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Opernglas, Juni 2016 |
U. Ehrensberger |
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Puccini: Tosca, Wiener Staatsoper, 16. April 2016
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WIEN - Tosca |
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Was tun, wenn Tosca nicht rechtzeitig den Weg zur Engelsburg findet? Jonas
Kaufmann nahm's mit Humor: „Non abbiamo soprano..." variierte er
geistesgegenwärtig den Originaltext „franchigia per Floria Tosca", um sich
in der anschließenden Orchesterzwangspause mit den Worten „Sie sehen mich
ebenso sprachlos wie Sie..." gar persönlich an die Zuschauer zu wenden und
mit seiner nonchalanten Reaktion dafür zu sorgen, dass die peinliche Panne
im allgemeinen Gelächter des Publikums unterging. Dieses hatte sich vorher
mit mehr als fünfminütigem, hartnäckigem Applaus wie schon in der ersten der
beiden Aufführung dieser Miniserie ein „Bis" des „E lucevan le stelle"
erkämpft. War es also die Wut über die — laut einem Fernsehinterview nach
der ersten »Tosca« aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht für gut
befundene — Arienwiederholung, die Angela Gheorghiu veranlasste, ihren
Auftritt zu verpassen? Oder war es doch so, wie offiziell von Seiten der
Wiener Staatsoper mitgeteilt, dass die Diva während der Wiederholung der
Arie zurück in ihre Garderobe gegangen und dort davon überrascht worden war,
dass der Dirigent Jesús López Cobos danach ohne weitere Applauspause
weiterdirigierte? Welche Version auch immer der Wahrheit entspricht, ein
Platz in den Annalen der Wiener Staatsoper — und wohl auch in der an
Anekdoten reichen Aufführungsgeschichte des Werkes — ist dieser »Tosca«
zweifellos schon jetzt sicher.
Die dann doch noch herbeigeeilte
Gheorghiu warf sich, so hatte es den Anschein, mit besonderer Hingabe in die
Arme ihres Cavaradossi und trotz — oder gerade wegen — der ungewöhnlichen
Unterbrechung gestaltete das Protagonistenpaar eine
leidenschaftlich-bewegende Schlussszene, welche die besondere Harmonie der
mit ähnlichem musikalischen Empfinden geführten Stimmen von Gheorghiu und
Kaufmann unter Beweis stellte. Souverän schaffte Gheorghiu dann auch ihren
Sprung von der Engelsburg, bei dem sich erst vor einigen Monaten an Ort und
Stelle Martina Serafin verletzt hatte.
Schon im Vorfeld waren diese
beiden Aufführungen mit besonderer Spannung erwartet worden. Denn der Wiener
Staatsoper war der Coup gelungen, das „Dreamteam" der auf DVD gebannten
Aufführung des Royal Opera House Covent Garden aus dem Jahre 2011 noch
einmal zu vereinen, und nicht zuletzt handelte es sich um die einzigen
beiden Auftritte von Jonas Kaufmann am Haus am Ring in dieser Saison. Wie
bei keinem anderen Ereignis derselben Spielzeit hatte deshalb ein Run auf
die Karten eingesetzt, sodass Monate vorher selbst in den einschlägigen
Kartenbüros die Billets vergriffen waren und die Schlange für die am selben
Abend verkauften Stehplätze bereits mittags Rekordlänge erreicht hatte. Als
wäre es nötig gewesen, die allgemeine Erwartung noch ein bißchen zu
steigern, hatte Jonas Kaufmann zudem noch mit einer mehrmonatigen Pause für
Spekulationen um seine stimmliche Verfassung gesorgt. In dieser Hinsicht
kann jedenfalls Entwarnung gegeben werden: Die Stimme des Münchner Tenors
hat nichts von ihrem Ausnahmerang verloren. Zwar benötigte er eine deutliche
Aufwärmphase, der ein vergleichsweise rau angestimmtes „Recondita armonia"
zum Opfer fiel. Doch bald lief er zu der von ihm gewohnten Höchstform auf,
verwöhnte die Zuhörer mit samtenem Schmelz und vielen technischen Feinheiten
wie Piani und Diminuendi, schmetterte aber auch mit hörbarem Stolz das
„Vittoria" im 2. Akt. Dass das erste „E lucevan le stelle" etwas zu
unterkühlt geraten war, machte er bei der wesentlich leidenschaftlicher
gestalteten Wiederholung wett, und das zart-melancholische „O dolci mani"
dürfte Kaufmann derzeit ohnehin niemand nachsingen.
Zu dem etwas
holprigen Beginn der Aufführung mag auch der kurzfristige Wechsel des
Dirigenten beigetragen haben, denn erst mittags hatte sich Mikko Frank, der
die erste Aufführung geleitet hatte, krankgemeldet. Glücklicherweise fand
sich der gerade zu Proben von »Un ballo in maschera« im Haus anwesende Jesús
Löpez Cobos als durchaus hochkarätiger Ersatzmann zur Übernahme bereit, der
am Pult des in schönster kulinarischer Klangqualität musizierenden
Orchesters der Wiener Staatsoper eine tiefschichtige Aufbereitung der
Partitur ansteuerte und sich um viele interpretatorische Feinheiten bemühte,
die angesichts der äußeren Umstände aber nur teilweise zum Tragen kamen.
Gerade im ersten Akt schafften Löpez Cobos und Angela Gheorghiu es nicht
durchgehend, ihre Tempovorstellungen zu koordinieren. Die Rumänin befand
sich ohnehin nicht in bester Abendverfassung, mit leicht angegriffener Höhe
und einer etwas trockenen Mittellage. Doch auch in dieser reduzierten
stimmlichen Form begeisterten ihre Kunst der Phrasierung, ihre Fähigkeit,
die Musik mit der Stimme förmlich zu „streicheln", mit Leidenschaft zu
füllen und der Partie ihren unverwechselbaren eigenen Stempel aufzudrücken.
Das „Vissi d'arte" gestaltete sie bewegend und eindringlich, wenn ihr auch
das hohe B entglitt. Wie sehr sich Gheorghiu bei ihrer durchaus gelungenen
Darstellung einer südländisch-sinnlichen, zwischen zickigem Divengehabe und
berührender Verletzlichkeit schwankenden Tosca überhaupt verstellen musste,
mag dahingestellt bleiben.
Als Dritter im Bunde stand Bryn Terfel auf
der Bühne, an dessen charaktervoll-hinreißender Bassstimme die Zeit
naturgemäß nicht spurlos vorübergegangen ist, was sich in einigen doch etwas
angestrengt klingenden Passagen äußerte. Mit dieser Einschränkung kann
Terfel aber immer noch als der derzeit wohl beste Scarpia gelten, ein
schmieriger, hochgefährlicher Machtmensch, der dem Zuschauer das Blut in den
Adern gefrieren ließ. Mühelos überwand Terfel die Orchester- und Chormassen
während des Te Deums und lieferte sich im zweiten Akt ein ebenso stimmlich
wie schauspielerisch mitreißendes und bis in die Fingerspitzen ausgefeiltes
Duell mit Angela Gheorghiu, die bald alle stimmlichen Schonhaltungen aufgab
und aus dem Vollen schöpfte, um ihrem stimmgewaltigen Bühnenpartner Paroli
bieten zu können.
In den Nebenrollen gab es unter anderem das
Staatsopernurgestein Alfred Sramek (Mesner) sowie Ryan Speedo Green mit
etwas verquollener Baritonstimme als Angelotti zu erleben. Den Rahmen
bildete nach wie vor vor die aus dem Jahre 1958 stammende Inszenierung von
Margarethe Wallmann, und man kann durchaus nachvollziehen, weshalb sich die
Wiener Staatsoper von diesen architektonisch immer noch beeindruckenden
Bühnenbildern (Entwurf: Nicola Benois) nicht trennen will, auch wenn die
recht steifen Kostüme der Hauptdarsteller etwas in die Jahre gekommen sind.
Am Ende dieses in vielerlei Hinsicht denkwürdigen Opernabends wollte der
Applaus nicht enden, der von Jonas Kaufmann freundlich entspannt, von dem
nicht minder gefeierten Bryn Terfel mit unbeweglichem Gesichtsausdruck und
von der etwas zurückhaltender mit Applaus bedachten Angela Gheorghiu mit
eingefrorenem Lächeln — „come la Tosca in teatro" — aufgenommen wurde.
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