Merkur, 24. Juni 2017
Markus Thiel
 
Verdi: Otello, Royal Opera House, London, 21. Juni 2017
Jonas Kaufmanns Otello: Nur ein Seitensprung
 
Diesem Debüt hat die Opernwelt entgegengefiebert: Jonas Kaufmann singt in London erstmals die Titelrolle von Verdis „Otello“. So ganz passt die Partie nicht zu ihm.
 
London - Mit dem Säbel? Kann eine dreckige Metzelei werden, ist vielleicht als Hinrichtung zu unmenschlich. Also doch das Kissen ins Gesicht? Funktioniert auch nicht sofort. Sogar im Morden seiner angeblich untreuen Gattin ist dieser Otello unschlüssig. Das „Esultate!“ zu Beginn, mit enormem Vokalbizepsaufwand ins Royal Opera House geklotzt, täuscht also. Dieser Mann ist kein selbstgewisser Gebieter, eher ein Getriebener, ein Zauderer. Ein Schelm, wer das alles auf den Sänger projiziert. Jonas Kaufmann! London! Debüt in einer der heikelsten Tenorpartien überhaupt! Aller Argusaugen und -ohren richten sich an diesem Premierenabend auf ihn. Die der Fans und die der Bösewichter, die einen Star erwarten, der am Trapez beim Dreifachsalto danebengreift.

Nach viermonatiger Auszeit legt Kaufmann ein Comeback-Programm vor, bei dem anderen die Stimmbänder bluten. Genau dies ist dem Tenorissimo ja auch vor der Zwangspause passiert. Heißt es. Zunächst ein vorsichtiger Lohengrin in Paris, dann ein André Chenier mit angezogener Handbremse an der Bayerischen Staatsoper und nun Giuseppe Verdis Tenorkiller in London. Viel präsenter, risikolustiger als in München stellt sich Kaufmann dieser neuen Rolle. Er hat sich in die Karriere zurückgekämpft. Kein Kratzer, kein Ton, um den man fürchten muss, keine Drastik aus Notwehr. Kaum eine andere Partie spreizt sich so im Ausdruck: hier Eruptionen am Rande des Nervenzusammenbruchs, dort das Zärteln mit Desdemona. Auch Letzteres, im Finale des ersten Bildes gefragt, glückt Kaufmann, ohne dass er dabei ins Sicherheitssäuseln gerät.
Jonas Kaufmann fehlt Entscheidendes

Doch bald mehren sich die Zweifel. Ob der Münchner wirklich ein genuiner Otello-Interpret ist? Oder täuscht dies das robuste, dunkle Vokalmaterial nur vor? Hart geht Kaufmann vieles an, mit den für ihn so typischen Starkstromtönen, die beeindrucken, aber denen doch (das bleibt sein Problem) Entscheidendes fehlt: Geschmeidigkeit und Eleganz. Im Laufe des Abends lässt er sich dann immer mehr zurückfallen. Ein grundsympathischer Malocher im Tenorberg des Verdi-Herrn, aber keiner, der mit der Rolle spielt, sie mit souveräner Geste und Grandezza entwickelt.

Um ihn herum bietet das Royal Opera House Achtbares. Marco Vratogna liefert einen graustimmigen, vibratosatten Jago, der wild entschlossen ist zur Nuancierung. Vieles ist da gewollt und gemacht, noch immer ist nicht klar, warum die Londoner den ursprünglich vorgesehenen Ludovic Tézier aus der Produktion gekickt haben. Für herzangreifenden Liebreiz muss man sich an andere Desdemonas halten, Maria Agresta singt eine frostige, entschlossene Frau an der Schwelle zum dramatischen Aplomb. Dass diese Desdemona beim Zwangskuss Otello in die Zunge beißt, überrascht kaum.

Dirigent Pappano hat das Orchester mit einem Kernkraftwerk verstöpselt

Regisseur Keith Warner, nicht nur in London gern für Repräsentatives mit angetäuschter Ambition gebucht, erfüllt die Erwartungen. Wenn sich der Abend zu großen Tutti-Szenen ballt, wird’s oratorisch, ansonsten das übliche Gesten- und Schreit-Repertoire. Bühnenbildner Boris Kudlicka lässt dafür die Wände seines hohen, schwarzen Einheitsraumes ständig verschieben, der manchmal als Schalltrichter die Stimmen ungut verstärkt. Mal zieht ein Schiff vorbei, mal eine Riesenstatue des venezianischen Löwen, der am Ende – Achtung, Bedeutung! – zerborsten auf der Szene liegt. Die Kostüme hat Kaspar Glarner größtenteils aus Shakespeares Globe-Theatre importiert bis aufs weiße, final blutbespritzte Shirt des Titelhelden, in dem Kaufmann bella figura macht.

Im Graben hat Antonio Pappano sein Orchester offenkundig mit dem nächstliegenden Kernkraftwerk verstöpselt. Der Musikdirektor des Hauses ist allerdings nicht auf hohles Imponiergehabe aus. Zu hören sind eine fast lakonisch ausgestellte Dramatik, viel trocken Rhythmisiertes, dramatisch sinnvoll entwickelte Details, ein hoher Grundpuls, der auch lyrische Passagen durchzieht und das Treibende bis Atemlose des Stücks betont. Nichts, so arbeitet Pappano mit dem Orchester und dem auf den Punkt singenden Chören heraus, ist hier im Lot und im Reinen. Und ebenfalls wird hier nichts umwölkt. Die Lyrik des Schlussbildes leuchtet wie Spinnweben in der klaren Abendsonne. Einen besseren, wissenderen Sängerpartner hätte sich Kaufmann nicht wünschen können. Mag sein, dass er die Rolle – wie Manrico und Radames – wieder aus dem Portfolio nimmt. Ungewollt bestätigt der Londoner Abend eine alte Regel: Die besten Otellos waren fast nur mit dieser Partie erfolgreich, man denke an Schwergewichte wie Ramon Vinay, Carlo Cossutta, auch José Cura. Der Rest sind Quereinsteiger und Seitenspringer. Jonas Kaufmann gehört zu ihnen.





 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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