Giordano: Andrea Chenier, Bayerische Staatsoper, 12. März 2017
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MÜNCHEN/ Bayerische Staatsoper: ANDREA CHENIER – Geschichtsstunde in der Oper |
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Geschichtsstunde in der Oper. Der Lernerfolg wird unterstützt durch
reichhaltiges Informationsmaterial im Programmheft, einschließlich eines
11-seitigen Glossars (allerdings nur eine schmale Spalte) über Namen und
Begriffe der französischen Revolution. Im Libretto sind die
Glossarbegriffe rot gedruckt und mit auf das Glossar verweisenden
Seitenzahlen versehen. Sehr schön, da kann man also nachschlagen, wer
Necker war und was die Carmagnole ist. Ob das den Opernbesucher
interessiert, ist eine andere Frage. In Andrea Chenier geht man doch wegen
der emphatischen Musik, der schönen Melodien, nicht um Nachhilfe in
Französischer Revolution zu nehmen.
Jedenfalls kamen alle auf ihre
Kosten bei Philipp Stölzls Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper:
die Kostüme wirkten historisch korrekt – jedenfalls soweit man das als
Nicht-Modehistorikerin sagen kann, und es wurde wunderbar gesungen, bis
die Köpfe rollten.
„Dramma di ambiente storico“, ein „Drama in
historischem Ambiente“ hat Giordano seine einzige erfolgreiche Oper
genannt. Folglich präsentiert uns Regisseur Philipp Stölzl – er ist
zusammen mit Heike Vollmer auch für die Bühne verantwortlich – einen
bunten Bogen opulenter Bilder, in dem das Drama der Protagonisten oft zur
Nebensache wird, so viel anderes gibt es noch zu sehen. Er greift dabei
auf dieselbe Technik zurück, die er schon in Salzburg für „Cavalleria
Rusticana“ und „I pagliacci“ angewendet hat: die Bühne ist horizontal und
vertikal in Räume aufgeteilt, sodass sie aussieht wie ein nach einer Seite
offenes Puppenhaus, in dem die verschiedensten Vorgänge gleichzeitig
ablaufen. Allerdings hat Stölzl noch einen Komplexitätsgrad draufgelegt:
die Räume befinden sich auf fahrbaren Wägen, die nach links rausfahren um
neuen, von hinten hereingeschobenen Bühnenbildwägen Platz zu machen. Das
ermöglicht extrem schnelle Szenenwechsel, der Musikfluss muss nur einmal
unterbrochen werden: Vor dem letzten Bild dauert es einen Moment zu lange
bis der Bühnenwagen mit Gefängniszelle und Guillotine in Stellung ist.
Im ersten Bild ist das noch schlüssig, da wird in der oberen Etage das
Fest bei Coignys gefeiert, während unten im Dunkeln die Dienerschaft
rackert. (Weshalb Maddalena nach unten in die Küche (?) geht und sich von
dort mit ihrer obenstehenden Mutter über Kleid oder nicht Kleid unterhält,
bleibt rätselhaft). Im zweiten Bild ist es dann ein bisschen seltsam, dass
Chenier sich unten befindet (im Weinkeller?) während Bersi ihn angeblich
anschaut.
Es gibt immer viel – zu viel – zu sehen auf der Bühne,
die kleinen Räume sind voller Menschen, die irgendwelchen Tätigkeiten
nachgehen. Es ist manchmal schwierig, in dem Wimmelbild auszumachen, wer
gerade singt. Und genau das ist das Manko dieser Inszenierung, sie zeigt
zu viel Nebensächliches, die Hauptsache, die Geschichte von Andrea
Chenier, geht unter. So hat man den Eindruck, dass Stölzl sich nicht
entscheiden konnte, was er erzählen will, die Geschichte der französischen
Revolution oder die tragisch endende Liebe zwischen Andrea Chenier und
Maddalena de Coigny.
Hervorragend ist die Führung des Chors und der
Statisten auf der Bühne. Jede Person ist individuell gezeichnet und es
gelingt, auch wenige Menschen sich so bewegen zu lassen, dass es nach viel
mehr aussieht, z. B. im 2. Bild.
Ist also der szenische Teil trotz
aller Bildmacht und Opulenz etwas enttäuschend, so ist die musikalische
Seite umso überzeugender. Jonas Kaufmann ist wieder da, davon konnte sich
München nun nach Paris (Lohengrin im Januar) und London (Siegmund u.a.
konzertant im Februar) überzeugen. So ganz auf der Höhe seiner Stimmkraft
scheint er nach der mehrmonatigen Zwangspause noch nicht zu sein, die
Stimme klingt noch einen Tick baritonaler als gewohnt und manches wirkt
angestrengt. Das Improvviso singt er noch etwas zurückhaltend, steigert
sich aber im Laufe der Vorstellung und beglückt das Publikum mit
leuchtenden, weittragenden Piani und strahlenden Spitzentönen. Das „Come
un bel dì di maggio“ ist wunderbar innig empfunden; und beim ekstatischen
Schlussduett ist er dann ganz der Alte. Eine positive Überraschung ist
Luca Salsi. Wer ihn als Lord Enrico Ashton in Lucia di Lammermoor erlebt
hat, erinnert sich an eine etwas grobschlächtige, eindimensional laute
Darbietung. Ganz anders sein Gérard: dramatisch aber differenziert und
farbenreich setzt er seine mächtige Stimme ein.
Der eigentliche
Star der Abends ist Anja Harteros. Wenn Sie ihre große Szene „La mamma
morta“ beginnt, sehr langsam und verinnerlicht, hält das Haus buchstäblich
den Atem an. Danach explodiert es im Beifall. Die Darstellung des
leichtsinnigen jungen Mädchens zu Beginn der Oper gelingt ihr ebenso
eindringlich, wie die der opferbereiten Frau, zu der sie sich schließlich
wandelt. Und wer meint, in einer Oper des Verismo müssten auch hässliche
Töne zu hören sein, wird von ihr eines Besseren belehrt. Ihr gelingen
wahrhaftige und schöne Töne. Eine große Künstlerin.
Auch die
mittleren und kleinen Partien waren hervorragend besetzt: J‘Nai Bridges
als Bersi ließ einen wunderschönen, warmen Mezzohören, Doris Soffel als
Gräfin Coigny durfte wieder einmal die exaltierteste Darstellung abgeben,
Elena Zilio als alte Madelon herzzerreißend, wenn sie ihren letzten Enkel
der Revolution als Soldat gibt.
Kevin Conners zeigt ein
Kabinettstücken an Charakterisierungskunst für den schmierigen Spion
Incroyable und Tim Kuypers darf seinen schönen Bariton als Mathieu in der
Maske des Jokers erklingen lassen.
Die Musikalische Leitung lag in
den Händen von Omer Meir Welber, der das Bayerische Staatsorchester zu
ungemein prägnanter und präziser Spielweise leitet. Er sorgt für einen
transparenten Klang, der auch mal richtig aufgedreht wird, sodass die
Wände wackeln, nimmt aber im richtigen Moment die Lautstärke wieder
zurück, sodass die Sänger nie forcieren müssen. Sehr sängerfreundlich ist
auch, dass er nach den großen Arien immer die Musik unterbricht um den
Beifall zuzulassen, leider unterbricht das aber auch den Spannungsbogen in
der Musik dieser eigentlich durchkomponierten Oper. Der romantische
Schluss wurde durch die grausame Realität des abgeschlagenen Kopfes
verhunzt. War das der symbolische Stinkefinger, Stölzls „Glotzt nicht so
romantisch“?
Musikalisch ist das also ein Fest, szenisch auf jeden
Fall opulent mit zwei Brüchen: Schade, dass während der Maddalenas
verinnerlichter Arie als drastische Bebilderung ein Tableau hereingefahren
wird, das ihre Mutter mit Dolch in der Brust und viel Theaterblut
dahingestreckt zeigt. Das ist eine unnötige Doppelung und lenkt in einem
wichtigen Moment von der Musik ab. Und natürlich die letzte Szene, wenn
der Henker den Kopf von Jonas Kaufmann, oder besser: Andrea Chenier,
triumphierend der Menge zeigt, während in der Musik die höchste Emphase
herrscht. Ist das der metaphorische Stinkefinger, Stölzls „Glotzt nicht
so romantisch“? Egal. Das Wichtigste ist und bleibt die Musik.
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