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Der Opernfreund, 29.5.2016 |
Ludwig Steinbach |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 26. Mai 2016
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DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG - Die Frage nach der Zukunft |
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Der erste Entwurf von Wagner komischer Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“
entstand bereits im Jahre 1845 während des Marienbader Kuraufenthalts des
späteren Bayreuther Meisters. Wagner verstand seine „Meistersinger“ als
Satyrspiel zum „Tannhäuser“. Nach so viel Tragik sollte das Publikum befreit
durchatmen und sich amüsieren dürfen. Mit dieser Intention bewegte sich der
Komponist ganz in der altgriechischen Tradition. Sind die „Meistersinger von
Nürnberg“ aber wirklich nur eine lustige Angelegenheit? David Bösch, der
Wagners Werk nun an der Bayerischen Staatsoper neu in Szene setzte, meint
„Nein“ und verpasst der Oper neben den heiteren auch eine Anzahl tragischer
Elemente. Unter seiner Ägide werden die „Meistersinger“ zu einem
tragikomischen Stück.
Der durchaus auch ernste Kontext erschließt
sich einem bereits beim ersten Betrachten des von Patrick Bannwart
geschaffenen, stets dunkel ausgeleuchteten und dem Tag abholden
Bühnenbildes. Von herkömmlicher Butzenscheiben-Romantik wollen Regisseur und
Bühnenbildner nichts wissen. Sie siedeln die Handlung in der Nachkriegszeit
der 1950er Jahre an. Nürnberg hat hier nichts Romantisches an sich, sondern
wird als heruntergekommene Plattenbausiedlung mit schäbigen Mietskasernen
gezeigt. Metallgerüste belegen, dass man immer noch fleißig dem Wiederaufbau
frönt. Das Wettsingen findet auf einer boxringähnlichen kleinen Bühne statt.
Der Krieg hat seine Spuren hinterlassen. Es ist ein graues, schmuck- und
trostloses Ambiente, das dem Auge des Zuschauers geboten wird. Und Konrad
Nachtigall ist kriegsversehrt. Er geht an Krücken. Bemerkenswert ist die
religiöse Toleranz des evangelischen Nürnberg gegenüber anderen
Glaubensrichtungen: Zu Beginn zieht eine katholische Prozession vorbei, die
an die Stelle der ursprünglichen evangelischen Gemeinde tritt.
Gleich
darauf tritt Stolzing auf den Plan, der von der Regie so ganz anders
gezeichnet wird als es sich der traditionelle Opernbesucher vielleicht
vorstellt. Mit T-Shirt, Lederjacke und Gitarre bewehrt mutet er wie ein
vorweggenommener Alt-68er an. Als die vorbeilaufende rothaarige und von
Meentje Nielsen mit einem Petticoat ausgestatte Eva ihr Schultertuch
verliert, nutzt er diesen Anlass geschickt, um mit ihr in Kontakt zu treten,
und hänselt sie dabei ein wenig. Zu etwas intimeren Annäherungen zieht sich
das Paar dann in den Wagen eines Bierlieferanten mit der Aufschrift
„Meister-Bräu“ zurück. Überhaupt wird Bier in diesem Nürnberg
augenscheinlich sehr gerne getrunken. Eine mobile Schusterwerkstatt, nicht
etwa mit Nürnberger, sondern mit Münchner Kennzeichen, nennt auch Hans Sachs
sein Eigen, während es der einen weißen Leinenanzug tragende Pogner bereits
zu einem Luxus-BMW gebracht hat. Der einen grauen Anzug tragende David fährt
auf einem kleinen Moped vor, das sich später Eva zueignet, um mit Stolzing
zu fliehen. Die anderen Lehrbuben sind ebenfalls grau gewandet, tragen aber
kurze Hosen. Unter ihnen sind auch Frauen in Kleidern. Sachs’ Lehrbube weiht
den Ritter anhand von in Aktenordnern verwahrten Unterlagen in die
Geheimnisse des Meistergesangs ein, während er eine Wagner-Büste mit
Poliermittel säubert. Die Arbeit hätte er sich indes sparen können, denn am
Ende des ersten Aufzuges wird der Wagner-Kopf von dem wütenden Stolzing
gnadenlos zertrümmert. Respekt vor dem großen Meister hat der Ritter
wahrlich nicht. Und auch der von zahlreichen Schnäpsen berauschte David
zeigt davon keine Spur, wenn er sich auf der Festwiese in den Pokal der
Meistersinger übergibt.
Für den Gesangswettstreit wird eifrig
geworben. So werden bereits im ersten Aufzug auf den Hintergrund
Zeitungsanzeigen und Werbeplakate projiziert. „Veit Pogner stiftet großen
Preis von Nürnberg“ oder „Eva Pogner - wer wird die Glückliche?“ ist da zu
lesen. Dann wird noch ein Bild von Eva in Großformat auf den Hintergrund
geworfen und mit der Aufschrift „1. Preis“ versehen. Dieses Photo ist bis
zum Ende des ersten Aufzuges zu sehen und drückt auch etwas Kritik am
Vorgehen Pogners aus. Die Tabulatur wird ebenfalls auf die Rückwand
projiziert. Am Ende des ersten Aufzuges bleibt nicht etwa Sachs - wie es in
den meisten anderen Inszenierungen des Werkes der Fall ist - nachdenklich
zurück, sondern Kothner. Böschs besondere Aufmerksamkeit gilt der Figur des
im Nadelstreifenanzug auftretenden Beckmesser, den er jung und durchaus
nicht unsympathisch darstellt. In der Person des glücklosen Stadtschreibers
werden die tragikomischen Züge der Handlung besonders deutlich. Er ist nicht
von vornherein komisch, sondern wird - ganz Wagners Intention entsprechend -
nur durch die äußeren Umstände in diese Rolle gedrängt. Der Regisseur nimmt
ihn ernst, und das ist gut so. Daran ändern einige eingeflochtene lustige
Aspekte nichts. So erklimmt Beckmesser im zweiten Aufzug mit Hilfe einer
Hebebühne das Fenster der angebeteten Eva, der er, im Rollstuhl sitzend,
auch im dritten Aufzug während seiner Pantomime begegnet. Sie nimmt den ihr
von ihm dargebotenen Blumenstrauß aber nicht an und sucht lieber einmal mehr
schnell das Weite. Hier wartet Bösch gekonnt mit einem Tschechow’schen
Element auf.
Während der Prügelfuge wird Beckmesser schlimm
gebeutelt. Allgemein wird in dieser Szene das starke Aggressionspotential
der mit Baseballschlägern aufziehenden Nürnberger Bevölkerung mehr als
deutlich. Auch dem als Polizisten auftretenden Nachtwächter wird wenig
Respekt gezollt. Einige Bürger mit Affengesichtern weisen ihn rigoros in
seine Schranken. Ja, gegenüber Gesetz und Ordnung ist man hier nicht gerade
aufgeschlossen. Spätestens in dieser Szene wird deutlich, dass wir es hier
eben nicht nur mit einer Komödie, sondern in gleichem Maße mit einer
Tragödie zu tun haben. Dieser Aspekt erweist sich in all seiner Schärfe auch
am Ende des Stücks: Stolzing hat überhaupt kein Interesse daran, ein
Meistersinger zu werden, und verlässt mit Eva schnurstracks die Bühne. Sachs
Ansprache „Verachtet mir die Meister nicht“ geht ins Leere. Dem auf der
ganzen Linie Schiffbruch erleidenden Schusterpoeten bleibt nur noch, sich
eine Zigarette anzuzünden und einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen. Zu
den Schlusstakten erscheint noch einmal Beckmesser und richtet eine Pistole
gegen Sachs. Dann überlegt er es sich jedoch anders und erschießt sich
selbst - ein ebenso tragisches wie unvorhergesehenes Ende. Insgesamt ist zu
konstatieren, dass der Regisseur die Biographie der Figuren konsequent zu
Ende gedacht hat. Von einer Komödie ist nun nichts mehr zu spüren. Das Ende
mündet vielmehr in eine Katastrophe. Die meisten Figuren sind gescheitert.
Das Scheitern steht auch im Mittelpunkt von Böschs Interpretation. Die
Frage, ob unter diesen Umständen eine Neudefinition alter Werte überhaupt
noch möglich ist, wird nicht beantwortet. Was künftig aus Nürnberg werden
wird, bleibt offen und seine Zukunft ungewiss. Das alles hat Bösch mit Hilfe
einer flüssigen, stringenten Personenregie eindringlich umgesetzt.
Wieder einmal ist GMD Kirill Petrenko am Pult eine ausgezeichnete Leistung
zu bescheinigen. Bereits das Vorspiel wies einen derart frischen, kontrast-
und farbenreichen Klang auf, dass es eine Freude war, ihm und dem
hervorragend disponierten, mit großer Eleganz aufspielenden Bayerischen
Staatsorchester zuzuhören. Sein Dirigat war von großem Elan, zügigen Tempi
und kunstvollen Übergängen geprägt. Viril präsentierten sich die Streicher,
pastos die Blechbläser und auch die Holzbläser spielten mit akribischer
Genauigkeit. Die Absichten des Dirigenten wurden minutiös umgesetzt. Und
diese waren sehr vielfältig. Nicht nur, dass Petrenko die Mittelstimmen
bestens herausarbeitete, auch der manchmal etwas ironisch und sarkastisch
anmutende Unterton, den er dem Ganzen angedeihen ließ, wirkte im
Gesamtgefüge der Musik ausgesprochen passend. Darüber hinaus wartete er mit
einer breiten dynamischen Skala und grandiosen Steigerungen bei
vorwärtsdrängendem Impetus auf. Dabei behielt er nicht nur den großen
Gesamtzusammenhang im Auge, sondern gefiel sich auch in feinen
Modellierungen von Einzelheiten. Die Transparenz war ebenfalls vorbildlich.
Bravo!
Auf insgesamt hohem Niveau bewegten sich die sängerischen
Leistungen. Wolfgang Koch bestach als Hans Sachs schon rein äußerlich durch
ein ausgeprägtes Charisma und intensives Spiel. Aber auch gesanglich zeigte
er sich in Topform. Bei ihm musste man an keiner Stelle Sorge haben, dass er
die extrem lange Partie nicht durchhalten könnte. Nein, er hielt sie nicht
nur problemlos durch, sondern lotete sie mit seinem prägnanten, bestens
fokussierten und ausdrucksstarken Heldenbariton auch differenziert und
vielschichtig aus. Für den Stolzing kann Jonas Kaufmann als Idealbesetzung
gelten. Gut aussehend, cool und lässig auftretend und mit einem breiten,
dunkel timbrierten und gut sitzenden Tenor auch tadellos singend zog er alle
Register seiner Rolle, der er auch schauspielerisch gut entsprach. An das
hohe Niveau seiner beiden Mistreiter vermochte Markus Eiches prächtiger,
noch junger Beckmesser nahtlos anzuknüpfen. Das war ein Stadtschreiber
fernab von jeder traditionellen Karikatur, ein vom Schicksal geschlagener
Mann, mit dem man nicht erst bei seinem tragischen Ende Mitleid hatte. Ihm
zuzuhören, war eine reine Wonne. Mit feinem, edel timbriertem und eine
hervorragende Grundierung aufweisenden Bariton fasste er seine Rolle ganz
und gar lyrisch auf und bestach durch puren Wohlklang. Gut gefiel auch Sara
Jakubiak, die mit prägnantem, in jeder Lage trefflich ansprechendem Sopran
eine intensiv klingende Eva sang, die sie auch überzeugend spielte. Den
Pogner stattete Christof Fischesser mit sonorer Basswürde und einer
vorzüglichen italienischen Technik aus. Bestens italienisch geschult mutete
auch der Bariton des Fritz Kothner von Eike Wilm Schulte an, der trotz
seiner 76 Jahre noch immer über beeindruckendes Stimmmaterial verfügte.
Ebenfalls einen guten Eindruck hinterließ Okka van der Damerau, die mit voll
tönendem, warmem Mezzosopran eine Magdalena vom Besten sang. Demgegenüber
fiel Benjamin Bruns, der mit nicht sonderlich gut verankertem, etwas dünn
und körperlos klingendem Tenor den David sang, etwas ab. In der aus Kevin
Conners (Kunz Vogelgesang), Christian Rieger (Konrad Nachtigall), Ulrich Reß
(Balthasar Zorn), Stefan Heibach (Ulrich Eißlinger), Thorsten Scharnke
(Augustin Moser), Friedemann Röhlig (Hermann Ortel), Peter Lobert (Hans
Schwarz) und Christoph Stephinger (Hans Foltz) bestehenden Liga der kleinen
Meister waren größtenteils gute, aber auch weniger ansprechende Stimmen zu
vernehmen. Ein passabler Nachtwächter war Tareq Nazmi. Mit einem Sonderlob
ist der von Sören Eckhoff einstudierte, famos singende Chor und Extrachor
der Bayerischen Staatsoper zu bedenken.
Fazit: Ein imposanter, sowohl
sehens- als auch hörenswerter Opernabend, dessen Besuch jedem Opernfreund
dringend ans Herz gelegt wird.
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