein graumäusiger Angstbeißer, der Desdemona nicht
gewachsen ist. Anja Harteros, deren Sopran reifer, herber, schwerer klingt,
gestaltet sie als starke, wissende Frau, die ihren Ehering à la Carmen
wegwirft und den vierten Akt als Studie der Ausweglosigkeit zelebriert. Ihr
Otello scheint oft das Geschehen um sich gar nicht wahrzunehmen, was wohl
auch andere Gründe hat: Wer so spät wie Kaufmann zu den Proben stößt, kann
sich auf ein Konzept wesentlich weniger einlassen, als es Gerald Finley
getan hat.
Entscheidendes lässt die Regie offen Statt Boito und
Verdi gibt es bei Niermeyer eher Strindberg und Ibsen. In Christian Schmidts
typischen, graukalt-hohen Räumen und versehen mit nicht immer vorteilhaften
Kostümen (Annelies Vanlaere) wird eine Zweierbeziehung aufgerollt, die nach
dem Paartherapeuten schreit. Der Beginn, wenn Desdemona in ihren Zimmer
einsam und vom (kaum sichtbaren) Chor umtost auf den Mann wartet, ist das
Beste und ein alter Topos: Meeresstürme, die zu Seelenorkanen werden,
mussten auch Glucks Iphigenie oder Mozarts Elettra erleiden. Was Niermeyer
vorschwebt, ist die Analyse einer Beziehung, die – womöglich aufgrund eines
traumatischen Ereignisses – nie richtig funktioniert hat. Wenn Otello seine
Frau im dritten Finale brutal anfasst, ahnt man: Da droht nicht die erste
Vergewaltigung.
Was den Abend spannend macht, ist die Intensität in
den intimen Momenten, wenn sich drei Vereinsamte als an- und abstoßende
Welten umkreisen. Gleichzeitig bleibt Entscheidendes offen. Dass Otello ein
vom Volk verehrter Heerführer ist und um seine gesellschaftliche Stellung
kämpft, entgeht Niermeyer in ihrer fast krampfhaften Fokussierung auf die
drei Protagonisten. Auch kann sich die Inszenierung nicht entscheiden. Wird
aus Desdemonas Perspektive erzählt? Geht es um Verschiebungen der
Wirklichkeit, um surreale Momente in den ineinander verschachtelten Zimmern?
Vieles mehr noch ließe sich anführen, was bedeutet: Verdis „Otello“ ist
größer, vielschichtiger als diese Regie.
Kirill Petrenko glückt
Bestechendes Interessanterweise passt das musikalische Konzept Kirill
Petrenkos ausnehmend gut dazu. Abgesehen vom Eröffnungssturm (bei dem
wirklich einmal die vorgeschriebenen Stufungen in kleinere Singgruppen
berücksichtigt wird) und einem bestechend gestuften dritten Finale führt
Petrenko mit dem Bayerischen Staatsorchester und dem Chor in Oratorienform
vor: So viel Sottovoce, so viel wie beiseite Gesungenes und Gespieltes, so
viel Filigranes, so viel nur subkutan Wirkendes hatte man von dieser
Partitur nicht erwartet. Ein überweites Feld tut sich auf von fast
tonlos-trockener Rhythmisierung über das Gespinst der Liebesmomente bis zur
kantig, nie dröhnend ausgespielten Dramatik. Manches trägt Züge des
Überkalkulierten, des „Gemachten“, auch das kennt man von Münchens
Generalmusikdirektor. Petrenkos „Otello“ leuchtet wie kaltes Feuer.
Verbrennungsgefahr droht in anderen Aufführungen. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|