Bachtrack, 19 Mai 2016
Von Norman Schwarze
 
Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg, Bayerische Staatsoper, 16. Mai 2016
Zwölfte Premiere der Meistersinger von Nürnberg an der Bayerischen Staatsoper
Mit dem Gitarrenkasten in der einen und der schwarzen Tasche in der anderen Hand schlendert Jonas Kaufmann wie ein schlecht gebuchter Provinzmusiker über die Bühne. Im dunklen Hinterraum erahnt man schemenhaft Betonbauten, im Vordergrund reckt sich ein klappriges Gerüst gen Himmel. Lässig dreht sich der Tenor eine Zigarette und lehnt dabei an einen rüstigen Minitransporter. Doch schon nach den ersten Takten wird klar: die Bayerische Staatsoper inszeniert Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg als fulminantes Sängerfest und weniger als ideenschwangeres Politdrama.

Wir befinden uns irgendwo im nirgendwo. Ist es wirklich Nürnberg? Welches Jahr? 1960? Kurz nach dem Krieg? Oder doch später? Eigentlich egal. Die Oper in drei Aufzügen hätte langatmig, ja fast langweilig werden können, doch David Bösch legt den Fokus über die gesamten viereinhalb Stunden ganz klar auf Orchester und Sänger. Akzente setzt er selten, dann aber bewusst, etwa wenn Hans Sachs die Marmorbüste von Richard Wagner mit ein paar Spritzern Glasreiniger aufpoliert. Ansonsten verzichtet der in Lübbecke geborene Regisseur vollkommen auf politisierende Elemente, hinterfragt nichts. Die Bühne, mit ihrem abgewrackten Betongoldcharme, bleibt reine Staffage. Ab und zu rieselt ein bisschen Glitzer belanglos von der Decke, ein paar bunte Lichter von der letzten Gartenparty blinken eher müde und selbst die spärliche Pyrotechnik ist kindertauglich. Mehr noch: Zur Ouvertüre bleibt der schwarze Vorhang sogar geschlossen.

Diese reduzierte Herangehensweise kann sicherlich kritisiert werden. Gleichwohl erlaubt sie dem Zuhörer so, sich vollständig auf Kirill Petrenkos meisterhaftes Dirigat zu konzentrieren. Im forschen Tempo legt sich das majestätische Wummern der Bläser sanft über das Unisono der Streicher. Pompös schillern die Klänge des Bayerischen Staatsorchesters in allen ihren Facetten durch das abgedunkelte Auditorium – mal feinsinnig, mal überbordend und immer beschwingt. Petrenko beweist an diesem Abend wieder einmal, mit welchem unfehlbaren Gespür er dem Orchester verschiedenste Ausdrucksebenen entlocken kann.

Doch nicht nur die Musiker stachelt der Generalmusikdirektor von seinem Pult aus zu Höchstleistungen an, auch der Rest des Ensembles wird durchweg gefordert. Okka von der Damerau kann als Magdalena von der ersten Minute an punkten. Lässig, sinnlich, jugendlich – ihr klarer Sopran verzückt nicht nur das gesamte Publikum, sondern insbesondere Sachsens Lehrbub David. Der wird an diesem Abend von Benjamin Bruns mit unglaublicher Strahlkraft und fabelhafter Souveränität gespielt. Ähnlich überzeugend ist Markus Eiche. Im glitzernden Disco-Ära-Anzug zeichnet er den Sixtus Beckmesser als gescheiterte Existenz und nur selten als plumpe Lachnummer.

Jung wirkt das Ensemble. Ein Statement für sich? Jonas Kaufmann als Walther von Stolzing mimt den (vielleicht zu) gelangweilten Junker. Von Ritterlichkeit fehlt jede Spur. Kein Held, kaum Belcanto; Kaufmann überzeugt vor allem durch unglaublich präzise Artikulation und fabelhafter Ausdauer bis zur letzten Note. Übertönt wird er nur von Wolfgang Koch, der an diesem Abend den Hans Sachs spielt. Vertrauensselig, mit ungewaschenen Haaren, schüttet sich die heimliche Hauptrolle des Stückes großzügig Schnaps in den morgendlichen Kaffee.

Sachsens Schusterwerkstatt hat Bösch in den kleinen Citroën-Laster einquartiert. Bösch liebt seine Autos; immer wieder wird dieser Kleintransporter zur Bühne für Kochs vielseitigen Bariton. Nicht schleppend, nicht dramatisch, sondern schlagfertig gewandt meistert Koch die anspruchsvolle Partie. Nur Sara Jakubiak als Eva will nicht so recht ins Bild passen. Ihr Sopran ertönt eher brüchig, wenig besonders und so gar nicht jugendlich. Weder im Duett mit Kaufmann, noch mit Okka von der Damerau spürt man echte Synergie; der dritte Akt wird für sie zur echten Konditionsprobe.

Zum Ende von Wagners Endloswerk steht dann der gesamte Chor (Leitung: Sören Eckhoff) auf der Bühne. Die Meistersinger trafen wie bei den Tributen von Panem in der Singarena ein, Videoinstallation am Himmel inklusive. Hier, ganz zum Schluss, als die letzte Textzeile schon gesungen wurde, ist der einzige Moment, in dem Böschs Inszenierung sinnstiftend in die Handlung eingreift. Beckmesser, der die begehrte Eva nicht für sich gewinnen konnte, begeht Selbstmord. Auch Stolzing und Eva schließen sich nicht, wie das Libretto es vorgibt, der allgemeinen Happy-End-Stimmung an, sondern verschwinden hinter einem dichten Vorhang aus Glitzerregen. Und David? Der Lehrjunge kotzt sturzbetrunken den Siegerpokal des Meistersingerwettbewerbs voll.

Gleichwohl, dieses letzte Aufbäumen kann den vollkommenen Verzicht auf politisierende Akzente im Rest der Aufführung nicht wettmachen. Nürnberg, der Niedergang der Kultur, Selbstbestimmung des Volkes – vom altdeutschem Bauerntheater bis hin zum Reichsparteitag wäre bei dieser Oper alles möglich gewesen. Vielleicht hat Bösch sich gerade deswegen dazu entschieden, bei dieser zwölften Inszenierung der Meistersinger an der Staatsoper nun endlich nur die Musik, ganz ohne Ablenkungen, zu erklingen lassen. Absolut hörenswert!




 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top