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Nürnberger Nachrichten, 14.3.2017
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Hannes S. Macher |
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Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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Großartiger Revolutionsbilderbogen |
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Umberto Giordanos "Andrea Chenier" in Starbesetzung mit Anja
Harteros und Jonas Kaufmann in München |
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Nach überstandener Stimmbandkrise kehrte Jonas Kaufmann nach München
zurück. Gelegenheit für die Opern-Traumpaarung der letzten Jahre, Anja
Harteros und Jonas Kaufmann, Umberto Giordanos Revolutionsstück "Andrea
Chénier" zu verlebendigen.
Als der wegen Robespierres
Gewaltexzessen in Ungnade gefallene Dichter der Französischen Revolution
zur Guillotine geführt wird und Maddalena, seine Geliebte, mit ihm im Tod
vereint sein möchte, da musste ein Teil des Premierenpublikums schon ganz
gehörig schlucken. Freilich nicht wegen des larmoyanten Ausklangs von
Giordanos in packenden und zarten Melodien geradezu schwelgender Oper aus
dem Jahr 1896, sondern wegen des hinreißenden, wahrlich zu Herzen gehenden
Schlussduetts des in inniger Zuneigung in der Todesstunde vereinten
Liebespaares. Anja Harteros und Jonas Kaufmann singen und gestalten als
Traumpaar dieses Finale zum Dahinschmelzen schön, dass man über die
teilweise überbordende Bilderflut dieser Inszenierung gerne hinwegsieht.
Denn alle Facetten der Revolution packte Filmregisseur Philipp Stölzl in
diese ebenso aufrüttelnde wie auch im besten Sinne sentimentale
Revolutionsoper - eingebettet in eine vibrierende Lovestory voller
Dramatik.
Über drei Etagen Im Bühnenbild (ebenfalls von Stölzl
und seiner Assistentin Heike Vollmer), das sich in Cinemascope-Ausmaßen
über drei Etagen erstreckt, lässt der Regisseur im 1. Akt in einem
feudalen Salon eine Champagnersause der dekadenten adeligen Gesellschaft
in historischen Kostümen (von Anke Winckler) abrauschen, während in
dunklen Kellergewölben darunter das Proletariat malocht und darbt.
Ein Kontrast, der den Zustand des "Ancien Régimes" bestens visualisiert.
Und wie die Diskrepanz zwischen Oben und Unten im absolutistischen Regime
hier messerscharf analysiert wird, so präsentiert der Regisseur in den
folgenden Szenen die einzelnen Stationen im revolutionären Paris zwischen
1789 und 1794 bis zu Robespierres Schreckensherrschaft, die in die
willkürliche Exekution der "Staatsfeinde" mündet. Spannend ist dies alles
als historischer Bilderbogen inszeniert. Und es ist höchst eindrucksvoll,
wie der Regisseur die Volksmassen in großen Tableaus über die Bühne lenkt
und dabei das von Scharfmachern aufgewiegelte Volk in schier grenzenlose
Hysterie verfallen lässt. Auch die einzelnen Charaktere sind psychologisch
mustergültig ziseliert. Zu sehen gibt es hier reichlich bei den parallel
ablaufenden Geschehnissen in all den übereinander gestapelten Räumen
dieser Simultanbühne zwischen Kellerverlies und den Sälen des Adels,
zwischen bürgerlichen Boudoirs, den Hinterzimmern der Ränkeschmiede und
zwielichtigen Absteigen. Eine bunte Filmkulisse für ein
Historienspektakel, was Philipp Stölzl beim Schlussjubel freilich auch
donnernde Buhrufe einbrachte.
Musikalisch ist diese Neuinszenierung
jedenfalls ein Juwel. Mit welcher Vitalität der Dirigent Omer Meir Wellber
das berauschend spielende Staatsorchester anfeuerte und mit welcher
Sensibilität er die lyrischen Stellen auskosten ließ, das ist Musikgenuss
pur. Und die Besetzung ist sowieso ein Traum: Allen voran natürlich Jonas
Kaufmann, der nach mehrmonatlicher Pause mit herrlicher Dramatik in der
Stimme und balsamisch zartem Tenorschmelz samt einer virilen Bühnenpräsenz
das Idealbild des ebenso empfindsamen wie willensstarken Dichters Andrea
Chénier höchst überzeugend abgibt.
Zunächst ein Schwärmer, der die
Ideen der Aufklärung und die Forderungen des 3. Standes geschmeidig in
Verse kleidet, um schließlich - vom Terror der revolutionären Endphase
angewidert - als "Verräter" unter der Guillotine zu landen. In stimmlicher
Strahlkraft und furiosem Sopranglanz ihm zur Seite Anja Harteros in ihrem
Debüt als Chéniers Geliebte Maddalena di Coigny, die nach Gewissensqualen
und Verzweiflungsschüben ihrem Geliebten in den Tod folgt.
Sensationell: Luca Salsi Sensationell in Stimme und Darstellung auch
Luca Salsi, der sich als Carlo Gérard vom Apparatschik der Revolution zu
Chéniers glühendem Verteidiger wandelt und diese anfangs intrigante,
zuletzt idealistisch gesinnte Figur mit einem ebenso ausdrucksstarken wie
wunderschön warm fließenden Bariton ausfüllt. Dazu Doris Soffel als
anrührend agierendes altes und stolzes Aristokratenmütterchen Gräfin von
Coigny mit einem ebenso anmutigen Mezzosopran.
Frenetischer Jubei
des Premierenpublikums für die großartigen musikalischen und sängerischen
Leistungen. Und trotz der lautstarken Missfallensäußerungen einiger
konservativer Opernfreude über Stölzls ungemein bilderstarke,
aufklärerische und teilweise auch hübsch flippige Interpretation ist diese
Neuinszenierung zweifellos eine der besten, hin- und mitreißendsten
Produktionen der Bayerischen Staatsoper seit langem.
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