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tabularasa, 30.05.16 |
von Hans Gärtner |
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Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, Mai 2016
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So ein Spaß! - David Bösch feiert das Tieftragikomische in Wagners „Meistersingern“ an der Bayerischen Staatsoper |
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Wie auch das Leitergefährt heißen mag, das Fensterputzern dient, um auch in
schlecht erreichbare Schmutzscheibenhöhen zu gelangen – es taugt in der
Neuinszenierung von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der
Bayerischen Staatsoper dem ehrgeizigen Sixtus Beckmesser (umwerfend
tragikomisch: Markus Eiche) dazu, wenigstens physisch an die Spitze seiner
Verstiegenheit zu gelangen. Er scheitert elendiglich. Das ist nur eine von
David Bösch (Regie) und seinem Team (Patrick Bannwart, Szenenbild; Meentje
Nielsen, Kostüme) angewandte Metapher, um das Tieftragikomische an Wagners
Werk am Ort seiner Uraufführung (1868) herauszuarbeiten, es bisweilen ins
Groteske zu steigern. Wie die dritte von vier Folgeaufführungen der (lange
Pausen bietenden) sechsstündigen Oper schloss, so endete auch die vom BR
live übertragene Premiere am 16. Mai: mit tosendem Applaus für den
überwältigend perfekten Dirigenten Kirill Petrenko, für das durch
rigoros-liebevoll konsequente Anleitung und kultiviertes Einbremsen der – so
ein Spaß! – geradezu überbordenden Festwiese bravouröse Solistenensemble,
für den taffen Staatsopernchor und das in den narrativen Strecken fein
abstufende, in dominanten Bläser- und bewegenden Tutti-Passagen (Vorspiel
zum 3. Aufzug) hinreißend reagierende Staatsopernorchester.
GMD
Petrenkos vielfach Hör-Neuland eröffnendes jüngstes Staatsopern-Dirigat
übersteigt die Norm um nur schwer in Worte zu fassende Größen: Grundgewalt
des Melodischen, Stimmklarheit und logisch-witzige Abfolge des
musikalisch-spinösen Geniestreichs Richard Wagners, der gerade in dieser
Inszenierung dem Optischen keineswegs lediglich dient, sondern es total
steuert. Das Komödiantische lebt bei Bösch/Petrenko – teilweise bis zum
Zerreißen überspitzt – nur auf, indem es vom Tragischen ins Mark „getroffen“
wird. Der „Merker“-Geck Beckmesser, der noch in keiner Rollendeutung so
stark als seelisch kranker „Held“ zu erleben war, gehört alle Sympathie: der
Verrückt-Ehrgeizige scheitert und blutet derart aus, um sich am Ende, man
will`s nicht wahrhaben, die Kugel zu geben. Bösch rundet die Figuren des
pittoresk-schauerlichen Wagner-Welttheaters, dass einem der Atem stockt.
Nur plausibel, dass Bösch/Petrenko sich für ein, nicht ganz fragloses,
Ansiedlungs-Szenario entschieden haben, das in die 1950/60er-Jahre weist:
Hans Sachs, der in Nürnberg um 1500 dichtende Schuhmacher, lebt, strebt und
besingt den duftenden Flieder in einer Art wohn-mobilen Schusterei. Der
wuchtige Bariton Wolfgang Koch gibt ihn als weisen, Wahn und Weh beklagenden
Altriesen, dem die Zuneigung des sich in der ausufernden Prügel-Szene das
Mütchen kühlenden Volkes gehören („Hans, wir lieben dich“), von den
Lehrbuben, angeführt vom tapsig in Magdalene (Okka von der Damerau)
verliebten David (wunderbar verquer und brillant bei Stimme: Benjamin Bruns)
bis hin zur dreiseitig umworbenen Super-Tochter Eva (zupackend mit roter
Mähne: Sara Jakubiak) des stinkvornehmen Goldschmieds und Meisters Veit
Pogner (respektabel sonor, jung und fesch: Bass Christof Fischesser).
Dass alle Aufführungen der neuen Münchner „Meistersinger“ (das tolle
Programmbuch führt einige lebende „Exemplare“ dieses gar nicht seltenen
Genres vor) ausverkauft waren, lag wohl an Publikumsliebling Jonas Kaufmann
(s. Foto). Er sang erstmals in einer szenischen „Meistersinger“-Produktion.
Und gewann, nicht ohne Anstrengung beim Preislied, mit seiner alte Zöpfe und
Gipsköpfe kappenden jugendlich nonchalanten Revoluzzer-Version des
fränkischen „Ritters“ Stolzing die Herzen rundum. Sein bewundernswert
ökonomisch-tenorales Agieren ließ den lyrischen Momenten viel Raum. Der sich
unbeirrt an der Spitze seines Metiers haltende Softy-Held suchte in Böschs
Konzept mit der „Pogner`schen“ im Flitterregen das Weite. Was sollten die
paar Buhs am Ende der freilich überdrehten, aber in summa gekonnt Wagners
Plädoyer fürs künstlerisch Emotionale feiernde Inszenierung?
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